Mobilität der Zukunft Wohin steuert die Autowelt?

Stand: 22.08.2012 11:52 Uhr

Spritpreise auf Rekordniveau, heftige Kritik an E10, kaum Elektroautos auf den Straßen und selbst der VCD-Umweltsieger stößt noch 79 Gramm CO2 pro Kilometer aus: Beim Thema Auto sind alle gefordert - Politik, Industrie und Autofahrer. Denn ein "weiter so" wird kaum funktionieren.

Von Martin Gent, WDR

Steht E10 vor dem Aus?

Der Strohhalm Biokraftstoffe, den EU, Bundesregierung und Automobilindustrie vor fünf Jahren ergriffen, um beim Klimaschutz auf der Straße endlich ein Stückchen voranzukommen, erweist sich immer mehr als Sackgasse. Schon damals warnten die Experten des Umweltrates vor niedriger Effizienz, fraglichen Biomasseimporten und verfehlter Verkehrspolitik. Die Beimischung von Ethanol zum Ottokraftstoff ("E10") war selbst für die Automobilindustrie nicht mehr als ein schnell umsetzbarer Zwischenschritt.

Eigentlich wollte man "Biokraftstoffe der zweiten Generation, die nahezu CO2-neutral sind und nicht in die Nahrungsmittelkette eingreifen." Doch eine Pilotanlage in Sachsen, 2008 von der Kanzlerin selbst eingeweiht, erwies sich als Flop. Die Firma Choren, die aus Pflanzenabfällen und Holzresten klimaneutralen "Sun-Diesel" machen wollte, ist seit einem Jahr pleite.

Fazit: Die Tank-oder-Teller-Debatte ist der emotional-ethische K.o. für Sprit aus Nahrungsmitteln. "Essen auf Rädern" - so die gewohnt freche Schlagzeile der "tageszeitung" - will selbst im Autoland Deutschland niemand.

Elektroauto: Lösung oder Scheinlösung?

Um 5000 Euro senkte Citroen im Januar den Preis für sein Elektroauto C-Zero. Trotzdem blieb es ein Ladenhüter, jetzt kam der Produktionsstopp. Dank großzügiger Forschungsförderprogramme setzen die Autokonzerne aber weiter aufs Elektroauto. Sie wollen am Ball sein, wenn es bei der Batterietechnik entscheidende Fortschritte gibt.

Und über eine aberwitzige Rechenformel der EU drückt jedes verkaufte Elektroauto den Flottenverbrauch und damit auch den CO2-Ausstoß ganz erheblich nach unten. Die Phantasiezahlen aus den Prospekten (Null Gramm CO2 pro Kilometer für reine Stromer, 27 Gramm für ein Elektroauto mit Reichweitenverlängerer wie dem Opel Ampera) ignorieren die Emissionen der Elektrizitätswerke. Bezogen auf den deutschen Strommix sind E-Autos beim CO2 kaum besser als die klima-besten Hybrid-, Erdgas- und Dieselautos. Beim Lärm liegt zwischen leisen E-Autos und leisen Benzinern gerade mal ein Dezibel. Wie überhaupt Elektroautos wenig Verkehrsprobleme wirklich lösen können: Staus, Unfälle und Flächenbedarf sind unabhängig vom Antrieb unter der Haube. Das Millionenziel, beim Elektroauto einst für 2020 anvisiert, wurde auf nun 600.000 Fahrzeuge reduziert. Längst Alltag ist Elektromobilität dagegen auf zwei Rädern: Mehr als eine Million E-Bikes und Pedelecs wurden in Deutschland verkauft.

Fazit: Erwartungen runterschrauben! E-Autos sind eine gute Idee. Aber erst dann, wenn der Strom sauber ist.

Antriebskonzepte: Welche Zukunft haben Benzin und Diesel?

Inzwischen gibt es auch die ersten deutschen Hybridautos, doch Experten sehen immer noch einen japanischen Erfahrungsvorsprung von rund zehn Jahren. Allzu lange hat die deutsche Industrie beim Spritsparen einseitig auf den Dieselmotor gesetzt. Dank des effizienten Verbrennungsvorgangs hatten damit auch große, schwere "Premiumfahrzeuge" einigermaßen akzeptable Verbrauchswerte.

Bei Neuzulassungen in der Oberklasse liegt der Dieselanteil bei 87 Prozent, auch dank kräftiger Unterstützung durch die Politik: Dieselfahrer zahlen zwar eine höhere Kfz-Steuer, dafür ist an der Tankstelle der Steuersatz Liter für Liter um 18 Cent niedriger, das begünstigt Vielfahrer. Außerdem gelten für Selbstzünder großzügigere Grenzwerte beim Abgas, sie dürfen bei gleicher Abgasnorm Euro 5 dreimal so viel Stickoxide in die Luft pusten wie Autos mit Ottomotor.

Beide Privilegien sind in Gefahr. Die EU drängt auf eine Besteuerung des Kraftstoffs nach Energiegehalt und CO2-Ausstoß, was den Liter Diesel um fast 30 Cent teurer machen könnte. Und die strengen Grenzwerte der spätestens ab 2017 gültigen Euro-6-Norm werden viele Diesel nur mit teuren, zusätzlichen Kats schaffen können. Gleichzeitig kümmert sich die Industrie verstärkt um mehr Effizienz beim Ottomotor. Zwei- und Dreizylinder sind besonders sparsam und erzielen in Kombination mit Benzin-Direkteinspritzung, Turbolader und cleverer Ventilsteuerung Verbrauchswerte von unter fünf Litern Super.

Fazit: Auf den Dieselmotor kommen schwere Zeiten zu. Hybride können vieles besser, sparsame Benziner holen auf.

Kaufverhalten: Was spricht gegen SUV?

Zwei miteinander zusammenhängende Trends trotzen jedem Spritspar- und Klimaschutzgedanken. Einerseits haben die in Deutschland verkauften Neuwagen immer mehr PS unter der Haube: Seit 1995 stieg die durchschnittliche Motorleistung von 94,5 auf nunmehr 138 PS, sagt die Universität Duisburg. Andererseits steigt die Nachfrage nach Stadtgeländewagen an. Der Marktanteil dieser SUV ("Sports Utility Vehicle") hat sich in nur vier Jahren verdoppelt, inzwischen ist jeder siebte Neuwagen ein SUV.

Der Wunsch vieler Käufer nach mehr Übersicht im Straßenverkehr, nach bequemem Einstieg und nach mehr Sicherheit ist verständlich, aber auch von einer gehörigen Portion Egoismus geprägt. Denn die Übersicht des einen ist Barriere für alle anderen, das gleiche gilt bei der Sicherheit: Gegen einen "Straßenpanzer" sieht es für Kleinstwagen besonders übel aus - schon weil die Knautschzonen kaum zueinander passen. Der SUV-Trend weist in die falsche Richtung. Der Rollwiderstand von SUV-Pneus ist besonders hoch, gleiches gilt für den Luftwiderstand. Selbst wenn der Beiwert ("cw-Wert") noch einigermaßen akzeptabel ist, ruiniert die große Stirnfläche jede Aerodynamik. Damit die SUV trotz mitunter 500 Kilogramm Übergewicht zügig vom Fleck kommen, haben sie besonders leistungsstarke Motoren unter der Haube, was wiederum Gewicht und Verbrauch nach oben treibt.

Ein Sport Utility Vehicle (SUV) (Archivbild)

Spritfressende SUV sind nach wie vor sehr beliebt.

Fazit: SUV sind Fahrzeuge, die viele wollen, aber kaum einer braucht - ein Bärendienst für Klimaschutz und umweltfreundliche Mobilität.

Klimaziele: Was will die EU?

Im Schnitt sollen neue Autos 2020 nur noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer aus dem Auspuff pusten, so der jüngste Vorschlag von EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard. Weil CO2-Ausstoß und Kraftstoffverbrauch direkt miteinander verknüpft sind, wird damit ein Flottenverbrauch von etwa vier Litern Kraftstoff auf 100 Kilometer Pflicht. Wer viele Kleinwagen baut, muss noch etwas sparsamer sein, für die Hersteller großer, schwerer Fahrzeuge gilt ein etwas höherer Zielwert.

Die Reaktionen auf den Vorschlag waren erwartbar: Die Autoindustrie sorgt sich um den Industriestandort Europa und will mit CO2-Verrechnungsmodellen, Öko-Innovationen und Super-Credits die ambitionierten Grenzwerte aufweichen. Zugleich fordern Umweltverbände einen schärferen Zielwert von 80 Gramm CO2 pro Kilometer. Das sei eine Herausforderung, aber machbar, sagt zum Beispiel der Verkehrsclub VCD. Immerhin erreichten einige Autos diesen Wert schon jetzt. Autofahrer profitieren nach Ansicht der EU-Kommission von ambitionierten Klimazielen. Zwar würden die Autos in der Anschaffung etwas teurer, das amortisiere sich aber durch niedrigere Spritkosten "nach ein paar Jahren".

Fazit: Beim Thema Auto stand Klimakanzlerin Angela Merkel oft auf der Klimabremse. EU-Grenzwerte gab's trotzdem und in deren Folge viele unverhofft sparsame Fahrzeuge. Geht doch.

Vielfalt: Wie viel Auto braucht der Mensch?

Für die Automobilindustrie hat ein Auto vier Plätze, vier Räder und wiegt mindestens eine Tonne. Sparsam wird es durch tolle Motoren, effiziente Getriebe und leicht laufende Reifen. Doch diese Art von Fortschritt hat physikalische Grenzen. Einen tonnenschweren Koloss durch einen vorgegebenen Normzyklus zu bewegen, braucht - selbst bei bester Antriebstechnik - jede Menge Energie. Keine besonders effiziente Angelegenheit, wenn es meist nur darum geht, eine einzelne Person von A nach B zu bringen.

Ein Weg aus dem Gewichtsdilemma heißt Abspecken. Renault macht's vor und stellt überraschend den elektrischen Zweisitzer Twizy auf die Straße. Aber ist dieses Fahrzeug - Türen gibt es nur als Zubehör, Seitenscheiben gar nicht - überhaupt ein Auto? Egal, denn der Twizy ist so schräg, dass er mit herkömmlichen Autos erst gar nicht verglichen werden will. Die Motorpresse reagiert ausgesprochen freundlich und die Passanten bei ersten Testfahrten sowieso. Möglicherweise ist die Zeit reif für neue Ideen zur motorisierten Mobilität, für sparsame Microautos, die man vielleicht besser gar nicht mehr Auto nennt.

Ein anderer Weg aus dem Gewichtsdilemma hat mit dem Smartphone zu tun, das jungen Leuten zunehmend wichtiger wird als der eigene Wagen. Denn Autos werden auch sparsamer, wenn sie besser ausgelastet sind, das heißt nicht nur einer, sondern zwei, drei, vier oder gar fünf Leute mitfahren. Die können sich inzwischen mit schlauen Navigations-Apps spontan verabreden und ganz bequem eine Fahrgemeinschaft bilden.

Fazit: Unsere Mobilität wird bunter, die Fahrzeuge werden passender zum Zweck. Statt vieler privater Fuhrparks könnten Carsharing-Konzepte eine Lösung sein.

Verkehrspolitik: Wie weiter?

Lange Zeit galt das Auto als erste Lösung aller Verkehrsprobleme, als Universalverkehrsmittel schlechthin. Das sieht selbst der ADAC inzwischen anders. Zwar heißt die Clubzeitschrift immer noch "Motorwelt", doch im Mai vergangenen Jahres titelte das Blatt keck "Platz da, für alle!", wobei mit alle nicht die 42 Millionen Autos, sondern die 73 Millionen Fahrräder der Deutschen gemeint waren. Auf sieben Seiten machte sich der Autoclub stark für "mehr Rad, mehr ÖPNV" in der Stadt.

Tatsächlich ist das Fahrrad ein wichtiger Baustein künftiger Verkehrskonzepte, gerade für Ballungsräume. Beispiele aus den Fahrradhochburgen in Deutschland (Münster), den Niederlanden (Groningen) und Dänemark (Kopenhagen) zeigen, dass das Fahrrad das Zeug zum Stadtverkehrsmittel Nummer eins hat. Voraussetzung ist eine entschiedene Förderung des Radverkehrs. 20 statt zwei Euro pro Einwohner müssten jährlich investiert werden, sagen Experten - immer noch deutlich billiger als Hochstraßen, U-Bahnen und Förderprogramme für Elektroautos.

Viele sehen in E-Bikes eine interessante Pendler-Alternative auch auf bergigen Strecken. Der Aktionsradius wächst auf rund 20 Kilometer. Im Entwurf des Nationalen Radverkehrsplans von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer kneift es immer da, wo von einer Förderung des Radverkehrs Privilegien des Autoverkehrs betroffen wären. Man traut sich nicht. Das gilt auch für die Empfehlung des wissenschaftlichen Beirates, Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in der Stadt einzuführen. Fürsprecher aus der SPD wurden harsch gestoppt, Parteichef Sigmar Gabriel twitterte: "Solche Fragen sollten Bundespolitiker lieber den Kommunalpolitikern überlassen." Womit Gabriel irrte, denn viele Städte wollen mehr Tempo 30, scheitern aber an überholten Vorschriften aus Berlin.

Fazit: Während noch viele Politiker meinen, dass alle nur Auto wollen, haben viele Menschen ihre persönliche Verkehrswende längst in Angriff genommen, fahren zum Beispiel mit dem Fahrrad zur Arbeit. Städte berichten von erheblichen Zuwachsraten.