Interview

Interview zur Krise in Griechenland "Diese Kredite werden niemals zurückgezahlt"

Stand: 29.06.2011 15:16 Uhr

Gebannt starren derzeit die Börsen auf Griechenlands Parlament, trotz der geringen Wirtschaftsleistung des Landes: Das zeigt, wie groß das Misstrauen gegen den Euro ist. Dabei ist klar, dass es einen klaren Schuldenschnitt geben wird, sagt Börsenexperte Dirk Müller.

tagesschau.de: Im griechischen Parlament wurde am Mittwoch das neue Sparpaket von Ministerpräsident Giorgos Papandreou verabschiedet. Wird das die internationalen Finanzmärkte beruhigen?

Dirk Müller: Die Märkte hatten bereits fest darauf gesetzt, dass der Sparkurs abgesegnet wird. Die griechischen Parlamentarier mussten schon im eigenen Interesse dafür stimmen, sonst hätten sie sich ja gleich einen neuen Job suchen können. Aber die große Frage ist natürlich: Was bringt das Ganze noch? Wird damit noch irgendein Problem gelöst? Nein, es wird nur in die Zukunft verschoben und es ist noch nicht einmal klar, wie lange die Probleme noch vertagt werden können.

Zur Person

Der gelernte Bankkaufmann Dirk Müller (auch bekannt als "Mr. Dax") handelt ab 1992 Anleihen für die Deutsche Bank an der Frankfurter Börse. 1998 wechselt er zum Wertpapierhändler ICF und war damit für die Kursfestsetzung zuständig. Seit 2008 ist er nur noch zeitweilig an der Börse und arbeitet unter anderem als Publizist.

tagesschau.de: Wie meinen Sie das?

Müller: Das hat doch längst absolut groteske Züge angenommen: Die weltweiten Börsen von Tokio über Hongkong und Europa bis in die USA starren ganz gebannt auf die Abstimmung im kleinen Griechenland, in dem nur 0,2 Prozent der Weltbevölkerung leben und was gerade einmal die Wirtschaftsleistung von Hessen hat. Das zeigt doch, dass es hier längst nicht mehr nur um ein Land, sondern um den Euro als Ganzes geht - und dessen Zukunft wird nicht in Athen geregelt werden.

tagesschau.de: Sie haben jüngst gesagt, dass das weitere Zahlen von Steuergeldern an Griechenland "an Veruntreuung grenzt", wie meinen Sie das?

Müller: Es ist doch jedem namhaften Experten klar, dass das Land diese Kredite niemals zurückzahlen wird. Wie denn auch? In dieser jetzt so verfahrenen Situation wird es auf eine teilweise Umschuldung oder einen klaren Schuldenschnitt - einen sogenannten Haircut - hinauslaufen. Und dennoch wollen wir jetzt noch einmal Geld nachschießen, ich finde, dass das Ganze schon einmal überprüft werden müsste.

"Vor einem Jahr hätte es noch Alternativen gegeben"

tagesschau.de: Wie hätte denn verhindert werden könne, dass es so weit kommt?

Müller: Vor einem Jahr hätte es noch Alternativen gegeben: eine komplette Abschirmung Griechenlands. Die Europäische Union hätte damals uneingeschränkt für die Anleihen des Landes garantieren müssen. Damit wären die Spekulationen aus dem Markt gewesen und die EU hätte das auch ohne Probleme stemmen können. Parallel hätte man einen kompletten "Umbauplan" für Griechenland aufstellen müssen, vergleichbar dem Marshall-Plan. Also eine umfassende Strategie, die dem Land zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell verhilft, angelegt auf zehn oder 15 Jahre.

Die lange Laufzeit hätte geholfen, dass sich die Industrie, aber auch die Menschen darauf einstellen können. Diese Chance wurde aber vertan. Stattdessen haben wir das Land gezwungen, sich in die Katastrophe zu sparen. Jetzt ist klar: Es muss einen klaren Schuldenschnitt geben.

tagesschau.de: Wie würde das ablaufen?

Müller: Griechenland müsste raus aus dem Euro, abwerten und seine Schulden zumindest zum Teil streichen. Das wäre natürlich nicht einfach, danach hätte das Land dann aber die Chanche, sich neu zu erfinden: Es könnt sich mit Hilfe der abgewerteten eigenen Währung wieder auf seine Stärken besinnen, die vor allem im Dienstleistungsbereich wie dem Tourismus liegen. Schließlich entsprechen die griechischen Exporte gerade einmal sechs Prozent der Wirtschaftsleistung!

Mit einer niedrigen Währung, die der tatsächlichen Wirtschaftsleistung entspricht, würde es sich auch wieder lohnen in Griechenland Urlaub zu machen. Ganz im Gegensatz zu heute - denn momentan sind andere Länder deutlich billiger, was natürlich auch mehr Touristen anzieht. Zudem müsste die Verwaltung und Wirtschaft des Landes umgekrempelt werden.

"Ein Fass ohne Boden"

tagesschau.de: Das klingt so einfach. Tatsächlich lässt sich doch nur schwer abschätzen, was passieren würde, wenn wir den Euro, also die Währungsunion einfach aufgeben?

Müller: Das lässt sich natürlich nicht vollkommen abschätzen. Aber momentan versuchen wir alles, um ein System zusammen zu halten, das sich so nicht zusammenhalten lässt. Stattdessen könnten wir das Geld auch dazu verwenden, um Verwerfungen nach einer Reform abzufangen: Damit könnten beispielsweise Banken in dieser schwierigen Phase rekapitalisiert werden - wie wir es mit der Commerzbank in der Finanzkrise gemacht haben. So könnten dann auch die Zahlungsströme aufrecht erhalten werden. Ich denke, dass da das Geld viel besser aufgehoben wäre, als - was wir jetzt gerade machen - es in einem Fass ohne Boden zu versenken.

tagesschau.de: Allein die EZB hält ja mittlerweile Griechenland-Papiere in zweistelliger Milliardenhöhe. Für diese müsste bei einem Schuldenschnitt letztendlich auch der Steuerzahler geradestehen?

Müller: Das ist ohnehin schon der Fall, weil wir unsere privaten Banken in den vergangenen Monaten weitgehend aus dem Risiko entlassen haben. Das was wirklich noch bei deutschen Banken liegt, betrifft doch die Hypo Real Estate oder die KfW, also Finanzinstitute, für die auch wiederum der Steuerzahler geradesteht. Die Bürger müssen so oder so zahlen, aber wenn wir jetzt noch weitere Krediten draufpacken, dann wird er diese letztendlich auch noch zahlen müssen. Die Frage ist nicht ob, sondern wann und wieviel - das Geld ist eh weg.

"Die Politik nimmt keiner mehr ernst"

tagesschau.de: Sie kennen die Börse, wie kommt dort der Zickzack-Kurs - insbesondere der deutschen - Politik an?

Müller: Das nimmt doch keiner mehr ernst! Das kann man einfach nicht mehr ernst nehmen: Das sind Getriebene, die gar nicht wissen, was sie da eigentlich machen. Es ist natürlich eine schwierige Situation, die sich nur schwer abschätzen lässt, aber es kann doch nicht sein, dass sich die Politik die Konzepte von denen schreiben lässt, die sie stattdessen lieber in die Pflicht nehmen sollte. Dann muss man sich nicht mehr wundern, wenn abenteuerliche Dinge dabei rauskommen.

tagesschau.de: Wie beurteilen Sie die Rolle der Rating-Agenturen?

Müller: Ich glaube "skandalös" wäre noch eine maßlose Untertreibung. Es ist ein Unding, was da passiert! Ich kann einfach nicht verstehen, wieso sich die Europäische Zentralbank mit all ihrem Fachwissen und den Experten bei ihren Entscheidungen von privaten US-Firmen abhängig macht. Das kann mir niemand erklären. Die Ratingagenturen verfolgen schließlich sowohl eigene Interessen, als auch Interessen der USA.

"Wir hechten von Blase zu Blase"

tagesschau.de: Was können wir aus der Griechenland-Krise lernen?

Müller: Darüber ließen sich viele Bücher schreiben: Zunächst einmal müssten wir massiv die Spekulationen aus dem Markt nehmen, die Macht der Ratingagenturen muss gebrochen werden. Zudem müssen wir einsehen, dass die Währungsunion in ihrer jetzigen Form nicht funktionieren kann. Wir müssen das System ohnehin neu aufstellen weil die Verschuldung eine Grenze erreicht hat, die nicht mehr tragfähig ist. Das gilt nicht nur für Griechenland, sondern für sämtliche OECD-Staaten.

Wir sind an einem Punkt angelangt, in dem wir von einer Blase zur nächsten Blase hechten. Es muss einfach mal wieder eine Umverteilung von oben nach unten geben. Dass das alle paar Jahrzehnte passieren muss, liegt in der Natur unseres Wirtschaftssystems.

tagesschau.de: Könnte Eurobonds eine Lösung sein, damit künftig weniger gegen einzelne Staaten spekuliert wird?

Müller: Das wäre nur bei zwei Varianten sinnvoll: Eine wäre eine echte Transferunion, also so etwas wie die Vereinigten Staaten von Europa. In ihr müssten die erheblichen wirtschaftlichen Unterschiede durch direkte Transferzahlungen ausgeglichen werden. Das wäre dann mit dem Länderfinanzausgleich in Deutschland vergleichbar, wo ja auch beispielsweise Baden-Württemberg an das schwächere Saarland zahlt. Wir müssten uns aber bereit erklären, jedes Jahr Milliardenbeträge an Länder wie Griechenland zu zahlen, damit diese Länder mithalten können. Die andere Variante wäre eine Verkleinerung der Eurozone auf die wirtschaftlich starken Staaten, die dann eine Art "Nord-Euro" hätte.

"Nord-Euro" als Lösung der Krise?

tagesschau.de: Welche Staaten sollten Ihrer Meinung nach bei diesem Modell dabei sein?

Müller: Die wirtschaftlich starken Länder der Eurozone, also neben Deutschland Frankreich, Österreich die Benelux-Staaten und Finnland. Damit würde dann die neue Währung für Länder gelten, die halbwegs auf vergleichbarer Leistungsfähigkeit arbeiten und die sich daher auch viel enger abstimmen können. Das wäre eine superstarke Weltwährung.

Unterdessen könnten die anderen Länder der bisherigen Eurozone ihre eigenen Währungen wieder einführen und abwerten, sodass sie ihr Geschäftsmodell wieder aufbauen können. Denn egal wohin wir gucken, ob nach Griechenland, Irland, Portugal oder Spanien - diese Länder haben derzeit einfach kein Geschäftsmodell - zumindest nicht auf dieser hohen Euro-Basis.

tagesschau.de: Was glauben Sie wie es mit dem Euro weitergeht?

Müller: Meine Hoffnung wäre, dass wir einmal zu so etwas wie den Vereinigten Staaten von Europa kommen - mit einer gemeinsamen Währung. Allerdings müssten diese wesentlich demokratischer aufgestellt sein als die europäische Union in ihrer heutigen Form. Aber meine realistische Einschätzung - die eine eher optimistische ist - lautet, dass es auf den von mir beschriebenen "Nord-Euro" hinauslaufen wird.

Das Interview führte Stefan Keilmann, tagesschau.de