Hintergrund

Knackpunkte in den Verhandlungen Darüber streiten Griechen und Geldgeber

Stand: 22.06.2015 22:59 Uhr

Die Verhandlungen der Gläubiger mit der Regierung in Athen sind in der entscheidenden Phase. Bei den debattierten Spar- und Reformmaßnahmen liegen beide Seiten noch ein Stück weit auseinander. Worüber wird gestritten? Ein Überblick von tagesschau.de.

Grundsätzlich geht es den internationalen Geldgebern darum, dass Griechenland wieder zu "tragfähigen Staatsfinanzen" gelangt, um sich in Zukunft wieder selbst Geld an den Finanzmärkten beschaffen zu können. Gestritten wird in den Verhandlungen über den sogenannten Primärüberschuss. Griechenland soll im Primarhäushalt - das ist der Etat ohne die Zins- und Tilgungszahlungen für die angehäuften Schulden - mehr Geld einnehmen, als es ausgibt.

Die Geldgeber fordern, dass Griechenland in diesem Jahr einen Primärüberschuss von einem Prozent seiner Wirtschaftsleistung erreicht. 2016 sollen es zwei Prozent sein und bis 2018 soll der Wert auf 3,5 Prozent steigen. Griechenland hatte für 2015 lange auf einem Wert von 0,75 Prozent bestanden, vor wenigen Tagen aber eingelenkt und die Zielmarke von 1,0 Prozent akzeptiert.

Mit dieser Einigung ist aber nur das Ziel definiert. Gestritten wird weiter darüber, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Offizielle Informationen über den Stand der Verhandlungen sind - insbesondere von griechischer Seite - schwer zu bekommen. Nur vereinzelt werden Informationen an die Medien gegeben. Die EU-Kommission legte kürzlich Forderungen der internationalen Geldgeber offen.

Rentensystem

Rentensystem

Die Durchschnittsrente in Griechenland beträgt nach Angaben des Sozialministeriums 664,69 Euro. 89,4 Prozent der Rentner sind über 61 Jahre alt. 44,8 Prozent der Rentner erhalten Renten, die unter der Armutsgrenze liegen. Seit 2009 haben die Rentner in Griechenland nach tiefen Einschnitten mehr als 30 Prozent ihrer Renten verloren.

Die Rentenkassen, es gibt insgesamt 13 verschiedene, sind in einem erbärmlichen Zustand. Nach dem Schuldenschnitt im privaten Bereich haben sie Schätzungen zufolge 13 Milliarden Euro ihrer Geldeinlagen verloren, weil sie griechische Staatsanleihen gekauft hatten. Das System droht zusammenzubrechen. Auf einen Rentner sollen derzeit nur zwei Arbeitende kommen, bei einigen Kassen soll dieses Verhältnis bereits bei 1:1 liegen. Da die Löhne dramatisch gefallen sind und die Schwarzarbeit enorm zugenommen hat, sind die Einnahmen der Rentenkassen eingebrochen.

Griechenland will das System stufenweise reformieren. Wer sich nach 1993 versichert hat, wird erst mit 67 Jahren in Rente gehen können. Allgemein gilt bereits heute, dass nur diejenigen einen Rentenanspruch haben, die 62 Jahre alt sind, mindestens 40 Jahre lang gearbeitet haben und Beiträge gezahlt haben. Aber auch das gilt noch heute: Mütter, die vom Staat beschäftigt werden, 50 Jahre alt sind und ein noch nicht volljähriges Kind haben, können nach 25 Jahren in die Rente gehen. 

Die EU-Kommission als eines des Mitglieder der Geldgebergruppe wehrt sich gegen den in Athen verbreiteten Eindruck, es solle weitere Rentenkürzungen geben. Es sei eine Fehldarstellung zu sagen, die Geldgeber wollten die individuellen Renten kürzen. Aber: Das griechische Rentensystem sei eines der teuersten in Europa und müsse reformiert werden. Die Geldgeber stellen sich ein Auslaufen von Frühverrentungen und eine Anhebung des Rentenalters vor. Die Einsparungen sollen etwa ein Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung pro Jahr bringen. Griechenland bot 71 Millionen Euro für 2016 an, was einer Einsparung von nur 0,04 Prozent entspricht.

Mehrwertsteuer

Mehrwertsteuer

Grundsätzlich hat Griechenland einer Erhöhung der Mehrwertsteuer zugestimmt. Gestritten wird über Bereiche und Sätze. Die Gläubiger wollen zwei Sätze: 23 Prozent als Standardsatz und elf Prozent für Lebensmittel, Arzneien, und die für die Tourismusbranche wichtigen Hotels. Griechenland hat ein dreistufiges System mit Sätzen von 7, 13 und 23 Prozent vorgeschlagen. Für Strom beispielsweise will Griechenland den regulären Steuersatz nicht akzeptieren. Derzeit hat Griechenland ebenfalls ein dreistufiges Mehrwertsteuersystem: Der Standardsatz liegt auch jetzt schon bei 23 Prozent, 13 Prozent werden beispielsweise für Strom, Wasser und Telefonie fällig. 6,5 Prozent werden auf Hotellerie erhoben.

Zum Vergleich: In Deutschland liegt der reguläre Steuersatz, auch für Strom, bei 19 Prozent. Die Geldgeber zeigen sich bei diesen Punkten verhandlungsbereit, aber die Zahlen müssten am Ende stimmen - sprich: Es muss genug Einnahmen geben.

Weitere Forderungen an Athen sind, das System von Steuerausnahmen einzuschränken, beispielsweise die Vorzugsbehandlung bei der Mehrwertsteuer für die rund 180 Ägäis-Inseln (außer Kreta). Deren Mehrwertsteuersätze liegen derzeit 30 Prozent unter denen im Rest des Landes. Griechenland hingegen will diese Steuerprivilegien möglichst beibehalten, die teuren Transportkosten für diese Inseln auszugleichen und den ärmeren Inselbewohnern zu helfen. Die Geldgeber fordern weiterhin, dass Griechenland Steuerbetrug stärker bekämpft.

Arbeitsmarkt

Arbeitsmarkt

Die Geldgeber fordern, dass sich Steigerungen von Löhnen und Gehältern an der Produktivität und der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ausrichten. Das war in der Vergangenheit häufig nicht der Fall. Das System der Tarifverhandlungen soll reformiert werden, der Arbeitnehmerschutz soll abgebaut werden, der Mindestlohn dürfe nicht wieder angehoben werden. Die Geldgeber versichern: Wir sprechen uns nicht für neue Lohnkürzungen aus.

Privatisierungen

Privatisierungen

Die Geldgeber fordern die Privatisierung öffentlicher Betriebe, beispielsweise von Teilen der Elektrizitätsgesellschaft (DEI) und Flughäfen. Griechenland ist dazu in begrenztem Umfang bereit, obwohl Syriza das in ihrem Wahlprogramm noch ausgeschlossen hatte.

Verteidigungsausgaben

Verteidigungsausgaben

Die griechischen Verteidigungsausgaben beliefen sich 2013 nach Nato-Angaben auf 4,27 Milliarden Euro und waren damit im Vergleich zu den Vorjahren rückläufig: 2009 waren es noch 7,6 Milliarden Euro, 2010 5,97 Milliarden Euro, 2011 sanken sie auf 4,93 Milliarden Euro und 2012 auf 4,38 Milliarden Euro. Die Nato fordert von ihren Mitgliedern Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Griechenland übertraf diese Forderung im Jahr 2013 mit 2,3 Prozent deutlich. Damit hat Griechenland, gemessen an der Wirtschaftsleistung, prozentual den zweithöchsten Anteil an Verteidigungsausgaben in der EU. Im Vergleich der EU-Länder lag nur Großbritannien mit 2,4 Prozent noch darüber. Deutschland kam auf 1,3 Prozent.

EU-Kommissionschef  Jean-Claude Juncker hat deshalb einen "maßvollen Einschnitt" bei den Verteidigungsausgaben vorgeschlagen. Griechenland hat hier dem Vernehmen nach Gesprächsbereitschaft signalisiert.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 18. Juni 2015 um 20:00 Uhr.