Kritik an Verlängerung der Kurzarbeit "Trittbrettfahrer haben leichtes Spiel"

Stand: 02.01.2010 12:26 Uhr

Die Kurzarbeit geht in die Verlängerung - mit dem Segen von Kanzlerin, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Schätzungen zufolge wurden durch Kurzarbeit bis zu 400.000 Jobs gerettet. Doch der Missbrauch nimmt zu.

Von Wenke Börnsen, tagesschau.de

So einig waren Regierung, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Arbeitsmarktinstitute schon lange nicht mehr: Die Kurzarbeit hat sich als Rettungspuffer für den Arbeitsmarkt in Krisenzeiten bewährt. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit haben derzeit 60.000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet, 1,1 Millionen Menschen sind betroffen. Bis zu 400.000 Jobs seien durch die Regelung gerettet worden, schätzt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). "Kurzarbeit hat sich als sehr segensreich erwiesen", sagt IAB-Direktor Joachim Möller gegenüber tagesschau.de. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung stimmt in das Loblied auf die Kurzarbeit mit ein, Arbeitgeberpräsident Hundt ebenfalls und das Ausland schaut bewundernd auf das Jobwunder in Deutschland.

Missbrauch steigt um das Fünffache

Doch wie immer, wenn staatliche Subventionen fließen, werden auch Begehrlichkeiten geweckt. Das war bei der Abwrackprämie so, das ist beim Kurzarbeitergeld so. 633 Verdachtsfällen geht die Bundesagentur für Arbeit (BA) eigenen Angaben zufolge aktuell nach - das klingt angesichts der bundesweit 60.000 Betriebe, die Kurzarbeit angemeldet haben, nicht viel. Es ist aber ein Anstieg um das Fünffache seit September. Entsprechend mehren sich auch die kritischen Stimmen.

Zum Beispiel von der Mittelstandsvereinigung der Union:"Trittbrettfahrer haben leichtes Spiel", sagt deren Vorsitzender Josef Schlarmann gegenüber tagesschau.de und verweist auf die gesenkten Hürden für Firmen. Inzwischen reiche ein leicht begründeter Antrag, um Kurzarbeitergeld zu erhalten. Zudem bekämen Firmen ohne Probleme nach sechs Monaten auch die Sozialversicherungsbeiträge erstattet.

"Unbürokratische Hilfe"

In der Tat hat der damalige Arbeitsminister Olaf Scholz im September 2008 durch die Wirtschaftskrise in Not geratenen Unternehmen versprochen, „unbürokratisch und schnell“ zu helfen. So einfach wie möglich sollten die Regeln für Kurzarbeit sein. Gleichzeitig wurde die maximale Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes verlängert: statt zwölf Monaten zahlt die BA nun bis zu 24 Monate zwischen 60 und 67 Prozent des Lohns. Auch die neue Bundesregierung erwägt eine Bezugsdauer von bis zu 18 Monaten.

Eine viel zu lange Zeit, meint Schlarmann und kritisiert damit offen die Linie der schwarz-gelben Bundesregierung und Kanzlerin Merkel. "Wenn ein Mitarbeiter eineinhalb Jahre nicht voll beschäftigt werden kann, ist das kein konjunkturelles sondern ein strukturelles Problem." Seiner Meinung nach ist dies "eine versteckte Form der Arbeitslosigkeit, die von der BA subventioniert wird." Schlarmanns Prognose: Die Zahl der Missbrauchsfälle wird weiter wachsen, denn "wenn der Staat einmal das Türchen einen Spalt öffnet, versuchen Firmen den Staat anzuzapfen."

Um das Missbrauchsrisiko zu senken, plädiert Schlarmann dafür, die Bezugsdauer für Kurzarbeitergeld auf höchstens zwölf Monate zu begrenzen und gleichzeitig die Kriterien sowie die Nachkontrolle wieder zu verschärfen.

Falsche Anreize

Unterstützung bekommt Schlarmann vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Köln. "Die monatelangen Subventionen des Staates schaffen Anreize, Kurzarbeit zu beantragen, auch wenn es gar nicht nötig ist", sagt Werner Eichhorst im Gespräch mit tagesschau.de. Je länger Kurzarbeitergeld gewährt werde, desto eher werde die Subvention zu einer Stilllegungsprämie.

Die erneute Verlängerung der Kurzarbeit bis Ende 2010 sieht Eichhorst auch deshalb kritisch, "weil Firmen, die von der Krise wirklich betroffen sind, eigentlich längst Kurzarbeit hätten beantragen müssen." Sein Verdacht: "Jetzt kommen Trittbrettfahrer in Versuchung, die Subvention noch mitzunehmen." Zumal dem Missbrauch durch die herabgesenkten Hürden für Antragsteller Tür und Tor geöffnet seien. "Da gibt es Unternehmen, die sehr kreativ vorgehen - insbesondere bei der Arbeitszeiterfassung", sagt Eichhorst.

Ausstempeln und voll weiterarbeiten

Zu den bekanntesten Tricks bei der Kurzarbeit gehört: Ausstempeln und trotzdem voll weiterarbeiten. Mindestens 14 solcher Fälle sind allein schon in Nordrhein-Westfalen aufgeflogen, Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus.

"Wenn ein Mitarbeiter ausstempelt und dann weiter arbeitet, können wir nichts machen", räumt  BA-Sprecher Kurt Eikemeier gegenüber tagesschau.de ein. Es sei denn ein Mitarbeiter erstatte anonyme Anzeige, wie in den meisten der aufgedeckten Fälle. "Jeder Verdachtsfall wird dann geprüft", stellt Eikemeier klar. Zwar gingen die Schäden durch den Missbrauch in Millionenhöhe, doch seien 633 Verdachtsfälle bei 60.000 Betrieben immer noch gering. Erheblich teurer sind da die Kosten für das Kurzarbeitergeld: Rund fünf Milliarden Euro gab die BA 2009 dafür aus, für das Jahr 2010 hat die BA in ihren Haushalt vorsorglich schon drei Milliarden Euro eingeplant.

Kurzarbeit als Dauer-Instrument? Arbeitsmarktforscher Eichhorst warnt: Keinesfalls dürfe die Kurzarbeiterregelung weiter ausgereizt werden. "Die Grenzen sind erreicht", sagt er. Ziel müsse sein, möglichst bald aus diesem Instrument wieder auszusteigen - spätestens bis Mitte 2010. Dass dies politisch gewollt ist, glaubt Eichhorst allerdings nicht.