Das Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main
Analyse

Euroschau zur Corona-Krise Warten, ob das Rettungspaket wirkt

Stand: 16.07.2020 04:24 Uhr

Nach dem Aufstocken des Corona-Rettungspakets dürfte bei der EZB vorerst nicht viel passieren. Obwohl die Krise erneut die Schwächen der Eurozone zeigt, stehen Beitrittskandidaten schon in den Startlöchern.

Eine Analyse von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Mitten in der Corona-Krise flogen in Zagreb und Sofia vor wenigen Tagen die Sektkorken. In den Hauptstädten von Kroatien und Bulgarien gibt es allen Grund zu feiern - denn während die Eurozone mit Billionen-Summen die schwerste Rezession seit ihrer Gründung abwenden will, schicken sich die beiden Balkanstaaten an, schon bald dem Euro-Club beizutreten.

Die Europäische Zentralbank (EZB) schloss jetzt Abkommen mit beiden Ländern, nach denen sie zum Anfang der Woche in den Wechselkursmechanismus ESM II eingestiegen sind. Das bedeutet, die Wechselkurse der Landeswährungen Kuna und Leva wurden zum Euro festgelegt und dürfen nun nur noch in engen Bahnen um den Wert des Euro schwanken. Dieser Prozess dauert mindestens zwei Jahre. Mit dem Beitritt werden beide Länder auch Teil der Bankenunion.

Auf dem Weg in den Euro

Der Eintritt in den Wechselkursmechanismus ist die erste Stufe zur Vollmitgliedschaft in der Eurozone. Kroatien und Bulgarien wünschen sich dies seit Langem und haben deshalb große Anstrengungen unternommen - auch wenn gerade in der kroatischen Bevölkerung nicht alle begeistert von der Idee sind.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Ende des Balkankrieges war man stolz auf die eigene Währung, die als Ausdruck der Souveränität und einer stabilen Wirtschaft gesehen wird. Wer etwa an den Touristen-Hotspots in Dubrovnik oder Split mit Euro zahlen möchte, bekommt nicht immer nur freundliche Blicke. Kroatien ist das jüngste Mitglied der Europäischen Union und trat erst 2013 bei, Bulgarien kam 2007 als Nachzügler der Ost-Erweiterung in die EU.

Noch nicht alle Voraussetzungen erfüllt

In den EU-Verträgen ist festgelegt, dass alle EU-Staaten auch der Eurozone beitreten, wenn sie die Bedingungen erfüllen. Dazu gehören neben wirtschaftlicher Stabilität und geordneten Finanzen auch geringe Verschuldung, geringe Neuverschuldung und Preisstabilität. Allerdings haben Dänemark und Schweden in Referenden entschieden, dass sie ihre Währungen behalten und den Euro nicht einführen wollen. Großbritannien hat einen Beitritt zum Euroraum von vornherein vertraglich ausgeschlossen, was wegen des Brexit jetzt ohnehin obsolet ist.

Noch haben Kroatien und Bulgarien nicht alle notwendigen Voraussetzungen für den Beitritt erfüllt: Zagreb muss die Verwaltung noch stärker auf Vordermann bringen, so der zuständige EZB-Direktor Fabio Panetta. In Bulgarien macht vor allem die überall verbreitete Korruption erhebliche Probleme. Genau deshalb hatten erst am Wochenende wieder Tausende Menschen gegen die Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Bojko Borissow protestiert. Dennoch: Sollte alles nach Plan gehen, könnten beide Länder im Jahr 2023 der Eurozone beitreten. Dann würde die Gemeinschaftswährung in 21 Staaten Europas offizielles und einziges Zahlungsmittel sein.

Corona: Lagarde warnt vor "brutalen" Folgen

Bis dahin muss die Eurozone aber erst einmal wieder wirtschaftlich auf die Beine kommen. Die Coronavirus-Pandemie haut stärker ins Kontor als bislang erwartet. Zwar gibt es fast überall Erholungstendenzen. Doch die Währungshüter erwarten einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes der Eurozone in diesem Jahr um mindestens 8,7 Prozent.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde schlägt deshalb auch sorgenvolle Töne an. Die Coronavirus-Krise habe "brutale" Folgen. In einigen Ländern könne man deflationäre Entwicklungen erkennen - ein Phänomen, bei dem in der EZB sofort die Alarmglocken läuten. Deflation bedeutet sinkende Preise. Darüber freuen sich zwar Verbraucher, nicht aber Unternehmen. Denn fallende Preise wirken sich immer schädlich auf die Wirtschaft aus, weshalb die Währungshüter alles daransetzen, sie zu vermeiden.

Krise könnte Ungleichgewichte verschärfen

Allerdings ist die Situation sehr unterschiedlich. In Deutschland zum Beispiel zieht die Inflation etwas an - ausgelöst durch wieder steigende Energiepreise und ein Anspringen des Konsums. Für die gesamte Währungsunion ist die Inflationsrate aber weiterhin viel zu niedrig. Mit 0,3 Prozent im Juni liegt sie weit entfernt vom selbst gesteckten Ziel der EZB von knapp zwei Prozent.

Die Währungshüter schauen auch aus einem anderen Grund mit Unbehagen auf die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedsstaaten. Während sich Länder wie Deutschland und Frankreich sehr rasch und gut vom Pandemie-Schock erholen, sieht das in Spanien und Italien ganz anders aus. Corona könnte damit die Ungleichgewichte in der Union weiter verschärfen. Dies dürfte noch mehr Spannungen in der Geldpolitik verursachen: Während die sich rasch erholenden Länder kaum Interesse an einer weiteren Lockerung haben, werden die Nachzügler genau darauf drängen.

Angekommen in Europa

Vorerst allerdings dürfte bei der EZB nicht viel passieren. Nachdem der EZB-Rat das Rettungsprogramm auf der vergangenen Sitzung auf mehr als 1,3 Billionen Euro aufgestockt hat, will er nun erst einmal eine Pause einlegen. Eine erneute Erhöhung steht derzeit nicht zur Debatte. Eine Zinsänderung ohnehin nicht.

So können sich die Notenbanker mehr Zeit für die beiden neuen Aspiraten nehmen. Im spätbarocken Banuspalais in Zagreb und dem imposanten Regierungssitz am Platz der Unabhängigkeit in Sofia sieht man dies nur zu gern. Denn die anstehenden Beitritte sind auch Ausdruck dafür, dass diese Länder nun endgültig angekommen sind in Europa.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 16. Juli 2020 um 11:00 Uhr.