Gespräche zwischen EU und USA Warum mehr Transatlantik-Handel?

Stand: 22.05.2014 17:09 Uhr

Die angestrebte Freihandelszone zwischen der EU und den USA stößt bei vielen Bürgern auf immer größeren Widerstand. Wem würde das Abkommen Vorteile bringen? Welche Kritik gibt es? Und welche Rolle spielt der NSA-Überwachungsskandal? tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen.

Worum geht es?

Die Europäische Union und die USA verhandeln seit Juli 2013 offiziell über den Abbau von Zöllen und über andere Handelshemmnisse wie Sicherheitsstandards, technische Normen oder Wettbewerbsregeln. Letztere müssten in einem Abkommen möglichst angeglichen werden. Am Ende entstünde ein Wirtschaftsraum mit mehr als 800 Millionen Verbrauchern und der Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung. Ein Drittel der weltweiten Handelsströme entfallen auf die USA und die EU.

Die Freihandelszone ist schon seit den 1990er-Jahren als Reaktion auf die boomenden asiatischen Volkswirtschaften im Gespräch. Ein erster Anlauf scheiterte 2007 aber vor allem am damaligen US-Präsidenten George W. Bush und der US-Agrarlobby.

Was wären mögliche Vorteile für die Unternehmen und Kunden?

Ohne Zölle und Handelsbarrieren käme der Handel zwischen EU und USA weiter in Schwung - so zumindest die Theorie. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte das Abkommen bei Gesprächen mit US-Präsident Barack Obama einen wichtigen Impuls für die Weltwirtschaft. Laut Außenhandelsverband BGA liegen die Zölle zwischen den USA und der EU im Schnitt bei drei Prozent - das verringere die Gewinne spürbar. Zudem lägen Spitzensteuersätze oft deutlich höher.

Weil laut BGA allein 2012 Waren und Dienstleistungen im Wert von fast 800 Milliarden Euro aus der EU in die USA exportiert oder von dort importiert wurden, könnten die Unternehmen viele Milliarden sparen. Ob sie das aber via Preissenkungen an ihre Kunden weitergeben, bleibt ihnen überlassen. Die Kunden könnten jedenfalls von einheitlicheren Standards profitieren. Eine US-Medikamentenzulassung könnte dann auch für die EU gelten.

Was könnten die Vorteile für die Volkswirtschaften sein?

Dazu gibt es sehr viele Prognosen. Manche Experten erwarten ein EU-Wachstumsplus um 0,5 Prozent und in den USA um 0,4 Prozent. EU-Berechnungen sprechen von 400.000 neuen Arbeitsplätzen. Der BGA wiederum erwartet ein deutsches Reallohnplus von 1,6 Prozent und etwas weniger Arbeitslose. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung warnt dagegen in einer Studie vor zu hohen Erwartungen: Wachstumsimpulse würden eher langfristig kommen.

Wie könnte Deutschland profitieren?

Für Deutschland hätte das Freihandelsabkommen möglicherweise große Vorteile. Bei den Ausfuhren sind die USA Deutschlands zweitwichtigster Handelspartner. Das Abkommen könne die Exporte in die USA laut DIHK um jährlich bis zu fünf Milliarden Euro erhöhen. Rund 27 Prozent der Ausfuhren in die USA sind Kraftfahrzeuge und -teile und rund 17 Prozent sind chemische Erzeugnisse - beides Branchen, die sehr auf ein Abkommen hoffen.

Viele deutsche Unternehmen hoffen zudem auf einen besseren Zugang zu öffentlichen Aufträgen in den USA. Das ist oftmals noch schwierig, weil dort einzelne Bundesstaaten eigene Regelungen haben, die nicht von Washington verändert werden können.

Welche Ausnahme gibt es?

Frankreich hat sich mit seiner Forderung durchgesetzt, Film, Musik und andere Medien aus den Verhandlungen zunächst auszuschließen. Die Regierung befürchtete Nachteile für die Kulturbranche gegenüber Hollywood, wenn wegen eines Abkommens Subventionen wegfielen. Sie setzte sich damit gegen den heftigen Widerstand anderer EU-Mitglieder und der EU-Kommission durch.

Welche Probleme könnte es geben? Welche Kritik gibt es schon?

Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung sagt voraus, ein Abkommen werde Handelsverbindungen zementieren, die immer unwichtiger würden - statt neue etwa mit China zu stärken. Andere Skeptiker warnen vor konkurrierenden Handelsblöcken, wenn eine Art transatlantische Wirtschafts-NATO entstünde - EU und USA verlören etwa bei China an Einfluss. Strittig ist auch, ob sich China Standards vorschreiben ließe.

Der Hauptkritikpunkt an den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen ist allerdings die mangelnde Transparenz: In einem gemeinsamen Aufruf kritisierten 22 deutsche NGOs "die Geheimhaltung und Intransparenz" des EU-Verhandlungsmandats und fordern einen Gesprächsstopp "schon aufgrund der fundamental undemokratischen Natur". Eine der am Aufruf beteiligten Gruppen, der BUND, warnte vor einer Aufweichung der EU-Gesetze zu Chemikalien, Umwelt und Energie.

Der Chef der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Bernd Voß, kritisierte: Eine Öffnung für die "amerikanische Agrarindustrie" gefährde "alle Errungenschaften des europäischen Verbraucherschutzes". Der Verbraucherschutz Bundesverband befürchtet, dass im Rahmen der Verhandlungen europäische Standards als Handelshemmnis deklariert und dann infolge der Harmonisierung abgesenkt werden könnten. Tatsächlich ist der Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen und dem Fleisch hormonbehandelten Tiere in der EU und den USA so unterschiedlich, dass manche Experten raten, über das Thema gar nicht erst zu verhandeln.

Ein weiterer Streitpunkt ist der sogenannte Investitionsschutz. Dieser ist so strittig, dass die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen in diesem Bereich im Januar 2014 bis zum Sommer ausgesetzt wurden. Der Investitionsschutz regelt im internationalen Recht die Entschädigung von Konzernen etwa bei Enteignung. So bietet er den Firmen die Möglichkeit, Staaten auf Schadensersatz zu verklagen, wenn sie sich um ihre Investitionen gebracht - also enteignet - fühlen. Diese Klagen werden allerdings unter Geheimhaltung vor einem Schiedsgericht ausgetragen. Kritiker wie die Grünen im Europaparlament befürchten, dass US-Konzerne den Investitionsschutz im Freihandelsabkommen nutzen können, um gegen europäische Umwelt- und Sozialgesetze zu klagen, wenn sie ihre anvisierten Gewinne dadurch geschmälert sehen.

Solche Klagen sind bereits jetzt durch zahlreiche Investment-Abkommen möglich: Beispielsweise verklagte die schwedische Firma Vattenfall die deutsche Bundesregierung wegen des Atomausstiegs auf Schadensersatz über mehr als 3,5 Milliarden Euro. Das Verfahren findet vor dem "International Centre for Settlement of Investment Disputes" (ICSID), das der Weltbank angehört, statt - und nicht, wie im Fall von E.ON und RWE, vor deutschen Gerichten. Das ICSID informiert dabei aber nur über den Stand des Verfahrens, nicht über Inhalte.

Warum finden die Gespräche trotz des NSA-Spionageskandals statt?

Kurz: Weil die USA, die EU-Kommission und die EU-Regierungen das so wollten. Mehrere europäische Politiker hatten das wegen des NSA-Skandals kritisiert. Frankreich forderte erst eine Verschiebung, lenkte aber später ein. Im EU-Parlament forderten Sozialdemokraten und Grüne sogar einen Stopp, wurden aber von der konservativ-liberalen Mehrheit überstimmt.

Welche Rolle spielt der Überwachungsskandal dann?

Laut DIHK-Außenhandelschef Volker Treier ist die deutsche Wirtschaft wegen der Affäre sehr besorgt: Es gehe schließlich um viele sensible Felder - "und wir müssen das Gefühl haben, dass der Partner schon viel mehr über uns weiß". Die unterschiedlichen Vorstellungen beim Umgang mit Daten könnten "zum schwierigsten Problem" werden, sagte auch der Chef der US-Handelsorganisation NFTC dem "Tagesspiegel". Der Verbraucherzentrale Bundesverband fordert, dass das Freihandelsabkommen mindestens das höchste bisher in Europa vorzufindende Schutzniveau vor geheimdienstlicher Überwachung garantieren müsse.

Und wie geht es weiter?

Beide Seiten hatten als Ziel angegeben, dass der Deal bis zum Ende der Amtszeit der derzeitigen EU-Kommission im Herbst 2014 weitgehend stehen soll. Das gilt aber zunehmend als unrealistisch. Wahrscheinlich dauert es also länger - die weit weniger komplexen EU-Freihandelsgespräche mit Südkorea liefen beispielsweise über vier Jahre. Hinzu kommt: Einer möglichen Vereinbarung müssen alle 28 EU-Staaten und das EU-Parlament zustimmen.

Andererseits ist der Druck auf beide Seiten aber auch sehr groß, sich in absehbarer Zeit zu einigen - alles andere würde zu einem massiven weltweiten Imageschaden führen.