Investmentbanker Kerviel vor Gericht "Ich bin zu weit gegangen"

Stand: 08.06.2010 02:07 Uhr

Der Fall des französischen Investmentbankers Kerviel hat international Aufsehen erregt - vor allem wegen der Summen, um die es ging: Knapp fünf Milliarden Euro soll Kerviel bei Anlagegeschäften verzockt haben - offenbar an seinen Vorgesetzten vorbei. Nun begann der Prozess.

Von Johannes Duchrow, WDR-Hörfunkstudio Paris

Jérôme Kerviel hat sich nicht verändert. In den letzten zwei Jahren ist er der Schwiegersohn-Typ geblieben: Der Blick zielsicher geradeaus, aber immer mit einem freundlichen Lächeln. Dieser Mann soll 4,9 Milliarden Euro verzockt haben?, fragten vor zwei Jahren ungläubig die Franzosen. Als Wertpapierhändler bei der Société Générale hatte er viel Geld angelegt, viel mehr, als er nach den Richtlinien der Bank hätte investieren dürfen.

Kerviel über sein Jonglieren mit den Milliarden der Bank: "Das Problem? Man gewöhnt sich daran. Das erste Mal ist es etwas besonderes, danach gibt es keinen Bezug mehr zu den Summen, die man investiert. Und schließlich zwingt einen das System weiterzumachen, denn meine Chefs kamen jeden Morgen und haben mich gebeten, weiter zu kaufen."

Kerviel wird das irgendwann in den nächsten drei Wochen auch vor Gericht sagen, und die drei Anwälte seines ehemaligen Arbeitgebers, der Société Générale, werden wortgewaltig widersprechen. Einer von ihnen ist Jean Veil: "Herr Kerviel hat alleine gehandelt und hat das vor seinen Chefs versteckt. Trotz der Alarmmeldungen, die der Betrug ausgelöst hat, wurde das nicht früher aufgedeckt."

Gehört die Bank auf die Anklagebank?

Angeklagt ist Kerviel wegen Untreue, Dokumentenfälschung und weil er Computerdaten manipuliert haben soll. Dem Wertpapierhändler drohen bis zu fünf Jahre Haft und 375.000 Euro Strafe. Sein ehemaliger Arbeitgeber ist Nebenkläger, doch eigentlich, so meint Kerviel, gehöre seine Bank mit auf die Anklagebank. So schreibt er in seinem jüngst erschienenen Buch: Jeder habe gewusst, dass er nicht mit Millionen sondern mit Milliarden jonglierte. Kerviels Einsicht in das von ihm angeblich begangene Unrecht hat Grenzen: "Ich bin zu weit gegangen, weiter als die anderen, und ich habe das System ausgereizt, das habe ich direkt in der Untersuchungshaft gesagt. Dass ich aber allein die Verantwortung für diese Praxis übernehmen soll, das lehne ich ab."

Der Prozess wird auch ein Kräfte-Messen der Promi-Anwälte. Gleich drei Rechtsvertreter bezahlt die Société Générale. Jean Veil ist auch Anwalt des ehemaligen Staatspräsidenten Chirac.

Inzwischen ein sehr bescheidenes Gehalt

Das "kleine Licht" Kerviel, Sohn aus einfachsten Verhältnissen, der bei der Bank etwas über 100.000 Euro im Jahr verdiente und immer wieder betont, dass das vielleicht ein Zehntel dessen sei, was die großen Wertpapierhändler verdienen - Kerviel wird von Olivier Metzner verteidigt, der zuletzt Continental-Airlines im Concorde-Absturz-Prozess vertreten hat: "Der Verantwortliche saß vier Meter entfernt im gleichen Büro, hatte einen Bildschirm, er hörte die Warngeräusche. Ich weiß nicht was er da gemacht hat, wo er eigentlich acht Händler überwachen sollte, und nichts gesehen hat."

Wem werden die Richter glauben? Kerviel jedenfalls kann sich nicht vorstellen, zu einer Haftstrafe verurteilt zu werden. Er will weiter in einer Informatikfirma arbeiten, die ihn nach der Untersuchungshaft eingestellt hat. Für gut 2000 Euro im Monat.