Kolumne Euroschau Die EZB ist am Ende ihrer Möglichkeiten

Stand: 05.06.2012 17:23 Uhr

Der Druck auf die EZB wächst - sie soll den Weg aus der Krise finden. Doch hat sie kaum noch Handlungsmöglichkeiten. EZB-Präsident Draghi forderte für das Überleben des Euros kürzlich de facto eine politische Union Europas. Denn die EZB allein kann die Ursachen der Krise nicht lösen, meint auch Klaus-Rainer Jackisch.

Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

So groß war die Angst während der Eurokrise noch nie: Die Kurse an den Aktienmärkten brechen ein. Der Wert der Gemeinschaftswährung rutscht ab. Der Druck auf die Europäische Zentralbank wächst. Sie soll als großer Heilsbringer die Krise endlich lösen.

Doch das wird ein unerfüllter Wunsch bleiben. Die Möglichkeiten der EZB werden völlig überschätzt. Viel unternehmen können die Währungshüter nicht mehr.

Was sollen Zinssenkungen bringen?

Zwar werden massive Zinssenkungen gefordert. Doch was sollen sie bringen? Noch mehr billiges Geld dürfte lediglich ein Strohfeuer auslösen. Das gilt auch für ein weiteres Fluten der Märkte mit neuen Riesensummen. Oder: Die Zentralbank könnte noch mehr Staatsanleihen klammer Eurostaaten kaufen. Doch mit welchen Folgen? Die Maßnahme erhöht nur die Risiken der EZB und untergräbt ihre Glaubwürdigkeit. Denn faktisch verstößt sie gegen die Verträge.

Nein. Die EZB ist mit ihren Möglichkeiten weitgehend am Ende. Sie hat die Märkte teilweise stabilisiert und das Schlimmste verhindert. Doch jetzt ist Schluss. Der EZB-Rat weiß das auch. Er hat es auf seiner letzten Sitzung in Barcelona deutlich gemacht: Die Notenbank kann (und will) nicht die Probleme lösen, die politische Fehlentscheidungen und Verstöße gegen die bestehenden Regeln ausgelöst haben. Sie kann nur die schlimmsten Folgen der Krise lindern, ihre Ursachen aber nicht beheben.

"Mutiger Sprung politischer Phantasie nötig"

EZB-Präsident Mario Draghi wird nicht müde, diese Position bei jeder Gelegenheit zu wiederholen. Nur will sie keiner hören. Bei einer Veranstaltung der renommierten Sapienza Universität in Rom stellte er kürzlich klar, dass der Euro am Scheideweg stehe. Entweder die Politik setze sich jetzt endgültig vehement für die Gemeinschaftswährung ein. Oder das Projekt sei am Ende: "Um zu Überleben", so Draghi, brauche der Euro "einen mutigen Sprung politischer Phantasie". Im Klartext: Um zu Überleben braucht der Euro jetzt die Politische Union - mit der Abgabe weitreichender Souveränität, insbesondere in Budgetfragen. Sonst ist er tot.

Im Kern ist das die Forderung nach den Vereinigten Staaten von Europa. Immer deutlicher wird, dass der Euro nur funktioniert, wenn Europa zu einer Einheit verschmilzt. Doch zu einer derart weitreichenden Aufgabe von Souveränität sind viele Staaten nicht bereit, insbesondere Deutschland und Frankreich nicht. Sie sind aber die beiden Motoren der europäischen Einigung.

EZB fordert einheitliche Aufsicht

Die EZB fordert aber noch mehr: Angesichts der dramatischen Bankenkrise will sie eine einheitliche Aufsicht für ganz Europa, ohne verzettelte Zuständigkeiten. Die bestehende Behörde, die Europäische Bankenaufsicht (EBA), ist ein zahnloser Tiger. Und die nationalen Aufsichten haben ohnehin kläglich versagt. Wie sonst wäre ein Desaster wie in Spanien möglich? Banken stehen dort vor dem Kollaps, weil sie sich im Immobilienmarkt verspekuliert haben, weil sie zu großzügig Geld verliehen haben. Jahrelang hat die Bankenaufsicht die Probleme ignoriert, die Regierung hat die Hände in den Schoß gelegt. Die Summen, die Institute wie die schwer angeschlagene Bankia brauchen, sind schwindelerregend. Sie überfordern das gesamte System und entziehen damit dem Euro das Vertrauen. Die EZB hat ihre Position klar gemacht: Sie ist bereit, solventen Banken Geld zu leihen. Sie ist nicht bereit, Pleite-Institute zu retten. Auch hier ist die Politik am Zuge, den Banken zu helfen.

Die Gemeinschaftswährung ist in einer desolaten Situation. Ihre politischen Gründer sind in der Schockstarre. Die regierende Politiker-Generation befindet sich im Delirium der Untätigkeit und Unfähigkeit. Die Bevölkerung verliert jeden Tag mehr Vertrauen in das Projekt. Die Währungshüter haben die Waffen gestreckt: Sie haben zwar jahrelang an der Linderung der Krankheits-Symptome herumgedoktert. Sie können aber ihre Ursachen nicht lösen.

Armer Euro.

Klaus-Rainer Jackisch schreibt bei tagesschau.de regelmäßig seine Kolumne Euroschau, in der er einen Blick auf die monatliche EZB-Ratssitzung wirft.