Interview

Ifo-Agraexperte Schöpe im Interview "Wir wissen noch nicht, ob es ein Umbruch ist"

Stand: 26.09.2007 11:07 Uhr

Was steckt hinter den Preisanstiegen bei Lebensmitteln? Müssen sich die Deutschen dauerhaft auf höhere Preise einstellen? Wo sind die Milchseen und Butterberge hin? tagesschau.de fragte nach bei Agrarmarktspezialist Manfred Schöpe nach.

Was steckt hinter den Preisanstiegen bei Lebensmitteln? Müssen sich die Deutschen dauerhaft auf höhere Preise einstellen? Wo sind die Milchseen und Butterberge hin? tagesschau.de fragte nach Agrarmarktspezialist Manfred Schöpe von Münchener Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung nach.

tagesschau.de: Für Fleisch, Brot und Milchprodukte haben sich für die Verbraucher die Preise erhöht oder es sind Preiserhöhungen angekündigt. Wo liegen die Ursachen?

Manfred Schöpe: Es gibt einen ganzen Datenkranz von Ursachen. In den vergangenen Monaten ist aber in der öffentlichen Diskussion immer nur eine der maßgeblichen Ursachen hingewiesen worden – auf die erhöhte Nachfrage nach den jeweiligen Produkten auf dem Weltmarkt.

tagesschau.de: Was spielt denn noch eine Rolle?

Schöpe: Es kommt sehr darauf an, wie groß der Rohstoffanteil in einem fertigen Lebensmittel ist. Ökonomisch ausgedrückt: Wie stark der Anteil der Rohstoffkosten an den Gesamtkosten eines Produkts ist? Wenn dieser sehr gering ist, dann ist er nach einer Verdoppelung des Rohstoffpreises immer noch sehr gering. Es gibt Produkte, in denen stecken sehr viel mehr Energiekosten, Dienstleistungskosten und andere Faktoren. Der Getreideanteil in Backwaren stellt unter Kostengesichtspunkten zum Beispiel nur eine sehr schwache Komponente dar. Ein anderes Beispiel: Bei Butter ist der Rohstoffanteil sehr groß – Butter ist sozusagen eine Art Milchkonzentrat.

tagesschau.de: Trotz dieser Unterschiede haben wir es sowohl beim Brot als auch bei der Milch mit Preiserhöhungen zu tun ...

Schöpe: Dass Brot teurer wird, hat mehrere Gründe. Die Bäcker könnten in der Öfffentlichkeit genauso gut mit gestiegenen Energiekosten oder Lohnkosten argumentieren. Der Anteil der Rohstoffkosten hält sich in engen Grenzen. Das gleiche gilt für Bier und viele andere Lebensmittel – auch dort ist der Rohstoffeinsatz ausgesprochen gering.

"Traditionelle niedrige Preise in Deutschland"

tagesschau.de: Waren die deutschen Verbraucher bisher zu verwöhnt, was Lebensmittelpreise angeht?

Schöpe: Ich weiß nicht, ob "verwöhnt" der richtige Ausdruck ist. Aber in der Vergangenheit hatten wir in Deutschland sehr lange Phase niedriger Lebensmittelpreise. Das merken Sie, wenn Sie ins europäische Ausland fahren, von einigen der jüngeren EU-Beitrittsländer einmal abgesehen. Eine der Ursachen für die traditionelle niedrigen Lebensmittelpreise in Deutschland ist, dass der Lebensmittelhandel bei seiner Werbung stark den Preis betont. Die Discounter spielen eine sehr große Rolle. Außerdem gibt es eine große Konzentration im Lebensmittelhandel, kleine Geschäfte spielen kaum noch eine Rolle. Und die EU-Agrarpolitik hat eben auch ganz entscheidend dafür gesorgt, dass im letzten Jahrzehnt die Preise sehr niedrig blieben.

tagesschau.de: Die Verbraucher stöhnen - und wer profitiert von den Preiserhöhungen?

Schöpe: Zunächst einmal werden die Bauern aufatmen können. Das ist aber auch gerechtfertig, da sie in den letzten Jahren kaum ihre Kosten verdienen konnten. Wenn das Getreide auf dem Weltmarkt den doppelten Preis hat, können auch die inländischen Bauern ihre Preise erhöhen. Der Handel versucht natürlich auch zu profitieren und begründet Preissteigerungen mit den Entwicklungen auf dem Weltmarkt, doch im Grund werden da auch andere Preissteigerungen versteckt. Die Verbraucher sind allerdings bei uns durch einen langjährigen Prozess dazu erzogen worden, auf die Preise zu achten. In diesem Fall ist aber auch der Garant dafür, dass sich übermäßige Preiserhöhungen nicht auf Dauer werden halten lassen. Ein Beispiel: Als die Milchpreise von einem Tag auf den anderen im Einzelhandel hochgesetzt wurden, habe ich in einem Supermarkt gesehen, wie neben der H-Milch zum neuen Preis eine Marken-H-Milch als Sonderangebot verkauft wurde - und die Preiserhöhung so gleich wieder rückgängig gemacht war.

"Überschüsse sind praktisch weg"

tagesschau.de: Sie hatten die EU-Agrarpolitik angesprochen: Jahrelang war von Butterbergen die Rede, die europäische Landwirtschaft war hochsubventioniert. Was bedeuten die Veränderungen?

Schöpe: Die Überschüsse sind praktisch weg: Es gibt keine Butterberge und Milchseen oder vollen Getreidelager mehr. Auch international sind die Lagerbestände auf einem sehr niedrigen Stand. Nahrungsmittel sind auf den weltweiten Märkten sehr viel knapper, als wir das jahrzehntelang gewöhnt waren. Als nächstes werden die Fleischpreise nach oben gehen, weil die Produktionskosten bei der Fleischerzeugung mit den gestiegenen Preisen für Getreide und Futtereiweiß nach oben gegangen sind. Es könnte sein, dass sich in den nächsten Jahren auch der Zuckerpreis nach oben entwickelt – bisher hat dies noch die gesteigerte Produktion in Brasilien verhindert.

Insgesamt wissen derzeit noch nicht, ob wir einen generellen Umbruch der weltweiten Marktsituation beobachten, oder ob es sich nur um die Auswirkungen eines zufälligen Zusammentreffens verschiedener Entwicklungen wie Ernteausfällen oder ähnlichem handelt. Aber generell müssen wir uns darauf einstellen, dass die Nahrungsmittelnachfrage steigt und die Produktion bisher nicht ganz so geschwind hinterher kommt. Wenn die Verdienstmöglichkeiten sich für die Landwirte in Europa damit langfristig bessern, wird auch die EU Förderungen wie die Direktzahlungen überprüfen müssen. Aber das ist eine Diskussion ist mindestens um fünf bis zehn Jahre verfrüht.

Das Interview führte Fiete Stegers, tagesschau.de