Hintergrund

Das Erdgas und die Politik Gazprom - der Energiekonzern des Kremls

Stand: 25.11.2015 10:41 Uhr

Die größten Erdgasreserven der Welt liegen in Russland, der nach Börsenwert drittgrößte Energiekonzern auch: Gazprom. Das Unternehmen kontrolliert nicht nur den russischen Gasmarkt, das Exportgeschäft und die Pipelines, sondern mischt sich mit wirtschaftlichen Entscheidungen auch in die Politik ein – auf Weisung des Mehrheitsaktionärs, des Kremls.

Von Britta Scholtys, tagesschau.de

Die Empörung in Westeuropa war groß, als der russische Erdgaskonzern Gazprom den EU-Ländern Anfang des Jahres damit drohte, den Gashahn zuzudrehen, sollten sie die Markterweiterung des Energieriesen und seinen Einstieg in das Geschäft mit den europäischen Endverbrauchern verhindern. Vorangegangen waren britische Bemühungen, Gazprom vom Vordringen auf den heimischen Markt abzuhalten. Der Stil der Russen war schlecht, und zurecht wies die EU-Kommission die Drohung zurück. Der Gaslieferant müsse seine Verträge einhalten, so die Mahnung aus Brüssel. Gazprom-Vertreter erklärten dann auch kurz darauf, eine Drosselung der Lieferungen sei ausgeschlossen. Gazprom sei ein zuverlässiger Partner.

Allerdings wäre es nicht das erste Mal, dass der staatlich kontrollierte Konzern am Gashahn drehte, um außen- oder wirtschaftspolitische Interessen Moskaus durchzusetzen. So wurden zum Beispiel die Gaslieferungen an die Ukraine eingestellt, als das Land wegen der „Revolution in Orange“ beim Kreml in Ungnade fiel. Viele der einstigen Ostblockstaaten hängen vom Gas der Russen noch heute ab: Ukraine, Weißrussland, Turkmenistan, Polen, Ungarn oder Bulgarien. Der Gazprom-Konzern kontrolliert den russischen Gasmarkt, das Exportgeschäft, und er besitzt das Monopol auf die durch Russland führenden Gaspipelines aus Zentralasien. Unabhängige russische Gasproduzenten sowie die zentralasiatischen Anbieter werden so vom direkten Exportgeschäft ferngehalten.

Gazprom als Instrument der Politik

Mit wirtschaftlichen Entscheidungen mischt sich Gazprom in die Politik ein – außen wie innen. So übernahm das Unternehmen im Jahr 2001 den wichtigsten unabhängigen Fernsehsender NTW mit der Begründung, er habe seine Schulden bei Gazprom nicht zurückgezahlt. NTW hatte bis dahin stets kritisch über die russische Politik in der abtrünnigen Kaukasus-Republik Tschetschenien berichtet. Nach der Übernahme blieb diese Kritik aus.

Heute gehören zum Gazprom-Imperium nicht nur Erdgas, Pipelines und Beteiligungen im Öl- und Strombereich, sondern auch Medien- und Telekommunikationsunternehmen sowie Kreditinstitute. Mit mehr als 350.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von umgerechnet etwa 28 Milliarden Euro ist der 1992 in eine Aktiengesellschaft umgewandelte Konzern ein Gigant. Vom Börsenwert ist Gazprom mit rund 215 Milliarden Euro weltweit das zweitgrößte Energieunternehmen, übertroffen nur noch vom US-Unternehmen Exxon Mobil.

Management im Interesse des Kreml

Doch unter Präsident Wladimir Putin dient das einstige sowjetische Staatsunternehmen dem Kreml wieder als politisches Instrument. An der Spitze des Konzerns steht Alexej Miller, ein enger Vertrauter Putins und einstiger Vize-Energieminister. Vize-Ministerpräsident Dmitri Medwedjew, ebenfalls enger Putin-Gefolgsmann, sitzt dem Aufsichtsrat vor. Der Sohn von Verteidigungsminister Sergei Iwanow wurde zum Vize-Chef der Gazprom-Bank ernannt.

Konzern-Chef Miller sicherte im Sommer 2005 dem Kreml die Mehrheit der Gazprom-Aktien. Seither gehört das Unternehmen zu 51 Prozent dem russischen Staat – und der diktiert. Zwei Drittel seiner Gasförderung muss der Konzern auf dem Inlandsmarkt absetzen - mit Verlust, denn auf dem Binnenmarkt ist der Gaspreis reguliert. Der Marktzutritt von Konkurrenten wird dadurch weitgehend verhindert. Zudem bewirkt das niedrige Preisniveau von Erdgas in Russland dessen breiten Einsatz als industriellen Brennstoff und in der Elektrizitätserzeugung. Gazprom ist einer der wichtigsten Steuerzahler Russlands geworden, aber auch eine der wichtigsten Devisenquellen.

Hüter der weltweit größten Gasreserven

Mit rund 48.000 Milliarden Kubikmetern Erdgas verfügt Russland weltweit über die größten Gasreserven, Gazprom ist deren Hüter. Das Gasunternehmen ist der größte Erdgasförderer der Welt - und die Nachfrage nach dieser Energiequelle steigt. Bis zum Jahr 2030 werde sich der weltweite Verbrauch von Erdgas verdoppeln, schätzt die Internationale Gas Union. Besonders die "Tigerstaaten" in Asien brauchen für ihre boomenden Wirtschaften das Erdgas. Sie will Gazprom – und damit Russland – sich als dauerhafte Abnehmer sichern.

Ziel ist es, zum führenden globalen Energiekonzern werden. Dazu gehört einerseits, das Exportgeschäft auf Länder wie Indien, China und Nordamerika auszuweiten und andererseits in das Endverteilergeschäft einsteigen. Denn neben der Belieferung ist vor allem die Verteilung des Gases an Haushalte und Industriekunden profitabel. Außerdem will Gazprom seine Abhängigkeit vom Großkunden Europa verringern. 90 Prozent des russischen Gas- und Ölexports gehen bislang nach Europa.

Gazprom braucht Europa

Russland ist also nach wie vor auf den europäischen Markt angewiesen. Insofern besteht für die EU-Länder bislang kein Grund zur Panik, Gazprom könnte den Export drosseln - auch wenn sie derzeit ein Viertel ihrer Gasimporte aus Russland beziehen. Die Pipelines nach China oder Indien müssen erst noch gebaut werden. Zudem verändert sich mit der Flüssiggastechnologie der internationale Gasmarkt. Bereits heute lässt sich Gas verflüssigen und per Schiff transportieren. Für Europa heißt das: "Die Anteile von Erdgas aus Afrika, dem Nahen Osten und dem Kaspischen Raum werden deutlich steigen", so Wirtschaftsforscher Roland Götz von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Gerade deshalb will sich Gazprom auch den Zugang zu Endverbrauchern in Europa verschaffen und Gemeinschaftsunternehmen mit europäischen Gasfirmen gründen.

Vorbild: Deutsch-russische Kooperation

Diese Strategie funktioniert mit deutschen Energieunternehmen schon länger. E.ON-Ruhrgas ist mit 6,5 Prozent an Gazprom beteiligt. Der deutsche Energieversorger ist damit der größte ausländische Aktionär, E.ON-Vorstandsmitglied Burckhard Bergmann sitzt als einziger Ausländer im Gazprom-Aufsichtsrat. Für ihn ist die deutsch-russische Kooperation schon lange eine „wechselseitige und funktionierende Partnerschaft“, wie Bergmann auf der Hannover Messe sagte. Der Wunsch von Gazprom an einer Beteiligung an Unternehmen in Westeuropa sei ein normales und legitimes Interesse. So wie es für die Deutschen von Interesse ist, selbst auf dem russischen Gasmarkt einzusteigen. Vertraglich festgezurrt werden sollte das bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen im Frühjahr in Tomsk. Allerdings wurde der Vertragsabschluss verschoben. "Das Ankommen mit E.ON könnte in den nächsten drei Monaten unterzeichnet werden", sagte der Vize-Vorstandschef von Gazprom, Alexander Medwedjew in Tomsk.

Dagegen konnte der Chemieriese BASF die Ausweitung seines Energiegeschäfts in Russland festklopfen. Die BASF-Tochter Wintershall ist Partner von Gazprom beim Bau der geplanten Ostsee-Pipeline, durch die ab 2010 russisches Erdgas von Sibirien aus nach Deutschland gelangen soll. Wintershall erhält 35 Prozent minus eine Aktie an der Gazprom-Tochter Severneftegazprom (SNGP), die die Lizenz für das westsibirische Gasfeld Juschno-Russkoje hat. Dessen zugängliche Reserven werden auf 500 bis 700 Milliarden Kubikmeter geschätzt. Wintershall wird somit an der Belieferung der Ostsee-Pipeline beteiligt. Im Gegenzug wird der Gazprom-Anteil an der Gasvertriebsgesellschaft Wingas, einem Gemeinschaftsunternehmen mit Wintershall, von 35 auf 50 Prozent minus eine Aktie erhöht. Partnerschaftlich eben – ganz so, wie es dem globalen Wettbewerb bekanntermaßen zu eigen ist.