Kolumne Euroschau Draghi lässt Testballon steigen

Stand: 19.07.2017 13:30 Uhr

Als EZB-Präsident Draghi kürzlich positiv von der Wirtschaft der Eurozone sprach, reagierten die Märkte heftig. Die EZB gab sich überrascht. Doch es war wohl ein Testballon, wie eine Änderung der Geldpolitik ankäme.

Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Es war warm. Die Sonne schien. Hortensien und Oleander blühten in voller Pracht. Durch die Pinienwälder wehte der Wind vom nahen Atlantik. Und die im 14. Jahrhundert erbaute Klosteranlage glänzte mit ihrer kleinen, markanten Kuppel: Penha Longa, das abgesperrte und hochgradig gesicherte Luxus-Resort in der Nähe von Sintra, war auch in diesem Jahr wieder Dreh- und Angelpunkt der europäischen Notenbank-Welt.

Wendepunkt der lockeren Geldpolitik?

Knapp 30 Kilometer westlich von Lissabon trafen sich hier rund 150 hochrangige Zentralbanker und Wissenschaftler zum jährlichen EZB-Forum - und der Gastgeber sorgte zum Auftakt der Konferenz für einen Paukenschlag: Präsident Mario Draghi hielt zur Eröffnung eine Rede, die als weiterer Wendepunkt der lockeren Geldpolitik in die Wirtschaftsgeschichte eingehen könnte - zumindest, weil die Finanzmärkte sie so interpretierten oder interpretieren wollten.

EZB-Chef Draghi in Sintra

EZB-Chef Draghi in Sintra

Zuversicht zur Euro-Wirtschaft

Draghi hatte in den altehrwürdigen Klostermauern ein überaus positives Bild der europäischen Wirtschaft gezeichnet. Er hatte sich und seiner Institution erneut bescheinigt, die lockere Geldpolitik wirke und sei ein Erfolg. Die Deflationsgefahr sei endgültig gebannt und vorbei. Genau aus diesem Grund waren die Leitzinsen auf Null gesenkt und das umstrittene milliardenschwere Anleihe-Kaufprogramm auf den Weg gebracht worden. "Alle Zeichen deuten nun auf eine Festigung und Verbreiterung der Erholung in der Eurozone hin", sagte Draghi.

Auch gebe es Hoffnung, die weiterhin niedrigen Inflationsraten würden nicht von Dauer sein. Dennoch müsse die EZB mit großer Besonnenheit vorgehen. Beständigkeit in der Geldpolitik sei notwendig, eine Anpassung der monetären Parameter könne nur sehr graduell vonstatten gehen.

Die Interpretation der Finanzmärkte

Von dieser Vorsicht und Warnung wollten die Akteure an den Finanzmärkten aber nichts mehr wissen. Sie konzentrierten sich nur auf den ersten Teil der Rede und interpretierten sie als Ausdruck einer sich anbahnenden geldpolitischen Wende. Die Reaktionen folgten prompt: An den Devisenmärkten schnellte der Euro-Kurs in die Höhe, an den Anleihemärkten stiegen die Renditen, es gab sogar Turbulenzen.

Die EZB zeigte sich überrascht ob der Reaktionen und machte deutlich, sie fühle sich falsch verstanden. Draghi habe doch eindeutig auch zur Behutsamkeit aufgerufen und vor möglichen Risiken gewarnt. An einem steigenden Euro hatten die Notenbanker nur wahrlich kein Interesse. Er verteuert Exporte. Und an steigenden Zinsen am Rentenmarkt auch nicht. Sie verteuern die Finanzierung der Staaten.

Doch da hatte sich die Büchse der Pandora längst geöffnet: Die Märkte machten, was sie wollten, und die EZB wurde zum Getriebenen. Ein Kommunikations-Fauxpas? Oder vielleicht doch Absicht?

Offenbar ein Versuchsballon der EZB

Wohl eher das letzte. Offenbar war Sintra der große Versuchsballon. Ein Test, um zu sehen, wie die Finanzmärkte auch auf kleine Andeutungen einer Änderung der Geldpolitik reagieren - und ob sie das verkraften. Denn Draghi ist sich nur zu bewusst: Der Rückhalt für eine weiter andauernde lockere Geldpolitik fängt langsam an zu bröckeln.

Bundesbankpräsident Jens Weidmann lässt keine Gelegenheit aus, um eine Diskussion über den Ausstieg aus den Anleihekäufen zu fordern. EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch sieht das ähnlich, auch wenn er es diplomatischer verpackt. Und die Veröffentlichung des Sitzungsprotokolls der jüngsten Ratssitzung im Tallinn macht deutlich: Die Stimmen für ein langsames Auslaufen mehren sich.

Vages Signal für Richtungsänderung

In der estnischen Hauptstadt hatte es bereits ein erstes, vages Signal für eine Richtungsänderung  gegeben. Dort wurde der sich seit Monaten wiederholende Hinweis im Abschluss-Kommuniqué gestrichen, die Zinsen könnten auch noch weiter sinken.

Der Druck für Änderungen wächst

Konkret heißt das: Der EZB-Rat bereitet langsam und behutsam die geldpolitische Wende vor. Die Mehrheit der Mitglieder würde zwar gern den gegenwärtigen Kurs unverändert weiterfahren, um die sichtbaren Erfolge nicht zu gefährden. Aber der Druck der Banken, Sparer und jetzt auch der Finanzmärkte wird immer stärker, die Politik zu ändern. Die Folge ist das langsame Auslaufen der Anleihekäufe. Eigentlich soll das Programm Ende dieses Jahres beendet werden. Doch voraussichtlich wird es Anfang 2018 in deutlich geringerem Umfang noch ein paar Monate weiter geführt, um dann schrittweise auszulaufen.

Kapitel Negativ-Zinsen beenden

Im Zuge dessen dürften relativ schnell auch die Negativ-Zinsen beendet werden. Das sind Strafzinsen, die Banken zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken. Diese Maßnahme ist auch den Notenbankern schwer gefallen. Denn dadurch wird der natürliche Marktmechanismus, das Geld einen Preis hat, außer Kraft gesetzt – was langfristig schädlich ist. Die EZB hat daher höchstes Interesse daran, dieses Kapitel möglichst bald zu beenden. Ende 2018/Anfang 2019 könnte es dann auch zu einem ersten, leichten Anstieg der Leitzinsen kommen. Dann wäre auch die Zinswende für die Verbraucher da.

Ein genauer Fahrplan fehlt

Ein solcher konkreter Fahrplan wird an den Finanzmärkten schon seit langem gefordert. Doch die EZB hat sich dazu bislang nicht durchringen können. Auch ist es wenig wahrscheinlich, dass sich die Notenbanker diese Woche stark aus dem Fenster lehnen werden. In den Sommermonaten möchten sie Ruhe, zumal die neuesten Inflationsdaten wieder schwächer ausgefallen sind. Das aber widerspricht dem Ziel einer angestrebten Inflationsrate von knapp zwei Prozent. Die geldpolitische Wende vollzieht sich also langsam, zäh und schleppend.

Dennoch: Wenn sich die Notenbank-Welt nächsten Sommer wieder in Sintra trifft, werden sich zwar die Baumwipfel wieder im Atlantik-Wind wiegen und die Sonnenstrahlen auf der Kloster-Kuppel glitzern - doch die Geldpolitik dürfte dann eine andere sein.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 19. Juli 2017 um 12:00 Uhr.