Kolumne Euroschau Der Billionen-Skandal im Schuldensumpf der Eurozone

Stand: 06.03.2012 20:17 Uhr

Die EZB hat inzwischen eine Billion Euro zum Schleuderpreis an die Banken verliehen - mit angeblicher segensreicher Wirkung. Doch die Aktion könnte für Deutschland teuer werden. Und das ohne jede parlamentarische Kontrolle. Das ist der eigentliche Skandal im Schuldensumpf der Eurozone, meint Klaus-Rainer Jackisch.

Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Der Plan läuft generalstabsmäßig: ruhig, verschwiegen und ohne großes Aufsehen. Er ist hoch riskant, aber das muss ja niemand wissen. Die Rede ist von einer der größten Banken-Rettungen der Geschichte - durch die Europäische Zentralbank. Mehr als eine Billion Euro hat die Notenbank gedruckt und ins europäische Bankensystem gepumpt - in zwei Tranchen. Die erste gab es im Dezember, die zweite vor wenigen Tagen. Eine Billion sind 1.000.000.000.000 Euro.

So viel billiges Geld gab es noch nie

Ursache ist die Schieflage des Bankensystems. Weil sich Kreditinstitute gegenseitig nicht mehr vertrauen, leihen sie sich nur sehr zögernd Geld. Vor allem außereuropäische Banken sorgen sich, dass sie ihre Dollar, Yuan oder Rubel wegen der Eurokrise nicht wiedersehen. Sie drehen den europäischen Konkurrenten den Geldhahn zu. In einigen Fällen war die Lage so angespannt, dass die Banken nicht genug flüssiges Geld zur Verfügung hatten. Deshalb sah sich die EZB gezwungen, das Geld zum Schleuderpreis auf den Markt zu werfen. Für die Banken ist das lukrativ: Sie zahlen nur den geringen Refinanzierungszins. Der liegt derzeit bei einem Prozent. Das Geld können sie für drei Jahre behalten. Das gab es noch nie. 800 Institute griffen allein vergangene Woche zu.

Der Geldsegen hat mehrere Effekte. Er stützt die Banken und bewahrt hoffnungslose Fälle vor dem Zusammenbruch. Die Kreditinstitute nutzen das billige Geld nicht nur um Löcher zu stopfen. Sie legen es auch an und kaufen Staatsanleihen. Dadurch sinkt etwa der Zins für italienische und spanische Staatsanleihen und hilft diesen Staaten. Ein Teil des Geldes fließt in den Aktienmarkt. So erklärt sich der deutliche Kursanstieg von mehr als 15 Prozent beim Deutschen Aktienindex seit Anfang des Jahres.

Ausfälle sind höchst wahrscheinlich

So weit so gut. Doch viel Geld aus der Notenpresse macht auch viel Sorgen. Es fördert die Inflation. Nur wenn das gesamte Geld wieder herausgezogen wird, hat es keinen Einfluss auf die Preissteigerung. Zwar müssen die Banken das Geld zurückzahlen. Doch ob das wirklich in vollem Umfang passiert, steht in den Sternen.

Am schlimmsten aber ist, dass die EZB im Gegenzug für das billige Geld jetzt Sicherheiten mit deutlich höherem Risiko akzeptiert. Das hat der EZB-Rat beschlossen, gegen den Widerstand der Deutschen Bundesbank. Denn deren Vertreter hat dort kein Gewicht mehr. Ausfälle sind also nicht auszuschließen. Sie sind sogar höchst wahrscheinlich.

Ein Brief zeigt, wie dramatisch die Lage ist

Aus diesem Grund hat Bundesbank-Präsident Jens Weidmann EZB-Chef Mario Draghi einen Brandbrief geschrieben. Dieser völlig ungewöhnliche Vorgang in der Geschichte der EZB zeigt wie dramatisch die Lage ist. In dem Schreiben fordert Weidmann die Rückkehr zum alten Risiko-Niveau - ein Affront für den EZB-Präsidenten.

Hintergrund des Briefes sind auch Weidmanns Sorgen über die Ungleichgewichte im sogenannten Target-2-System. Diese werden durch die riskante Politik der EZB deutlich erhöht. Mit dem sperrigen Begriff beschreiben Notenbanker die Abwicklung der Geldströme zwischen den Zentralbanken der Mitgliedstaaten. Normalerweise sollten diese Geldströme sich einigermaßen ausgleichen. Doch in der Krise kommt es zu Verzerrungen. Die Forderungen der Bundesbank an die Notenbanken der schwachen Eurostaaten sind deutlich höher als umgekehrt. Der Saldo beläuft sich derzeit auf etwa 500 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Sollte Griechenland aus der Eurozone scheiden oder der Euro gar zerbrechen, müsste die Bundesbank einen Großteil dieser Forderungen abschreiben, wird befürchtet. Das wäre fatal. Möglicherweise reichen ihre Reserven nicht aus.

Bei der EZB zeigt man sich pikiert über Weidmanns Rüffel. Es sei ein fatales Signal, wenn ein Mitglied über das Scheitern des Euro auch nur nachdenke. Viel besser wäre es doch, so die Überlegungen im Eurotower, wenn die Bürger von den Problemen gar nichts mitbekämen. Faktum ist, dass die Deutschen durch die EZB-Politik massive Risiken eingehen - zusätzlich zu den Rettungsschirmen und direkten Hilfen für Griechenland & Co. Und dies ohne die geringste parlamentarische Diskussion oder Kontrolle. Das ist der eigentliche Skandal im Schuldensumpf der Eurozone.

Klaus-Rainer Jackisch schreibt bei tagesschau.de regelmäßig seine Kolumne Euroschau, in der er einen Blick auf die monatliche EZB-Ratssitzung wirft.