Gesetzliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro Ein Mindestlohn, viele Ausnahmen

Stand: 03.07.2014 15:29 Uhr

Nach zehnjährigem Kampf der Gewerkschaften wird der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland nun Realität. Es ist ein Mindestlohn mit Ausnahmen und Übergangsregelungen. tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.

Wann tritt der Mindestlohn in Kraft und für wen wird er gelten?

Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro soll zum 1. Januar 2015 eingeführt werden und grundsätzlich für alle Branchen und Regionen gelten. Sind in einzelnen Branchen aber Vereinbarungen getroffen worden, die unterhalb der 8,50 Euro liegen, können diese noch bis Ende 2016 fortbestehen.

Wo gibt es in Deutschland bereits einen Mindestlohn?

Bislang gibt es in Deutschland, anders als in vielen anderen europäischen Ländern, keinen gesetzlichen Mindestlohn. Das deutsche Grundgesetz garantiert in Art. 9, Abs. 3 die Tarifautonomie. Das bedeutet: Die Tarifparteien haben das Recht, Löhne ohne staatliche Eingriffe auszuhandeln. Die Tarifparteien können aber Mindestlöhne bzw. Lohnuntergrenzen vereinbaren. Wenn eine solcher Tarifvertrag für allgemein verbindlich erklärt wird, gilt er auch für nicht tarifgebundene Arbeitgeber und -nehmer.

Solche branchenspezifischen Mindestlöhne gibt es in 14 Branchen: Baugewerbe, Bergbau, Aus- und Weiterbildung, Dachdecker, Elektrohandwerk, Gebäudereinigung, Maler und Lackierer, Pflege, Sicherheitsdienstleistungen, Wäschereidienstleistungen, Abfallwirtschaft, Steinmetze, Frisörhandwerk und Zeitarbeit. Insgesamt erhalten in Deutschland etwa 3,9 Millionen Beschäftige einen tariflich abgesicherten Mindestlohn von mindestens 7,50 Euro pro Stunde.

Verboten sind in Deutschland sittenwidrige Löhne. Sittenwidrig ist ein Lohn dann, wenn er weniger als zwei Drittel des Tariflohns beträgt, der in Branche und Region üblicherweise gezahlt wird. Sittenwidrige Löhne sind nichtig. An ihre Stelle tritt der Anspruch auf die übliche Vergütung.

Welche Ausnahmen vom Mindestlohn gibt es?

Der Mindestlohn gilt nicht für Jugendliche unter 18 Jahren. Durch diese Altersgrenze soll vermieden werden, dass sich junge Leute einen Job suchen anstatt eine - in der Regel schlechter bezahlte - Ausbildung zu absolvieren. Auszubildende bekommen keinen Mindestlohn.

Wer nach mindestens zwölfmonatiger Arbeitslosigkeit einen neuen Job bekommt, hat in den ersten sechs Monaten ebenfalls keinen Anspruch auf den Mindestlohn. Damit soll der Anreiz für Arbeitgeber erhöht werden, Erwerbslose einzustellen. Die Regierung will aber überprüfen, ob diese Ausnahme die Chancen von Langzeitarbeitslosen tatsächlich erhöht.

Pflichtpraktika sowie freiwillige Praktika von bis zu drei Monaten sind während Ausbildung oder Studium von der Mindestlohnregelung ausgenommen. Nach Abschluss der Ausbildung oder des Studiums gilt der Mindestlohn grundsätzlich auch für Praktikanten - es sei denn, sie wollten in einem anderen als dem bis dahin erlernten Beruf ihre beruflichen Kenntnisse vertiefen.

Für wen gibt es Übergangsregelungen?

Für einige Bereiche gibt es Übergangregelungen bis 2017. So können Branchen mit länger laufenden Tarifverträgen von der gesetzlichen Lohnuntergrenze für zwei weitere Jahre nach unten abweichen. Spätestens Ende 2016 ist damit dann aber auch Schluss - dann gilt bundesweit der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro flächendeckend.

Für Saisonarbeiter etwa in der Landwirtschaft oder in der Gastronomie gilt der Mindestlohn von 8,50 Euro bereits ab 2015. Allerdings wird die kurzfristige Beschäftigung, in denen sie von der Sozialversicherungspflicht befreit sind, von 50 auf 70 Tage ausgeweitet, befristet auf vier Jahre. Die Verrechnung von Kost und Logis wird erleichtert.

Für Zeitungszusteller wird der Mindestlohn von 8,50 Euro zwischen 2015 und 2017 stufenweise eingeführt. Den Angaben zufolge müssen Verleger für ihre Mini-Jobber im ersten Jahr nur 75 Prozent des Mindestlohns von 8,50 Euro zahlen, im zweiten Jahr sollen es dann 85 Prozent sein. Von 2017 an gilt der Mindestlohn von 8,50 Euro dann auch für Zeitungszusteller.

Welche gesetzliche Grundlage ermöglicht den Mindestlohn?

Die hierzulande gängige Grundlage für Lohnuntergrenzen in einzelnen Branchen ist das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Damit setzte die Bundesregierung 1996 eine EU-Richtlinie um: Nach der Öffnung des Arbeitsmarktes in Europa sollte verhindert werden, dass es zu Lohndumping kommt, falls ausländische Arbeitnehmer zwar höher als in ihren Heimatländern bezahlt werden würden, aber (sehr viel) niedriger als in Deutschland üblich.

Die tariflich vereinbarten Branchenmindestlöhne sollen mit einem erweiterten Geltungsbereich des Entsendegesetzes künftig allen Branchen zur Verfügung stehen. In der Einführungsphase des gesetzlichen Mindestlohns schafft diese Neuregelung die Möglichkeit, in einzelnen Branchen Tarifverträge unter dem Niveau von 8,50 Euro einzuführen. Sie gelten dann bis Ende 2016.

Wer kontrolliert, dass der Mindestlohn eingehalten wird?

Der Zoll und andere Behörden können in Unternehmen kontrollieren, ob der Mindestlohn tatsächlich gezahlt wird. Dafür dürfen sie Arbeitsverträge und Geschäftsunterlagen einsehen. Für diesen Zweck sollen bei der Zollverwaltung 1600 Mitarbeiter zusätzlich eingestellt werden. Wenn Arbeitgeber keinen Mindestlohn zahlen, droht ihnen ein Bußgeld.

Wann und wie stark steigt der Mindestlohn?

Über eine Anhebung soll die Mindestlohnkommission entscheiden. Dem Gremium gehören neben dem Vorsitzenden sechs weitere stimmberechtigte Mitglieder an - je drei von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Hinzu kommen zwei beratende Mitglieder ohne Stimmrecht. Die Kommission muss bis Juni 2017 festlegen, ob der Mindestlohn zum 1. Januar 2018 erstmals erhöht wird. Danach soll jährlich über eine Anpassung entscheiden werden. Arbeitgeber und Gewerkschaften meinen aber, dass eine Anhebung alle zwei Jahre sinnvoller sei. Maßstab für die Erhöhung soll die Entwicklung der Tariflöhne in den vorangegangenen zwei Jahren sein.

Was sagen Opposition, Gewerkschaften und Arbeitgeber zu den Plänen?

Die Linkspartei fordert eine Lohnuntergrenze von mindestens zehn Euro, die jährlich zumindest in dem Maße ansteigen soll, wie die Lebenshaltungskosten steigen. Wenn in einer Branche der unterste Tariflohn über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt, soll dieser für allgemeinverbindlich erklärt werden. Fraktionsvize Klaus Ernst lobte das Gesetz aber als einen "großen Fortschritt". Auch die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer nannte den Einstieg in einen gesetzlichen Mindestlohn einen "extremen gesellschaftlichen Fortschritt".

Die Gewerkschaften fordern, dass es keine Ausnahmen beim Mindestlohn geben dürfe.

Die Arbeitgeber wenden sich gegen jede Form gesetzlich verordneter Mindestlöhne und berufen sich auf die Tarifautonomie. Wegen dann steigender Arbeitskosten gehen sie davon aus, Arbeitsplätze abbauen zu müssen.

Gehen durch den Mindestlohn möglicherweise Arbeitsplätze verloren?

Das Bundesarbeitsministerium argumentiert, es habe bisherige Branchen-Mindestlöhne überprüft und dabei keine nennenswerten Arbeitsmarkt-Effekte festgestellt: weder positive noch negative. Das ifo-Institut befürchtet hingegen, dass bis zu 900.000 Arbeitsplätze wegfallen könnten. Der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband rechnet "mit der Vernichtung von mindestens 50 000 Jobs», da die Mehrkosten - anders als in anderen Bereichen - nicht sofort an die Kunden weitergegeben werden könnten.

In welchen EU-Ländern gelten Mindestlöhne?

In 21 der 28 EU-Mitgliedsstaaten gilt ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn - allerdings in sehr unterschiedlichen Höhen. Spitzenreiter ist Luxemburg mit einer Lohnuntergrenze von 10,83 Euro, gefolgt von Frankreich, Belgien und den Niederlanden mit einem Mindestlohn von rund neun Euro. Im Mittelfeld liegen Spanien (3,91 Euro), Griechenland (3,35 Euro), Portugal (2,92 Euro) und Polen (umgerechnet 2,21 Euro). Die Schlusslichter sind Bulgarien (umgerechnet 0,95 Euro) und Rumänien mit umgerechnet 0,92 Euro.

Quellen: dpa, Reuters, AFP