Geheime Steuerabsprachen Luxemburg erspart Konzernen Milliarden

Stand: 05.11.2014 22:02 Uhr

Geheime Dokumente offenbaren, wie internationale Unternehmen mit Luxemburger Hilfe Steuern in Milliardenhöhe vermeiden. Pepsi, E.ON, Ikea, Amazon, iTunes, die Deutsche Bank und viele mehr profitieren von den Steuergesetzen.

Von Julia Stein, Jan Lukas Strozyk und Benedikt Strunz, NDR

Luxemburg hat Hunderten Konzernen in geheimen Absprachen hohe Steuerabschläge zugesichert - und so weltweit Steuerzahlungen in Milliardenhöhe verhindert. Das geht aus Unterlagen hervor, die der Norddeutsche Rundfunk zusammen mit internationalen Medienpartnern ausgewertet hat.

Zu den Firmen gehören börsennotierte Konzerne wie Pepsi, FedEx, Ikea, die Deutsche Bank, Amazon und Fresenius ebenso wie Mittelständler und Spezialfonds. Der Datensatz zeigt, dass mehr als 340 Firmen die Vorteile der Steuerdeals nutzen. Zum Teil erreichen sie in Luxemburg eine effektive Steuerrate von weniger als einem Prozent - ganz legal, obwohl Luxemburg eine Unternehmensbesteuerung von nominell 30 Prozent hat.

Grünes Licht von der luxemburgischen Finanzverwaltung

Entwickelt hat die Steuermodelle die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC). Berater setzten dabei komplizierte Strukturen auf, verschachtelte Firmen, die zum Teil über viele Ländergrenzen hinweg miteinander zusammenhängen. Danach wurden die Dokumente, die größtenteils aus den Jahren 2008 bis 2010 stammen, von der Luxemburger Finanzverwaltung abgesegnet. Diese profitiert davon, trotz extrem niedriger Steuerraten: Die Unterlagen belegen, dass Firmen zum Teil gigantische Summen in den Kleinstaat verschoben haben, bis zu 50 Milliarden Euro.

Die Modelle zeigen detailliert, wie die Steuervermeidung funktioniert. Das Energieunternehmen E.ON etwa hat in Luxemburg eine Art firmeneigene Bank eingerichtet hat: eine Tochtergesellschaft, die hohe Summen an E.ON-Geschäftsteile in den USA oder Großbritannien verliehen hat. Diese zahlten das Geld zurück - plus Zinsen. So konnte E.ON in Luxemburg große Barreserven ansammeln, die durch einen Trick mit Verlustvorträgen nahezu komplett am Finanzamt vorbeiflossen. 2012 nahm die Luxemburger E.ON-Tocher rund 130 Millionen Euro ein - zahlte aber etwas weniger als 1600 Euro Steuern.

Eine ähnliche Struktur nutzt auch das DAX-Unternehmen Fresenius Medical Care, das so nach eigenen Angaben rund eine Million Euro Steuern pro Jahr spart - über eine Luxemburger Gesellschaft, deren Geschäftsadresse nicht einmal ein Klingelschild hat.

Pepsi, Amazon, iTunes - die meisten kamen aus den USA

Die meisten Steuersparer kommen aus den USA. Darunter: Softdrinkhersteller Pepsi, Versandhändler Amazon, Apple-Tochter iTunes, Baumaschinenhersteller Caterpillar, Ketchup-Riese Heinz und das Konsumgüterimperium Procter & Gamble - in Deutschland vor allem durch Handelsmarken wie Gillette, Tempo oder Ariel bekannt. Alle Unternehmen nutzen die Vorteile des Landes. Der schwedische Möbelriese Ikea leitet Lizenzgebühren aus Läden in der ganzen Welt über die Niederlande nach Luxemburg und weiter in eine Stiftung in Liechtenstein - jedes Jahr Hunderte Millionen Euro, die in Luxemburg nahezu nicht besteuert werden.

Auch für Immobiliengeschäfte bietet das Herzogtum passende Modelle an. Die Deutsche Bank hat in Luxemburg Immobilienfonds aufgelegt, bei denen kaum Steuern anfielen. Auch zahlreiche institutionelle Investoren nutzen das Land. Staatliche Rentenkassen aus Südkorea und Kanada investierten so Hunderte Millionen Euro in Berliner Wohn- und Geschäftshäuser. Auch die American International Group (AIG), einer der größten Versicherer der Welt, hat offenbar von den Steuervorteilen profitiert. Und das, obwohl es zu dem Zeitpunkt mehrheitlich dem US-Finanzministerium gehörte.

"Wie ein magisches Märchenland"

"Eine Gesellschaft in Luxemburg bietet eine Möglichkeit, Einkommen aus welchem Land auch immer abzuziehen", sagt Stephen E. Shay, Professor für Internationales Steuerrecht an der Harvard Law School und ehemaliger Mitarbeiter des US-Finanzministeriums. Laut Shay ist Luxemburg für Konzerne "wie ein magisches Märchenland". Die geheimen Absprachen sind in Luxemburg legal, könnten aber von den Steuerbehörden anderer Länder angegriffen werden, wenn sie dort als unrechtmäßig betrachtet werden. Experten schätzen, dass allein deutsche Finanzämter durch die Tricks der Steuerberatungen pro Jahr zwischen 20 und 30 Milliarden Euro Steuern entgehen.


Die Enthüllungen fallen in eine Phase, in der Luxemburg zunehmend unter politischen Druck gerät. Vor kurzem kündigte die Europäische Wettbewerbskommission umfangreiche Ermittlungen gegen das Land an: Individuelle Steuerregelungen, so der Vorwurf, kämen einer verbotenen Beihilfe gleich.

Ausgerechnet Juncker soll aufklären

Aufklären soll das nun ausgerechnet der Mann, der wie kein anderer für den Aufstieg Luxemburgs als internationaler Finanzstandort steht: Jean-Claude Juncker, ehemaliger Luxemburger Premier- und Finanzminister und seit Anfang November Präsident der Europäischen Kommission. Er ist der Architekt hinter vielen der firmenfreundlichen Steuerregelungen im Herzogtum. Ein ehemaliger deutscher Finanzminister nennt ihn in einem Hintergrundgespräch den "charmantesten Schutzpatron" der Steuervermeider. Juncker lehnte eine Stellungnahme trotz wiederholter Anfragen ab. Am Mittwoch sagte er auf einer Pressekonferenz: "Die Kommission macht ihre Arbeit. Ich werde da nicht eingreifen."

Der NDR veröffentlicht jetzt gemeinsam mit dem WDR, der Süddeutschen Zeitung und dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) über 1000 solcher Steuerabsprachen mit insgesamt mehr als 27.000 Seiten. In den vergangen sechs Monaten werteten mehr als 80 Reporter aus 26 Ländern die Unterlagen aus, darunter der britische "Guardian", die französische Zeitung "Le Monde" und der US-Sender CNBC. Auf der Website des NDR sind die Dokumente jetzt zum ersten Mal für die Öffentlichkeit zugänglich.

Von den meisten Unternehmen gab es keinen Kommentar

Gemeinsam mit dem ICIJ haben NDR, WDR und SZ alle Unternehmen mit den Vorwürfen konfrontiert. Bis auf wenige Ausnahmen wollten sich die Firmen nicht äußern. AIG bestreitet die Vorwürfe; Ikea und Amazon sagten, man sei nicht bevorzugt behandelt worden. Die Deutsche Bank und E.ON bestreiten, dass es sich um Steuersparmodelle handelt. Die Aktivitäten in Luxemburg hätten andere wirtschaftliche Hintergründe.

Alle Unternehmen versicherten, sich an geltendes Recht zu halten. PwC lehnte eine Stellungnahme zu konkreten Firmen ab, betonte aber, sich stets an alle Gesetze zu halten. Die Dokumente seien "veraltet" und "gestohlen" und der Vorgang liege bereits bei der zuständigen Behörde. Über einige der Dokumente hat der französische Journalist Edouard Perrin für den Fernsehsender France 2 bereits 2012 berichtet.