Italiens Wirtschaft in der Dauerkrise "Wir verdienen es nicht, wie Griechenland zu enden"

Stand: 11.11.2011 14:30 Uhr

Italien ist mit Griechenland kaum zu vergleichen. Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone mit großen, weltweit bekannten Marken wie Fiat, Benetton oder Ferrero - und doch ist die Wirtschaft seit Jahren im Niedergang. Auf den neuen Regierungschef warten viele Aufgaben.

Von Tilmann Kleinjung, ARD-Hörfunkstudio Rom

Emma Marcegaglia leitet ein mittelständisches Familienunternehmen aus der Metallbranche mit Sitz in Mantua im Norden Italiens. Im Ehrenamt ist sie Präsidentin des italienischen Industriellenverbandes und so das Sprachrohr all der frustrierten, desillusionierten und vor allem regierungskritischen Unternehmer des Landes. Seit Jahren, sagt sie, warten die auf Reformen: "Die Anstrengungen von uns Unternehmern bringen gar nichts, wenn es nicht gelingt, unsere Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, die wir heute vollkommen verloren haben. Wir verdienen diese Situation nicht, wir verdienen es nicht, wie Griechenland zu enden."

Nicht mit Griechenland vergleichbar

Italien ist mit Griechenland nicht zu vergleichen. Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone mit großen, weltweit bekannten Marken wie Fiat, Benetton oder Ferrero. Der Norden rund um Mailand und Turin mit viel Industrie war einst das Kraftzentrum des Landes und unterscheidet noch heute Italien von den anderen Sorgenkindern in der Eurozone, wie Griechenland oder Spanien, die vor allem auf Tourismus oder Immobilien gesetzt haben.

Tilmann Kleinjung, T. Kleinjung, ARD Rom, 11.11.2011 13:56 Uhr

"Italien hatte mal ein sehr wichtiges Industriegewebe und von diesem sollte man neu anfangen, das Land neu aufzubauen", sagt Tatjana Eifrig, Analystin bei der römischen Finnat Bank. "Die Industrie zieht weg, weil sie hier keine normalen Konditionen hat, um weiter überleben zu können. Man denkt da vor allem an Steuern und Baugenehmigungen." Eifrig beobachtet das langsame Sterben der italienischen Industrie seit Jahren. "Über kurz oder lang wird sich auch Fiat in Richtung Amerika absetzen", warnt sie.

"Ein Werk in Polen produziert so viel wie fünf in Italien"

Die Produktion findet sowieso schon lange woanders statt: in Polen und Serbien. Fiat-Chef Sergio Marchionne beklagt die industriepolitischen Rahmenbedingungen in Italien: ein aufgeblähter, aber ineffizienter Verwaltungsapparat und sehr traditionell orientierte Gewerkschaften, die Veränderungen kaum zulassen. Das beginnt bei so simplen Dingen wie der Regelung der Mittagspause. "Es ist doch klar, dass es für uns günstiger ist, in Polen herzustellen", sagt der Konzernchef. "Mit 6500 Arbeitern hat das einzige Werk in Tychy in Polen genau so viel produziert wie fünf Werke in Italien." Hier muss ein neuer Regierungschef ansetzen, wenn er Italiens Wirtschaft auf die Beine helfen will.

Problemfeld Nummer zwei sind die Staatsschulden, auch hier unterscheidet sich Italien deutlich von Griechenland. Vor allem was die absoluten Zahlen betrifft: Mit 1,9 Billionen Euro ist der italienische Schuldenberg zu groß für jeden Rettungsschirm der Europäischen Union. "Das hat auch keinen Sinn, so einen Rettungsschirm zu basteln. Deshalb sollte man andere Wege suchen, und beispielsweise die Möglichkeit schaffen, auch aus der Union auszutreten und eventuell zur alten Währung zurückzukehren, auch wenn die massiv entwertet wird am Anfang", sagt Finnat-Analystin Eifrig.

Bildung gegen Korruption

Es gibt natürlich auch Gemeinsamkeiten zwischen den EU-Sorgenkindern Italien und Griechenland: Die Steuern sind hoch, die Steuerehrlichkeit gering. Oder das Thema Korruption. Das habe auch viel mit Bildung zu, sagt Eifrig. 46 Prozent der Erwerbstätigen haben nur eine Mittlere Reife als Schulabschluss - in jedem Fall zu wenig für eine Industrienation. "Je höher die Bildung eines Landes, desto mehr hat es auch Chancen, sich gegen Korruption durchzusetzen. Der Bildungsgrad muss dringend erhöht werden."

Doch gerade an den Schulen und Universitäten hat die Regierung Berlusconi massiv eingespart - um das Schuldenproblem in den Griff zu bekommen.