Kolumne Euroschau Deutschland ohne Einfluss in der EZB

Stand: 11.01.2012 15:48 Uhr

Es war wie ein ungeschriebenes Gesetz: Seit Bestehen der Europäischen Zentralbank wurde der einflussreiche Posten des Chefvolkswirts von einem Deutschen besetzt. Ausgerechnet in der schwersten Krise des Euro hat Deutschland aber an Einfluss verloren - auch durch eigenes Verschulden.

Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi hat, noch frisch im Amt, wieder für einen Paukenschlag gesorgt. Nachdem er mit zwei nicht angemessenen Zinssenkungen deutlich gemacht hat, dass ihm das Inflationsziel der Notenbank nicht besonders wichtig ist, krempelt er nun auch das EZB-Direktorium nach seinen Wünschen um: Völlig überraschend wurde der Belgier Peter Praet zum neuen Chefvolkswirt gekürt - ein Affront gegen Deutschland, die Bundesregierung und die Bundesbank.

Seit Bestehen der EZB wurde der einflussreiche Posten stets von einem Deutschen besetzt; zunächst von Otmar Issing (1998-2006), dann von Jürgen Stark (2006-2011). Stark verabschiedete sich aus Protest gegen den Kurs der EZB vorzeitig aus dem Amt. Vor allem für die Bundesbank war der Job von besonderer Bedeutung. Denn durch die Position des Chefvolkswirtes hatte sie zumindest einen direkten Draht ins  EZB-Direktorium, um ihre strikte Stabilitätspolitik zu vertreten. Ein sogenannter "Falke" war in der Chefetage der europäischen Notenbank platziert. Das war die Gegenleistung für die Aufgabe der D-Mark.

Wenn zwei sich streiten...

Damit hat Draghi nun Schluss gemacht - und auch Frankreich hat ein bisschen nachgeholfen. Eigentlich sollte der hoch gelobte Ex-Staatssekretär Jörg Asmussen EZB-Chefvolkswirt werden. Er war für Stark in das Direktorium gezogen. Doch sofort schoss Paris quer und wollte seinen eigenen Kandidaten, Benoît Coeuré, durchdrücken. Draghi zog in dem Streit die Reißleine und entschied sich für einen Kompromiss: den Belgier Peter Praet, ein hoch angesehener Professor der Geldpolitik, allerdings eher eine "Taube".

Eine derart wichtige Position zu besetzen kann dem angeschlagenen Belgien nur Recht sein. Der Franzose Coeuré führt nun die Abteilung, die die umstrittenen Ankäufe von Staatsanleihen klammer Eurostaaten verantwortet. Asmussen wurde auf den Posten des "Außenministers" der EZB abgeschoben - dort hat noch nie ein Direktoriums-Mitglied geglänzt. Trotzdem sei er "zufrieden", ließ Asmussen verkünden. Frisch gestartet und schon weichgespült.

Deutschland ließ keinen Fettnapf aus

Die Bürger in Deutschland dürfen hingegen nicht zufrieden sein: Denn faktisch ist der Einfluss Deutschlands auf die EZB damit noch einmal kräftig geschrumpft. Mittlerweile haben Vertreter der klammen Eurostaaten die EZB fest in der Hand und können schalten und walten wie sie wollen. Zwar wird die Geldpolitik im EZB-Rat entschieden, also dem Gremium der 17 Chefs von nationalen Notenbanken unter Leitung des EZB-Präsidenten und seines Vizes. Doch der Chefvolkswirt bereitet diese Sitzungen vor. Das Direktorium ist dafür verantwortlich, die Entscheidungen  umzusetzen. Ohne Einfluss ist das Direktorium also nicht.

Allerdings ist die deutsche Seite in Sachen EZB-Personalpolitik auch in jeden Fettnapf getreten, der weit und breit zu finden war. Damit ist sie zielsicher aufs Abstellgleis gefahren: Wäre man verantwortungsbewusst gewesen, könnte der EZB-Präsident heute ein Deutscher sein: Axel Weber, Ex-Bundesbank-Chef. Doch der warf lieber die Brocken hin, als er sich nicht gegen die umstrittenen Anleihekäufe der EZB durchsetzen konnte und die Bundeskanzlerin ihm keine Rückendeckung gab. Ähnlich auch der Rückzug des EZB-Chefvolkswirtes Jürgen Stark: Auch er wollte die Anleihekäufe nicht mehr mittragen und legte sein Amt nieder.

Mehr Einfluss für die schwachen Euro-Staaten

Doch war das Verhalten von Weber und Stark wirklich verantwortungsbewusst? Das müssen die Beteiligten mit ihrem Gewissen ausmachen. Im Nachhinein ist klar: Sinnvoll war es nicht. Die schwere Krise hätte vernünftige, standfeste Stabilisatoren erfordert, die in der EZB Einfluss ausüben.

Gebracht hat der Protest jedenfalls nur noch mehr Einfluss für die schwachen Euro-Staaten. Die deutsche Seite hat in der schwersten Krise des Euro in der Europäischen Zentralbank nicht mehr viel zu sagen. Das ist entgegen allen anderen Beteuerungen der Beteiligten und der Bundesregierung sicher nicht im Interesse des Landes.

Klaus-Rainer Jackisch schreibt bei tagesschau.de regelmäßig seine Kolumne Euroschau, in der er einen Blick auf die monatliche EZB-Ratssitzung wirft.