Stabilitätspakt: Deutschland könnte ins Visier geraten Auch dem Musterschüler droht ein Rüffel

Stand: 29.09.2011 02:29 Uhr

Mit der am Mittwoch beschlossenen Verschärfung des Stabilitätspakts könnte auch Deutschland ins Visier der EU-Kommission geraten - und zwar wegen seiner wirtschaftlichen Erfolge. Denn übermäßige Exportüberschüsse gehören zu den Ungleichgewichten, die künftig abgebaut werden sollen.

Von Marin Bohne, MDR-Hörfunkkorrespondent Brüssel

Wenn die EU erneuten Krisen vorbeugen will, dann richtet sich der Blick nicht mehr nur auf den Schuldenstand. Man will an die Wurzel der Probleme heran - und die sieht man in der auseinanderklaffenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Euroländer. "Makroökonomische Ungleichgewichte" haben die Brüsseler Experten in ihrer gewohnt sperrigen Art dieses Phänomen getauft. "Und dass das jetzt überwacht und sanktioniert werden kann, das ist der große Durchbruch dieses Pakets", freut sich Sven Giegold von der grünen Fraktion im Europaparlament.

Die Strafen, die einem Land in letzter Konsequenz drohen, wenn es zu wenig tut, um seine Wirtschaft auf Vordermann zu bringen, haben es durchaus in sich: Bis zu 0,1 Prozent des Bruttosozialprodukts können es sein. Im Falle Deutschlands wären das immerhin 2,5 Milliarden Euro.

Nicht nicht nur die lahmen Enten müssen einen Rüffel fürchten

Einen Fall Deutschland wird es ja aber wohl nicht geben, sollte man meinen. Schließlich ist Deutschland derzeit Europas Wirtschaftsmusterschüler. Aber ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Nicht nicht nur die lahmen Enten müssen einen Rüffel aus Brüssel fürchten, auch die erfolgreichen Länder mit großen Exportüberschüssen und kleinen Lohnzuwächsen. Denn die stören auch das Gleichgewicht in der Eurozone, meint Giegold. "Ich bin der Meinung, dass die deutsche Lohnzurückhaltung eines der zentralen Ursachen der Probleme ist, die wir heute haben. Deutschland mit über 500 Milliarden Euro Exportüberschüssen allein in die Länder der Eurozone."

Sven Giegold (Archivfoto)

Hält die Lohnzurückhaltung in Deutschland für eines der Hauptprobleme: Der Grüne Sven Giegold

Die deutschen Überschüsse führen zu entsprechenden Defiziten bei den anderen. Und aus Defiziten in der Leistungsbilanz werden Schulden. "Und das steht auch explizit im Text, dass die Überschussländer wie Deutschland die Nachfrage steigern sollen, etwa durch Mindestlöhne, durch Investitionen in Bildung, durch Investitionen in ökologischen Umbau", so der Grüne Giegold.

Unterschiedliche Schlüsse aus Lektüre des Gesetzestextes

Das ist allerdings so gar nicht nach dem Geschmack der Bundesregierung. Die hält es für geradezu absurd, dass man die Wachstumslokomotiven zwingen könnte, auf die Bremse zu treten. Und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat seine Zustimmung zum gesamten Reformpaket immer von der Zusicherung abhängig gemacht, dass es zumindest keine Sanktionen geben dürfe. Der Chef der CDU/CSU-Abgeordneten im Europaparlament, Werner Langen, sieht das so: "Das war eine der Hauptstreitpunkte mit dem Rat, mit Deutschland, mit dem Parlament. Und die jetzt gefundene Formulierung erlaubt es, Sanktionen für mangelnde Wettbewerbsfähigkeit zu erlassen, aber nicht für gute Wettbewerbsfähigkeit."

Die Kommission habe das Recht, Maßnahmen vorzuschlagen, "aber sie hat kein Recht, das durchzusetzen", so CDU-Mann Langen. Der Grüne Sven Giegold zieht aber ganz andere Schlüsse aus der Lektüre des nun verabschiedeten Gesetzes: "Der Rechtstext ist ganz eindeutig: die Kommission ist frei, solche Sanktionen vorzuschlagen."

Wie dem auch sei - politisch ist es wohl völlig unvorstellbar, dass die EU-Kommission Deutschland mit Sanktionen drohen könnte. Auch wenn Sven Giegold dafür sorgen will: "Sie können sich sicher sein, dass die entsprechenden Daten bei mir schon in der Schublade liegen und die diesbezüglichen Termine bei der Kommission sind schon terminiert."