Steigende Zinsen für Staatsanleihen Ist der Finanzkollaps noch zu stoppen?

Stand: 24.05.2013 10:59 Uhr

Seit Ausbruch der Schuldenkrise müssen verschiedene Staaten Rekordzinsen zahlen, um sich von Investoren Geld zu leihen. Selbst AAA-Staaten der Eurozone kämpfen teilweise mit steigenden Risikozuschlägen. Wie kommt das, was bedeutet das - und gibt es einen Ausweg?

Von Ralph Sartor, tagesschau.de

Wie kommen die Zinssätze zustande?

Wenn sich Staaten Geld leihen wollen, müssen sie den Investoren Zinsen anbieten. Die richten sich danach, wie lange das Geld verliehen werden soll, wie hoch die Summe ist und wie viel Vertrauen die Investoren in die Zahlungsfähigkeit eines Staates haben. Sprich: Wenn potenzielle Geldgeber zweifeln, dass sie ihr Geld nach Ablauf der vereinbarten Frist zurückbekommen, verlangen sie höhere Zinsen. Und da das Risiko bei längeren Laufzeiten größer ist, müssen beispielsweise für zehnjährige Staatsanleihen in der Regel mehr Zinsen gezahlt werden als für fünfjährige oder zweijährige Bonds.

Daneben gibt es den sogenannten Sekundärmarkt. Hier werden bereits ausgegebene Anleihen gehandelt. Diese besitzen zwar bereits ein festen Zinssatz - nämlich den Satz, zu dem die Anleihe ausgegeben wurde. Hier bildet sich dann aber der Preis über Abschläge - Investoren zahlen für eine Anleihe über 100 Euro beispielsweise nur noch 97 Euro. Aus dem festen Zinssatz und diesem Kurs errechnet sich dann die Rendite - und die ist wiederum der Orientierungspunkt für Anleger, wenn neue Anleihen ausgegeben werden.

Warum sind die Zinssätze für die Euroländer so unterschiedlich?

Auch hier ist die wichtigste Währung das Vertrauen. Bei deutschen Anleihen ist das Vertrauen der Anleger momentan fast unendlich groß. Entsprechend wenig muss Deutschland anbieten, um Geld geliehen zu bekommen. Das gilt zum Beispiel für Frankreich nur mit Abstrichen - und bei Italien und Spanien sind die Abstriche noch größer. Je weniger Vertrauen in die Rückzahlfähigkeit da ist, um so größer müssen die Anreize sein. Die Anleger verlangen einen Risikozuschlag bei der Höhe der Zinsen. Und dieses Vertrauen in die Rückzahlfähigkeit ist momentan in der Eurozone so unterschiedlich wie selten zuvor - deswegen sind die Spreads, also die Differenz zwischen den Zinssätzen verschiedener Länder, so groß.

Warum steigen die Zinsen in der Schuldenkrise?

Das Vertrauen in nahezu die gesamte Eurozone schwindet seit Beginn der Schuldenkrise - vor allem das Vertrauen, dass die Politik die Schuldenkrise in den Griff bekommt. Zu viele Lösungsversuche waren zu halbherzig, zu spät oder zu unglaubwürdig. Und auch die Bereitschaft in den kriselnden Staaten, wirklich und ernsthaft etwas für den Defizit- und Schuldenabbau zu tun, ließ aus Sicht der potenziellen Geldgeber sehr zu wünschen übrig.

Ein weiterer Punkt ist das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit eines Landes. Ein Staat, dessen BIP wächst, kann Schulden eher zurückzahlen als ein Staat, dessen Wirtschaft stagniert oder sogar schrumpft. Auch das ist ein Grund, warum etwa Spanien Schwierigkeiten an den Kapitalmärkten hat - die Wirtschaft lebte sehr stark von einem jahrelangen Immobilienboom. Doch seit der vorbei ist, fragen sich die Anleger, welche Industrien und Branchen künftig für Wachstum sorgen sollen.

Dazu kommt: Früher galten Staatsanleihen generell als sehr sicher, vor allem auch die europäischen. Doch genau da ist im Zuge der Schuldenkrise etwas passiert, was für viele undenkbar war: Die privaten Investoren mussten bei griechischen Papieren einem Schuldenschnitt zustimmen. Sprich: Wer Griechenland Geld geliehen hat, bekommt es nicht vollständig zurück.

So sehr dieser Schritt vielleicht für das Gerechtigkeitsempfinden - Stichwort: Private Investoren sollen auch für die Krise zahlen - richtig war, das Vertrauen in die Eurozone hat er noch weiter zerstört. Und insbesondere das Vertrauen in die Krisenländer.

Warum müssen auch als sicher geltende Länder teils höhere Zinsen zahlen?

Zum einen ist - siehe oben - generell die Bereitschaft zurückgegangen, in Anleihen aus der Eurozone zu investieren, die derzeit allenfalls mäßig attraktiv erscheint. Zum anderen geht die Angst vor dem Ansteckungseffekt um: Die Krise eines Landes lässt die Anleger auch das Vertrauen in ein anderes oder mehrere andere Länder verlieren, und dieses mangelnde Vertrauen stürzt das Land noch tiefer in die Krise. Das wiederum könnte das nächste Land gefährden - ein Domino-Effekt droht, ausgelöst durch eine Vertrauenskrise.

Doch dieser Domino-Effekt kann auch durch ganz reale Ereignisse ausgelöst werden: Ein Land kann seine Schulden nicht mehr zurückzahlen, das reißt Löcher an anderer Stelle - etwa bei Banken eines Nachbarstaates, die dann von diesem Staat gestützt werden müssen. Das wiederum könnte diesen diesen Staat in Schwierigkeiten bringen - und so weiter.

Und, um im Bild zu bleiben, ein ganz großes Dominospiel haben die Europäer mit ihren Rettungsschirmen, Krediten und Bürgschaften aufgebaut. Wenn diese Kredite von den Krisenstaaten nicht mehr zurückgezahlt werden können, müssen die anderen Staaten haften - für Kredite und Bürgschaften. Und das könnte auch die Staaten gefährden, die noch als sicher gelten. Je größer die Angst potenzieller Geldgeber vor einem solchen Szenario ist, umso mehr werden sie auch von den Staaten Risikozuschläge verlangen, die heute noch keiner mit unsicherer Rückzahlung in Verbindung bringt. Ein ähnlicher Mechanismus greift auch bei der Europäischen Zentralbank: Die hat, um die Märkte zu stützen, Staatsanleihen von Euro-Krisenstaaten im großen Stil gekauft. Auch da gilt: Letztlich haften die Steuerzahler der Staaten, die an der EZB beteiligt sind, in der Höhe ihrer Beteiligung - Deutschland beispielsweise mit 27 Prozent.

Die Angst vor genau diesen Mechanismen und Szenarien hat dazu geführt, dass zwischenzeitlich auch die Zinsen für Finnland, Österreich oder die Niederlande stiegen.

Welche Folgen haben die steigenden Zinsen?

Welche Folgen haben die steigenden Zinsen?

Vorweg: Kurzfristig sind die Folgen zunächst überschaubar. Wenn die Zinsen für Spanien auf sieben Prozent steigen, bedeutet das nicht, dass es nun für seine Gesamtschulden auf einen Schlag sieben Prozent Zinsen zahlen muss - sondern eben nur für den Teil, der gerade neu finanziert werden musste. Für knapp sieben Prozent lieh sich Spanien zum Beispiel im Sommer 2012 rund 3,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Gesamtverschuldung lag laut IWF Ende 2010 bei knapp 640 Milliarden Euro.

Und auch die oft als "kritisch" bezeichnete Grenze von sieben Prozent gibt es nicht. Italien musste in den Neunzigerjahren deutlich höhere Zinsen bezahlen - und selbst Deutschland verzinste seine Staatsanleihen in den ersten Jahren nach der Einheit mit mehr als sieben Prozent. "Das ist nicht erfreulich, aber ein Land von der Stärke Italiens kann das kurzfristig ohne jede Schwierigkeit meistern", sagt zum Beispiel Jörg Asmussen. Generell gilt: Ein Land, das stark wächst oder zumindest Wachstumspotenzial hat, kann zumindest kurz- und mittelfristig problemlos höhere Zinssätze verkraften. Ein Land, dessen Wirtschaft schrumpft, wird schon erhebliche Probleme bei deutlich niedrigeren Zinssätzen bekommen.

Langfristig sieht das allerdings anders aus - denn je länger ein Land hohe Zinsen zahlen muss, umso höher wird auch der Durchschnittszins für die Gesamtverschuldung. Ein Land, das 100 Milliarden Euro zu höheren Zinsen aufnehmen musste, zahlt für jeden Prozentpunkt, um den die Zinsen gestiegen sind, eine Milliarde Euro Zinsen mehr - und das pro Jahr.

Welche Folgen hat die Krise für Deutschland?

Deutschland hat in der Schuldenkrise bereits erhebliche Verpflichtungen übernommen - etwa bilaterale Kredite an Griechenland im Rahmen des ersten Griechenland-Pakets, die Beteiligung am EFSF, die Haftung im Rahmen der EZB und hinzu kommt noch der dauerhafte Rettungsschirm ESM. Reale Verluste kommen aus dem Schuldenschnitt für Griechenland, an dem sich zwar der Staat nicht direkt beteiligt - aber die Verluste zum Beispiel der HRE-Bad-Bank FSM aus dem Schuldenschnitt gehen eins zu eins zu Lasten der Steuerzahler.

Bei allen anderen Verpflichtungen handelt es sich zumindest bisher nur um Verpflichtungen - in Form von Krediten oder Bürgschaften. Werden die alle bedient, gibt es keine weiteren Belastungen - aber das ist absolut noch nicht absehbar. Theoretisch sind auch Belastungen im hohen dreistelligen Milliardenbereich denkbar.

Bislang ist Deutschland vor allem Krisenprofiteur. Gerade weil das Vertrauen in viele Länder wackelt, konzentriert sich das Anlegerinteresse auf das Land, das als "sicherer Hafen" gilt. Sprich: Alle, die in der Eurozone Geld verleihen wollen, wollen es am liebsten an Deutschland verleihen. Und das führt dazu, dass die Zinsen für deutsche Anleihen immer weiter sinken. Die Umlaufrendite, also die durchschnittliche Verzinsung aller deutschen Papiere, liegt seit Mai 2012 meist unterhalb der Marke von 1,5 Prozent. Selbst zehnjährige Staatsanleihen werfen für die Anleger gerade mal um die 1,3 Prozent Zinsen ab - und für Papiere mit Laufzeiten von bis zu zwei Jahren lag der Zinssatz nun schon mehrfach bei null Prozent - oder sogar darunter. Deutschland gilt unter den Anlegern also als so sicher, dass sie sogar reale Verluste in Kauf nehmen, nur um Deutschland Geld leihen zu können - denn die Inflationsrate liegt zurzeit klar über den Zinsen.

Die Folgen sind also bislang vor allem für den Bundesfinanzminister spürbar - er kann die deutschen Schulden so günstig finanzieren wie kaum je zuvor. Und bislang zumindest hält das Vertrauen der Anleger in Deutschland - selbst als die Zinsen der anderen AAA-Staaten erstmals stiegen, sanken die deutschen Zinsen weiter. Noch haben die Investoren also keine Angst, dass sich Deutschland ansteckt.

Sind steigende Zinsen nur schlecht?

Steigende Zinsen können auch eine positive Wirkung haben - nicht nur für Anleger. Staaten, die seit Jahren Probleme vor sich herschieben, werden nun gezwungen, ihre Haushaltsprobleme endlich anzugehen, statt sie immer weiter auf künftige Generationen abzuschieben. Und umgekehrt: Sehr niedrige Zinsen bremsen den Drang, nötige aber vielleicht unpopuläre Entscheidungen anzugehen und verführen die Politik eher dazu, sich das Wohlwollen des Wahlvolks über Steuererleichterungen oder Subventionen zu erkaufen. So geht es in der aktuellen Diskussion im Niedrigzinsland Deutschland nicht primär ums Sparen - obwohl auch Deutschland seit Jahren mit der Höhe seiner Gesamtverschuldung gegen die Maastricht-Kriterien verstößt. Gestritten wird stattdessen über Steuersenkungen.

Was könnte helfen?

Was könnte helfen?

Dennoch sind die Zinsen für viele Eurostaaten mittel- und langfristig zu hoch, das Misstrauen der Geldgeber zu groß. Um das wieder zu ändern, gibt es genau einen Königsweg: Die Staaten der Eurozone müssen das Vertrauen wieder herstellen. Das Vertrauen auf Wachstum, auf einen Abbau der Defizite, auf einen Abbau der Gesamtverschuldung und darauf, dass der Schuldenschnitt für Griechenland eine einmalige Aktion ist. Und das Vertrauen auf eine zumindest abgestimmte, an klaren Kriterien orientierte Wirtschaftspolitik, die Situationen wie momentan von vorneherein verhindert. Doch ob die EU oder zumindest die Eurozone dazu in der Lage ist, genau daran zweifeln die Märkte angesichts des bisweilen katastrophalen Krisenmanagements. Und selbst wenn es gelingt, das Vertrauen wiederherzustellen, wird das Zeit brauchen. Und deswegen muss es eine Lösung geben, die die Staatsfinanzierung der Eurostaaten jetzt und in den kommenden Wochen und Monaten ermöglicht.

Deswegen wird der Ruf nach der EZB immer lauter - für viele die einzige Institution, die in der Schuldenkrise Handlungsfähigkeit bewiesen hat. Bereits jetzt kauft sie massiv Staatsanleihen auf - allerdings nicht bei deren Erstausgabe, sondern an den Sekundärmärkten, um so die Renditen für Krisenstaaten nach unten zu drücken. Die Folge ist, dass die Notenbank Staatsanleihen in dreistelliger Milliardenhöhe in den Kellern liegen hat. Und sie hat damit immer nur für kurze Zeit für Entspannung gesorgt - ein Strohfeuer, das vielleicht bei kleineren Staaten wie Portugal hilft, das aber bei Staaten wie Italien an seine Grenzen stößt. Und bislang nimmt sie bei diesen Käufen an anderer Stelle wieder Geld aus dem Markt, so dass sich die Geldmenge und damit die Inflationsgefahr nicht zu sehr erhöht.

Doch diese Zurückhaltung solle die EZB aufgeben - ähnlich wie die US-Notenbank FED, fordern zum Beispiel die USA, aber auch einige europäische Staaten. Sie verlangen, dass die EZB direkt Staatsanleihen kauft, als "lender of last resort" - also Kreditgeber letzter Instanz. Sie stoßen dabei auf entschiedene Ablehnung vor allem in Deutschland. Dort verweisen Regierung und Bundesbank immer wieder darauf, dass die Statuten der EZB genau das verbieten. Denn sie darf keine Staaten direkt finanzieren - und ihre Aufgabe ist es, für Geldwertstabilität zu sorgen. Kritiker sehen bereits im Kauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt den Sündenfall.

Eine weitere Möglichkeit wären gemeinschaftliche Staatsanleihen, die sogenannten Eurobonds, die zum Beispiel EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und das Europaparlament fordern. Sie würden das Spekulieren gegen einzelne Länder sofort beenden, weil alle Euroländer gemeinsam für die Rückzahlung einstehen würden. Doch auch hier kommt ein striktes Nein, vor allem aus Deutschland - die Eurobonds verstießen gegen den Maastricht-Vertrag, der in seiner "No-Bailout-Klausel" das Eintreten eines Staates für die Schulden eines anderen Staates verbietet - doch genau das geschieht ja bereits via Rettungsschirm und gegenseitiger Hilfe, es wird nur anders bezeichnet. Ein weiteres Argument der Gegner: Der Anreiz für Krisenstaaten, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen, falle weg. So gilt auch dieser Vorschlag als momentan nicht durchsetzbar.

Was wird nun in der Eurozone passieren?

Der Lösungsversuch der Europäer wird wohl ein Mix aus vielen Elementen sein - aus Sparhaushalten, Rettungsschirmen, Stützungskäufen und politischen Veränderungen hin zu mehr gemeinsamer Wirtschaftspolitik. Oder, um es mit Kanzlerin Merkel zu sagen: "Auf Sicht fahren". Und wenn das nicht reicht? Dann wird wohl doch die EZB einspringen. Sie kündigte im September 2012 an, Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe auf dem Sekundärmarkt aufzukaufen, so weit es für die Rettung der Gemeinschaftswährung notwendig sei.