Fragen und Antworten Die Machtfrage beim Euro-Rettungsschirm

Stand: 10.09.2011 12:22 Uhr

Wer entscheidet darüber, ob Deutschland Rettungspaketen für Euro-Krisenländer zustimmt? Diese Frage sorgt zurzeit für eine heftige Debatte. Bundesregierung und Bundestag wollen ihren Einfluss auf den Euro-Rettungsschirm sichern. tagesschau.de erklärt die Streitpunkte.

Wer entscheidet darüber, ob Deutschland Rettungspaketen für Euro-Krisenländer zustimmt? Diese Frage sorgt zurzeit für eine heftige Debatte. Bundesregierung und Bundestag wollen ihren Einfluss auf den Euro-Rettungsschirm sichern, der nach dem Willen der Regierungen der Eurozone bald über deutlich mehr Geld und Handlungsmöglichkeiten verfügen soll. tagesschau.de erklärt die Streitpunkte.

Worüber streiten Bundesregierung und Bundestag?

Im Kern geht es um die Frage, wer bei den Hilfen für hochverschuldete Euro-Länder die Entscheidungen trifft. Ob und wie der Euro-Rettungsschirm EFSF Krisenländern hilft, entscheiden letztlich die Regierungen der Euro-Staaten. Das Geld wird über den EFSF in einzelnen Tranchen ausgezahlt, sobald die Länder die jeweiligen Auflagen erfüllt haben. Der innenpolitische Streit dreht sich um die Frage, wer die deutsche Position bei den europäischen Abstimmungen über die Krisenhilfen festlegt: der Bundestag oder die Bundesregierung. Bei der ersten Variante müsste der Bundesfinanzminister die Beschlüsse des Bundestags auf europäischer Ebene vertreten. Die Bundesregierung müsste sich für ihre Verhandlungsposition in Brüssel die Zustimmung des Parlaments einholen. Im zweiten Fall läge die Entscheidung über die deutsche Haltung zu einzelnen Hilfsmaßnahmen allein bei der Bundesregierung. Der Bundestag müsste nur allgemein der Beteiligung Deutschlands am Euro-Rettungsschirm zustimmen. Das Bundesverfassungsgericht sorgte in dieser Streitfrage für eine wichtige Entscheidung. In seinem Urteil vom 7. September machte es deutlich, dass die Zustimmung des Haushaltsausschusses des Bundestages in allen Detailfragen notwendig ist.

Wer darf laut Grundgesetz über solche Hilfen entscheiden?

Artikel 115 des Grundgesetzes besagt, dass die Bundesregierung nur dann Bürgschaften übernehmen darf, wenn sie durch ein Bundesgesetz dazu ermächtigt wurde. Das bedeutet, dass der Bundestag ein Gesetz beschließen muss, in dem genau steht, bis zu welcher Höhe Garantien übernommen werden dürfen. Durch ein solches Gesetz machte der Bundestag 2010 den Weg für die deutsche Beteiligung am Euro-Rettungsschirm frei. Weil Deutschland künftig für Kredite in Höhe von bis zu 211 Milliarden Euro statt der bisherigen 123 Milliarden Euro gerade stehen soll, ist erneut die Zustimmung des Bundestages erforderlich. Durch die Verfassung ist aber nicht ausdrücklich festgelegt, welche Einflussmöglichkeiten das Parlament bei der konkreten Gewährung einzelner Hilfsmaßnahmen haben muss. Das Bundesverfassungsgericht entschied allerdings, dass der Bundestag die Kontrolle über grundlegende haushaltsrechtliche Entscheidungen behalten müsse und dieses Recht nicht übertragen dürfe. Ganz konkret verlangten die Richter, dass der Haushaltsausschuss des Bundestages immer erst zustimmen muss, bevor die Bundesregierung auf europäischer Ebene im Namen Deutschlands Bürgschaften zusagen oder andere Hilfsmaßnahmen beschließen darf, die im Euro-Rettungsschirm vorgesehen sind.

Warum ist das Thema so umstritten?

Die Abgeordneten fürchten einen Machtverlust mit Blick auf das traditionelle Budgetrecht, das als "Königsrecht" des Parlaments gilt. Grundsätzlich muss der Bundestag alle Ausgaben des Bundes genehmigen. Das geschieht in der Regel über die jährliche Verabschiedung des Bundeshaushalts. Die Entscheidungen, die die Bundesregierung zur Eindämmung der Schuldenkrise zusammen mit den Regierungen anderer Euro-Staaten trifft, stellen aus Sicht der Abgeordneten ihr Budgetrecht in Frage. In einem gemeinsamen Papier der Koalitionsfraktionen heißt es, dass "insbesondere mit der Ausweitung der Befugnisse des EFSF eine Verstärkung der parlamentarischen Mitwirkungs- und Kontrollrechte einhergehen muss". Die Parlamentarier sehen zwar das Problem der Regierungschefs, die sich um die Handlungsfähigkeit des EFSF im täglichen Geschäft sorgen. Es geht dabei vor allem um die Frage, ob Kontrollrechte des Bundestags die Entscheidungsprozesse in Krisenzeiten lähmen oder zu lange verzögern könnten. Es müsse aber eine angemessene Beteiligung des Bundestages in haushaltsrelevanten Fragen gewährleistet sein, argumentieren die Abgeordneten. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erkennt die Mitwirkungsrechte des Bundestags grundsätzlich an, warnte aber vor einer Blockade der EFSF wegen zu weitgehender Parlamentsvorbehalte. Der Rettungsschirm müsse in der Lage sein, schnell und diskret zu handeln, sagte er.

Wie entscheidet der Bundestag bisher mit?

Bislang gibt es das erste Rettungspaket für Griechenland und den Euro-Rettungsschirm EFSF, über den die Milliardenhilfen für Irland und Portugal abgewickelt werden. Den bisherigen deutschen Garantien für die EFSF-Hilfen stimmte der Bundestag 2010 zu. Per Gesetz ermächtigten die Abgeordneten den Bundesfinanzminister, Bürgschaften bis zu einer Höhe von 123 Milliarden Euro zu übernehmen. Innerhalb dieses Rahmens fallen die Entscheidungen über einzelne Hilfen wie das Rettungspaket für Portugal und die Auszahlung einzelner Kredittranchen. Bevor der Minister solchen Schritten auf europäischer Ebene zustimmt, muss sich die Bundesregierung laut Gesetzestext lediglich um "Einvernehmen mit dem Haushaltsausschuss des Bundestages" bemühen. Aber mehr auch nicht. Selbst wenn der Haushaltsausschuss geschlossen gegen eine Rettungsmaßnahme gewesen wäre, hätte er sie nicht verhindern können. Denn ein Vetorecht hatte er nicht. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September ändert sich das. Denn die Richter stellten klar, dass der Bundestag jede Hilfsmaßnahme, die mit Kosten für den Bundeshaushalt verbunden ist, im Einzelnen genehmigen muss. Es reiche nicht, wenn die Bundesregierung sich lediglich bemühe, Einvernehmen mit dem Haushaltsausschuss des Bundestages herzustellen. Vielmehr müsse die Regierung ausdrücklich die Zustimmung des Haushaltsausschusses einholen, bevor sie die Übernahme von milliardenschweren Garantien für andere Staaten der Eurozone zusagt.

Warum wird jetzt über die Beteiligung des Bundestags gestritten?

Der Rettungsschirm soll künftig über deutlich mehr Geld verfügen als bisher und eine Reihe zusätzlicher Möglichkeiten erhalten, um Krisenländern zu helfen. Darauf einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone bei ihren Gipfeltreffen im März und im Juli. Für Deutschland bedeutet dies unter anderem, dass die Bundesrepublik für Kredite bis zu 211 Milliarden Euro bürgen soll. Bisher lag diese Grenze bei 123 Milliarden Euro. Laut Grundgesetz muss der Bundestag dieser Neuerung zustimmen. Die stark gestiegene Summe beunruhigt die Abgeordneten. Vor allem die geplanten neuen Handlungsmöglichkeiten des EFSF, die zugleich beschlossen werden sollen, lösten Rufe nach mehr Mitsprachemöglichkeiten des Parlaments aus. Die Abgeordneten wollen künftig nicht allein der Bundesregierung die Entscheidung darüber überlassen, ob der EFSF zum Beispiel Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Staaten aufkaufen soll oder nicht.

Was soll sich am Euro-Rettungsschirm ändern?

Im Wesentlichen soll der Rettungsschirm neben den bisherigen Kredithilfen künftig vier neue Instrumente nutzen dürfen: Er kann neu ausgegebene Staatsanleihen direkt bei den Regierungen kaufen. Er kann in Ausnahmefällen aber auch Staatsanleihen aufkaufen, die schon im Umlauf sind und an der Börse gehandelt werden. Zudem ist die Möglichkeit vorgesehen, Ländern Kredite einzuräumen, damit sie ihren Banken Kapitalhilfen gewähren können. Schließlich soll der EFSF auch vorsorglich Kredite zusagen dürfen, um drohende Finanzierungsprobleme frühzeitig einzudämmen und die Märkte zu beruhigen. Für all diese Maßnahmen soll mehr Geld bereitstehen. Prinzipiell verfügt der Rettungsschirm bereits über einen Garantierahmen von 440 Milliarden Euro. Davon können aber faktisch bisher nur 250 bis 260 Milliarden Euro für Kredithilfen genutzt werden. Denn der EFSF leiht sich das Geld, das er an die Krisenländer weiterreicht, seinerseits an den Kapitalmärkten. Um dabei die beste Kreditwürdigkeit und die besten Bedingungen zu bekommen, braucht er eine höhere Summe. Denn nur einige der Euro-Länder, die für die Kredite gerade stehen, verfügen selbst über die beste Bonitätsnote AAA. Um trotzdem das beste Rating zu erhalten, müssen die aufgenommenen Kredite übersichert sein. Damit der EFSF tatsächlich 440 Milliarden Euro erreichen kann, müssen die Garantien der Euro-Staaten vor diesem Hintergrund deutlich aufgestockt werden - und zwar auf 780 Milliarden Euro.

Welche Vorschläge zur Beteiligung des Parlaments gibt es?

Allgemein zeichnete sich schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine klare Mehrheit für ein differenziertes Verfahren ab, bei dem teilweise Bundestag und Bundesrat, teilweise nur der Bundestag und teilweise auch nur Ausschüsse oder gar nur ein kleines Gremium des Bundestags zustimmen müssen. Die Unions- und FDP-Fraktion schlägt ein mehrstufiges Verfahren vor, das laut Peter Altmaier (CDU), dem parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, über das hinausgehe, was das Bundesverfassungsgericht an Mitbestimung gefordert habe. Die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat wäre demnach erforderlich, wenn der EFSF neue Aufgaben oder einen größeren Garantierahmen erhält, aber auch, wenn ein neues Land in den Rettungsschirm mit aufgenommen werden soll. Sobald Kredithilfen oder andere haushaltsrelevante Hilfsmaßnahmen des Euro-Rettungsschirms für einzelne Länder beschlossen werden, müsste zuvor die Zustimmung des Bundestags eingeholt werden. In der dritten Stufe soll der Haushaltsausschuss über die Umsetzung der einzelnen EFSF-Hilfen vierteljährlich unterrichtet werden. Dazu soll er die Leitlinien billigen, die der täglichen Arbeit des EFSF gelten. Werden Hilfsmaßnahmen geändert, ohne dass sich die Höhe der Garantien ändert, müsste demnach ebenfalls der Haushaltsausschuss zustimmen.

Für besonders eilige Entscheidungen und solche, die hohe Vetraulichkeit bräuchten, soll es ein kleineres Gremium geben, dass sich aus Mitgliedern des Haushaltsausschusses zusammensetzt und mindestens einen Repräsentanten aus jeder Fraktion dabei hat - wobei die Mehrheitsverhältnisse des Bundestages abgebildet sein müssen. Der Haushaltsausschuss soll dagegen aber Veto einlegen können, wenn er in Gänze beteiligt werden will.

Die Bundesregierung hat laut ihrer Kabinettsvorlage Änderungen bei der Beteiligung des Parlaments offen gelassen. Demnach wäre es wie bisher so, dass die Bundesregierung sich lediglich darum bemühen müsste, Einvernehmen mit dem Haushaltsausschuss des Bundestags herzustellen. Eine Zustimmung wäre aber bei der Übernahme einzelner Garantien zugunsten von Euro-Krisenländern nicht erforderlich.

Die SPD plädiert ebenfalls für eine "laufende Kontrolle" der Euro-Rettungsmaßnahmen über den Haushaltsausschuss oder einen anderen, noch zu bestimmenden Ausschuss. Jedoch für "keine so engmaschige Beteiligung des Bundestages", dass die Handlungsfähigkeit des EFSF zu sehr eingeschränkt werde.

Die Linkspartei fordert "so viel Parlament wie möglich". Die Entscheidungskompetenz in Haushaltsfragen soll beim Bundestag bleiben und so umfassend wie möglich ausgefüllt werden. Auch die Grünen fordern weitgehende Mitbestimmungs- und Kontrollrechte für den Bundestag. Für die EFSF müssten die gleichen Regeln gelten wie für den Europäischen Stabilitätsmechanismus.

Die Bundestags-Fraktionen von Union, FDP, SPD und Grünen wollen sich am Mittwoch, den 21. September, über einen gemeinsamen Vorschlag verständigen.

Wie geht es weiter?

Das Kabinett hat am 31. August lediglich eine "Formulierungshilfe" für den Gesetzentwurf beschlossen. Die konkrete Vorlage sollen nun die Koalitionsfraktionen ausarbeiten. Der Bundestag soll das Gesetz am 29. September verabschieden. Am 30. September könnte der Bundesrat in einer Sondersitzung die Pläne billigen. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September sind die Leitlinien für die Ausgestaltung der parlamentarischen Beteiligung aber inzwischen weitgehend vorgegeben.

Zusammengestellt von Corinna Emundts, tagesschau.de, und David Rose, tagesschau.de.