Die Europäische Zentralbank EZB steht im Sonnenuntergang da.
Analyse

Euroschau zur Corona-Krise EZB spielt mit dem Feuer

Stand: 30.04.2020 07:38 Uhr

Corona hat auch die EZB voll im Griff: Mit Ramsch-Anleihen, Geldspritzen für Banken und Null-Zins-Politik will man die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie eindämmen. Doch vieles ist ein Akt der Verzweiflung. 

Eine Analyse von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

In den oberen Etagen des neuen EZB-Towers, wo der Blick auf die Skyline Frankfurts und auf das Umland besonders schön ist, sieht man derzeit kaum einen Menschen. Hin und wieder summt einer der gläsernen Fahrstühle, in der Direktoriums-Etage sitzt einsam eine Empfangsdame und ganz selten huscht auch mal jemand durch einen der Gänge. Doch insgesamt herrscht in dem Licht durchfluteten Bau am Main gespenstische Ruhe. Nirgendwo das sonst so typische Gewusel von Mitarbeitern, nirgendwo das bunte Sprachen-Gewirr aus allen Teilen Europas, nirgendwo die sonst so einzigartige Atmosphäre in diesem kleinen Meisterwerk moderner Architektur.

Die Europäische Zentralbank war eine der ersten öffentlichen Institutionen, die sehr schnell, effizient und konsequent auf die Coronavirus-Pandemie reagiert hat. Als die Bundesregierung über einen Shut-Down noch nicht einmal nachdachte, testete die EZB schon aufwendig, ob die Arbeit aus dem heimatlichen Büro funktioniere. Als klar war, dass alles läuft, fuhr sie den Betrieb in der Zentrale ruckzuck herunter. Seit Wochen befindet sich die Mehrheit der über 1500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Home Office.

EZB reagierte ungewohnt schnell

Auch die Chefin fackelte nicht lange mit Corona: Als Christine Lagarde den Verdacht hatte, sie habe sich mit dem Virus angesteckt, begab sie sich zwei Wochen in weitgehende Selbst-Isolation. Es blieb bei dem Verdacht. Keine Experimente auch beim EZB-Rat. Der kommt derzeit ohne Reise-Zirkus aus. Die Mitglieder schalten sich per Video-Konferenz zusammen. Flugverbindungen gibt es ohnehin kaum.

Handlungsfähigkeit ist das A und O einer Notenbank - besonders in Krisenzeiten. Die EZB will keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie dem Virus gefeit ist. Was für die Institution gilt, gilt auch für ihre Geldpolitik. Mit einem massiven Programm außerordentlicher Maßnahmen brachte sich die EZB sofort in Stellung: Günstige Kredit-Konditionen für Unternehmen, Geld-Spritzen für Banken und eine Erweiterung der Anleihe-Käufe um 750 Milliarden Euro zusätzlich zu den ohnehin laufenden 240 Milliarden in diesem Jahr - was in normalen Zeiten wochenlange Auseinandersetzungen ausgelöst hätte, wurde so innerhalb kürzester Zeit durchgewunken.

Geldschleusen sollen noch weiter geöffnet werden

Weil das offenbar nicht reicht, sollen die Geldschleusen noch weiter geöffnet werden - um eine weitere Billion Euro: 500 Milliarden relativ bald, der Rest zum Jahresende.

Ob das alles so weise ist, muss mehr denn je bezweifelt werden. Denn die EZB ist derzeit nicht unbedingt der Akteur der Stunde. Die Struktur dieser Krise ist eine ganz andere als die der Finanz- und Schuldenkrise von 2008/2009. Kamen damals Banken ins Straucheln, die das große Rad gedreht hatten, liegt der Kollaps dieses Mal an einem künstlich herbei geführten Einbruch von Angebot und Nachfrage. Nicht Notenbanken sind in erster Linie gefragt, sondern Regierungen. Die müssen umfangreiche Hilfspakete auflegen - und tun das auch in Hülle und Fülle. 

Die Konsequenzen daraus sind dann freilich auch wieder Sache der EZB. Denn die massive Verschuldung der Staaten und die sich zuspitzende Schieflage der Banken als Folge der zu erwartenden Kreditausfälle könnte zu einer neuen Euro- und Schuldenkrise in Europa führen. Erste Anzeichen gibt es bereits: Banken sind wieder zögerlich, sich gegenseitig Geld zu leihen. Die Risiko-Aufschläge und Zinsen, die etwa Italien oder Spanien für neue Staatsanleihen zahlen müssen, steigen stetig und rapide.

Lagarde agiert nicht immer glücklich

Die bisherigen Maßnahmen der EZB sollen also der Vorsorge dienen. Doch durchschlagende Kraft haben sie bislang nicht. Zwar jubeln wie üblich die Aktionäre, eine Entspannung an den Anleihe-Märkten gibt es aber nicht. Die noch neue Chefin zeigt sich kämpferisch und wiederholt in allen möglichen Varianten die historische "whatever-it-takes"-Aussage ihres Vorgängers. Doch die Wirkung ist längst verpufft. Auch insgesamt ist die Kommunikation von Christine Lagarde nicht immer glücklich: die EZB sei nicht dafür da, unterschiedliche Zinsen in der Eurozone auszugleichen, sagte sie auf Nachfrage während der letzten Pressekonferenz. Prompt kamen italienische Staatsanleihen unter Druck. 

Bei alledem kommt auch die EZB immer mehr in Bedrängnis. Zunehmend gehen ihr die Mittel aus. Um überhaupt Anleihen im geplanten Ausmaß halten und kaufen zu können, warf der EZB-Rat flux die selbst gesetzten Regeln über Bord. Jetzt dürfen auch Anleihen gekauft werden, die von den Rating-Agenturen auf Ramsch-Niveau gesenkt wurden oder werden. Dieser Akt der blanken Not hat zwei Gründe: zum einen gibt es schlichtweg nicht mehr genug Anleihen mit guter Bonität, die für den Kauf in Frage kämen. Zum anderen werden auch Papiere herabgestuft, die längst im Depot der EZB liegen und auf diesen Weise nicht rausgeworfen werden müssen.

Verzweifelte Lage

Insgesamt zeigt die Situation, in welch verzweifelter Lage die EZB und die gesamte Eurozone ist: Weil die Verwerfungen der Finanzkrise von 2008/2009 niemals wirklich behoben wurden, die Währungshüter die Probleme mit Geld zuschütteten und fahrlässig versäumt haben, ihre Geldpolitik in den letzten Jahren wenigstens ein bisschen wieder auf Normalmaß zurückzufahren, geht der Notenbank langsam die Luft aus. Null-Zinsen, Minus-Zinsen für Banken und effektiv zu wenig Anleihen bei einem bereits gekauften Berg von Bonds, deren Wert fast 45 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Eurozone ausmacht, ist die ohnehin schon prekäre Situation. Auf all das kommen nun auch noch die wirtschaftlichen Probleme, die durch die Coronakrise ausgelöst werden.

Es ist fraglich, wie lange die mit Klebeband zusammengehaltene Eurozone unter diesen Bedingungen weiter funktionieren kann. Wenn Corona weiter wütet und ein Ende nicht in Sicht ist, bringt das Virus nicht nur namhafte Unternehmen wie Lufthansa und Co ins Schlingern - es setzt auch den Zerstörungsprozess der gemeinsamen Währung in Gang. Angesichts dieser Überlegungen muss sich die EZB fragen lassen, ob ihre rasanten und ausufernden Maßnahmen der letzten Wochen nicht etwas zu schnell und großzügig daher kamen. Denn was will sie denn noch auffahren, wenn es noch viel schlimmer kommt? Die EZB sollte ihre Geldpolitik effektiver und gezielter einsetzen. Der große Wurf wird immer mehr zum Spiel mit dem Feuer. Bleibt zu hoffen, dass Corona nicht zu viel verbrennen lässt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 30. April 2020 um 11:40 Uhr.