Kapitalverkehr in der Türkei Zwangsumtausch gegen die Lira-Krise

Stand: 19.01.2022 12:07 Uhr

Firmen in der Türkei müssen seit kurzem ein Viertel ihrer Exporteinnahmen in Lira umtauschen. Das soll die Währung stützen und verschafft der Zentralbank Devisen. Doch den Unternehmen und dem Land drohen negative Folgen.

Seit Jahren bemüht sich die Regierung in Ankara händeringend um Direktinvestitionen. Ausländische Unternehmen, die einen Produktionsstandort mit vielen Arbeitsplätzen schaffen, sind für ein Schwellenland der nachhaltigste Motor für Wirtschaftswachstum. Um den Standort trotz mangelnder Rechtssicherheit und außenpolitischer Aggressionen anzupreisen, wurde eigens das Unternehmen "Invest in Turkey" geschaffen. Im Herbst 2021 war eine Delegation des deutschen Unternehmerverbandes BVMW in Istanbul. Das Interesse am Standort Türkei war auch aufgrund günstiger Personalkosten groß.

Doch jetzt irritiert der türkische Staat mal wieder mögliche Investoren. Am 3. Januar erließ der Staat ohne Vorankündigung ein Dekret und führte eine "mildere Form einer Kapitalverkehrskontrolle" ein, so Ulrich Leuchtmann, Analyst der Commerzbank. Danach müssen in der Türkei ansässige Firmen 25 Prozent ihrer Exporterlöse in Euro, Dollar oder Pfund an eine Privatbank verkaufen und bekommen dafür türkische Lira ausbezahlt. Die türkische Zentralbank legt für den Tausch den tagesaktuellen Wechselkurs fest.

Unter deutschen Geschäftsführern am Bosporus ist von "Zwangsumtausch" die Rede. Man wolle offenbar die klammen Devisenreserven der Zentralbank aufbessern, heißt es in Managerkreisen.

Devisenquelle für Lira-Stützung durch Zentralbank

Kapitalverkehrskontrollen sind für Investoren das Schreckgespenst schlechthin, denn diese führen unter Umständen zu massiven Gewinneinbußen. Zwischen Anfang Dezember und Anfang Januar stützte die Zentralbank in Ankara mit etwa 14 Milliarden US-Dollar die sich im Sturzflug befindende Lira. Die Opposition spricht von 20 Milliarden Dollar, weil auch Privatbanken in diesem Zeitraum ein erhebliches Volumen an Dollar verkauft haben sollen. Dieses Loch in der Kasse muss offenbar gestopft werden. Commerzbank-Analyst Leuchtmann befürchtet: "Wir werden zusätzliche Schritte in diese Richtung sehen, solange die Lira unter Druck bleibt."

Das wäre für Unternehmen wie den in Ankara produzierenden Automobilzulieferer "Farhym" ein Problem. Der in Baden-Württemberg aufgewachsene Geschäftsführer Bülent Akgöl erklärt, er habe viele türkische Lieferanten, die er in Lira bezahle, und er bezahle Gehälter seiner türkischen Arbeitnehmer in Lira. 25 Prozent aller Exportrechnungen, die über 30.000 US-Dollar liegen, seien für Farhym noch handhabbar, so Akgöl. 30 Prozent gingen auch noch. Alles darüber könnte Schwierigkeiten bereiten. Als er Anfang Januar das erste Mal vom Dekret und der Maßnahme hörte, habe er gezuckt. Weniger wegen der 25 Prozent, sondern weil man nicht wisse, was da noch komme.

Langfristiger Schaden zu befürchten

Commerzbank-Analyst Leuchtmann hält zwar Kapitalverkehrskontrollen prinzipiell für geeignet, den Abwertungsdruck der Lira zu mindern. Doch bestehe die Gefahr, dass die Türkei als Investitionsstandort für ausländisches Kapital dauerhaft wenig attraktiv werde. Der langfristige Schaden wäre erheblich, so Leuchtmann, denn die Türkei sei auf die Zufuhr von Kapital angewiesen.

Geschäftsführer ausländischer Unternehmen sind in der Türkei mit regierungskritischen Kommentaren üblicherweise zurückhaltend. Man weiß, wie schnell sich die türkische Seele angegriffen fühlt. Thilo Pahl, Geschäftsführer der deutsch-türkischen Industrie- und Handelskammer, spricht stellvertretend für knapp 900 Firmen. Die neue Regulierung verunsichere die Unternehmen und reduziere vielfach die Erträge, warnt Pahl. Der vorgeschriebene Umtausch von Exporterlösen in Lira führe bei einem Rücktausch in Fremdwährung zu Kursverlusten. Eine Maßnahme zur Förderung von zusätzlichen Investitionen in der Türkei sei diese neue Regulierung sicherlich nicht, so Pahl. Kein gutes Zeugnis für die ständig um Direktinvestitionen werbende türkische Regierung.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 04. Januar 2022 um 17:25 Uhr.