Kolumne Euroschau Melkkuh unter Druck

Stand: 05.11.2014 19:09 Uhr

Die italienische Traditionsbank Monte dei Paschi ist mit ihrer jahrelangen Hybris symptomatisch für so viele andere Krisenbanken in der EU. Jetzt hat der EZB-Stresstest deren Not aufgedeckt. Trotzdem braucht die Bankenaufsicht einen neuen Ort.

Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Der Palio di Siena ist der wohl berühmteste und spektakulärste Pferdewettkampf der Welt. Zweimal im Jahr treten die Vertreter der 17 Stadtteile der italienischen Stadt im Herzen der Toskana gegeneinander an. Das farbenfrohe Spektakel auf der zentralen Piazza del Campo vor dem historischen Rathaus lockt jedes Jahr Zehntausende Touristen.

Es hat auch einen großen Mäzen: die Banca Monte dei Paschi di Siena (MPS). Den Palio mit zu finanzieren ist quasi Ehrensache für die Traditionsbank. Schließlich wurde sie in der Renaissancestadt gegründet. Die MPS blickt auf eine über fünfhundertjährige Geschichte zurück und ist damit das älteste Kreditinstitut der Welt.

Die Sienesen nennen ihre Bank liebevoll "mucchina", die "Melkkuh". Denn genauso wie die MPS von Siena lebte, lebte Siena von der MPS: Sie sorgte für Wohlstand, wehrte  Kriege und Pest ab und war Jahrhunderte lang eine sprudelnde Quelle für die Stadtentwicklung.

Die Melkkuh hat ausgemuht

Jetzt hat die Melkkuh ausgemuht. Das altehrwürdige Institut ist so marode wie die Grundpfeiler des Palazzo Salimbeni, in dem sie prunkvoll haust. Erst verspekulierte sich die Bank mit Devisengeschäften. Dann übernahm sie sich bei Kauf eines Konkurrenten. Schließlich musste der Staat einspringen. Die italienische Notenbank als zuständige Aufsicht hatte nichts gemerkt und machte die Augen zu. An deren Spitze stand damals der heutige EZB-Präsident Mario Draghi. Jetzt fiel Italiens drittgrößtes Kreditinstitut durch die Bankenprüfung der Europäischen Zentralbank.

Das Beispiel Monte dei Paschi ist symptomatisch für viele Krisenbanken im Euroraum: verzockt und verspekuliert, von der Aufsicht schlampig kontrolliert, vom Steuerzahler über Wasser gehalten. Dazu gehören auch deutsche Institute. Hierzulande sind Bundesbank und BaFin für die Überwachung zuständig. Auch sie haben sich nicht mit Ruhm bekleckert.

EZB macht Schluss mit dem Trauerspiel

Die Europäische Zentralbank macht jetzt endlich Schluss mit diesem Trauerspiel. Diese Woche hat sie die Bankenaufsicht über die größten 120 Institute im Euroraum übernommen. Die nationalen Aufsichtsbehörden wurden entmachtet. Auch die Europäische Bankenaufsicht EBA in London hat nicht mehr viel zu sagen. Sie ist ohnehin mehr durch Versagen als durch Erfolge aufgefallen. Offiziell war sie zwar an der jetzt durchgeführten Bankenprüfung und dem damit verbundenen Stresstest beteiligt. Doch auf ihre fragwürdige Expertise legt man schon lange keinen Wert mehr. Eigentlich könnte auch sie gleich abgewickelt werden.

Der EZB ist es gelungen, innerhalb kürzester Zeit eine neue Behörde aus dem Boden zu stampfen: Sie hat rund tausend neue Mitarbeiter geheuert, geschult und provisorisch untergebracht. Und sie hat die größten Banken des Euroraumes auf Herz und Nieren geprüft. Und sie hat die Institute durch einen Stresstest gejagt, den man auch so nennen kann. So etwas gab es noch nie: die umfassendste Bankenprüfung in der Geschichte Europas. Dafür gebührt der EZB höchste Anerkennung und großes Lob!

Die Banken gaben hingegen kein gutes Bild ab: 25 Institute fielen beim Crashtest mit Bausch und Borgen durch, vor allem italienische, griechische und slowenische. Das sind rund ein Fünftel der geprüften Banken! Auch ein deutsches Haus, die Münchener Hypothekenbank, blamierte sich und schmierte ab. Mittlerweile gelang es ihr und zwölf weiteren europäischen Häusern die Löcher zu stopfen. Die restlichen haben nun bis zu neun Monate Zeit, um eine Lösung zu finden. Schaffen sie das nicht, droht ihnen die Schließung.

Ist die EZB die richtige Behörde?

Der EZB hat die Bankenaufsicht gut vorbereitet. Doch bei allem Respekt und Lob bleiben gravierende Zweifel: Ist die EZB wirklich die richtige Behörde für diesen Job? Schon die Staats- und Regierungschefs der EU hatten schwere Bauchschmerzen, als sie die Währungshüter vor mehr als einem Jahr mit der Aufgabe betrauten. Doch in der Eurokrise drängte die Zeit. Die EBA nahm ohnehin keiner ernst. So blieb nur die EZB für diese Aufgabe. Die Bildung einer ganz neuen Behörde hätte zu viel Zeit gekostet. Noch entscheidender: Für eine neue Behörde hätten die EU-Verträge geändert werden müssen. Das wollten die Politiker vor der Europawahl im Mai dieses Jahres um jeden Preis verhindern.

Für die EZB bedeutet die neue Aufgabe eine immense Erweiterung ihrer Position. Die ist demokratisch wenig legitimiert. Schon zuvor hatten die Währungshüter im Zuge der Eurokrise eine enorme Machtfülle erhalten, die nicht im Einklang mit dem Geist ihrer Gründungsväter steht. Problematisch ist vor allem der Interessenskonflikt, den es zwischen dem geldpolitischen Arm und der Bankenaufsicht gibt.

Die Wirtschaft soll auf Trab gebracht werden

So tut die EZB mit hoch umstrittenen Programmen derzeit alles, um die Kreditvergabe bei den Banken anzukurbeln. Damit soll die stagnierende Wirtschaft im Euroraum auf Trab gebracht werden. Auf der anderen Seite müssen die Bankenaufseher der EZB die Institute im Kreditgeschäft an die kurze Leine nehmen. Die ungeprüfte und überbordende Kreditvergabe war schließlich der Auslöser der Finanzkrise. Damit begann die Schieflage des Bankensektors.

Interessenskonflikte gibt es auch auf anderer Ebene: Die EZB kauft den Banken hoch riskante Wertpapiere ab, um die Bilanzen zu entlasten.

Die Bankenaufseher neigen dazu, genau dies zu verhindern. Dieser Eingriff des geldpolitischen Arms ist natürlich Gift für die notwendige Bereinigung, die marode Banken aus dem Markt fegen soll.

Die EZB betont immer wieder, zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht gäbe es eine Chinesische Mauer – eine Grenze, die einen Datenaustausch verhindern soll. Doch schon die räumliche Nähe und Enge macht das unmöglich. Aus Platzmangel wurden schnell andere Gebäude rund um das alte EZB-Gebäude gemietet. Spätestens in der Kantine laufen sich beide Seiten über den Weg. Vize-Präsident Vitor Constancio hat schon durchblicken lassen: Der Austausch von Daten sei durchaus sinnvoll. Auch beschwichtigt er: Kommt es zum Interessenskonflikt. soll ein spezielles Gremium eine Lösung finden. Doch die Gefahr bleibt: Die Hauptaufgabe der EZB, Preisstabilität zu sichern, könnte zu Konflikten mit der Bankenaufsicht führen und darunter leiden.

Bankenaufsicht muss ausgelagert werden

Die Bankenaufsicht bei der EZB darf deshalb nur ein Provisorium bleiben. Sie muss wieder ausgelagert und in eine eigenständige, schlagkräftige Behörde Europas umgewandelt werden. Nur so kann die EZB langfristig wieder zu einer normalen Zentralbank werden, die ausschließlich ihren Auftrag verfolgt: Preisstabilität zu wahren. So wollten es die Gründungväter, so steht es in den Verträgen.

Bis es dazu kommt, werden wohl noch Jahre vergehen. Ob die Banca de Monte dei Paschi di Siena bis dahin wieder solide ist, steht in den Sternen. Den Palio wird es dennoch weiter geben. Die Sienesen werden schon eine andere Milchkuh finden.