Der niederländische Ministerpräsident Rutte und EU-Kommissionspräsident Juncker am 17. November 2017

EU-Haushalt Wer stopft die "Brexitlücke"?

Stand: 19.02.2018 17:45 Uhr

Durch den Brexit fehlen im nächsten EU-Haushalt Milliarden. Die übrigen EU-Mitglieder sollen die Lücke füllen, doch vor allem Österreich und die Niederlande stellen sich quer.

Brüssel will mehr Geld, aber klappt das auch? Österreich und jetzt auch die Niederlande sagen: Wir wollen nicht mehr geben als bisher. Beides relativ kleine, aber sehr wirtschaftsstarke EU-Mitglieder.

Die Niederlande haben - anders als Österreich - finanziell besonders großes Gewicht in der EU. Sie sind nach Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien der fünftgrößte Nettozahler. Großbritannien wird die EU verlassen und fällt - trotz angepeilter Übergangsregelungen - schon im Verlauf der nächsten Finanzperiode von 2021 bis 2028 aus.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker bekommt damit ein großes Finanzproblem. Andere - wie die Niederlande und Österreich - sollen die Lücke zumindest ein wenig füllen, das war seine Hoffnung bisher.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz

Auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz will die "Brexitlücke" nicht einfach durch höhere Beiträge füllen.

Ist eine Tasse Kaffee pro Tag zu viel?

Ein kategorisches Nein, wie jetzt von der niederländischen Regierung formuliert, wollte Juncker noch kürzlich mit einem einfachen und zugleich beruhigenden Vergleich verhindern: EU-Bürger bezahlten ja schon bisher gar nicht so viel für Brüssel: jeden Tag nur so viel, wie eine Tasse Kaffee kostet. "Ich bin wirklich der Meinung, Europa ist mehr wert als nur eine Tasse Kaffee pro Tag", wirbt Juncker.

Aber das scheint viele EU-Regierungschefs nicht sehr zu beeindrucken. Erst beim letzten EU-Gipfel forderten einige von ihnen höhere Ausgaben etwa für Sicherheit und Grenzschutz, pochten aber gleichzeitig auf mehr Einsparungen - möglichst nicht bei sich selbst, sondern bei den anderen, wie auch deutsche EU-Diplomaten bemerkten.

Oettinger beschwört den "europäischen Mehrwert"

Auch EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger versuchte es kürzlich mit einem einfachen Rechenbeispiel: "Wenn irgendjemand sagt, wir würden im Moloch Brüssel zu viel Geld bekommen, dem kann ich nur sagen: Es ist nur ein Euro von 50 nationalen Steuer-Euros, die zu uns kommen. 49 bleiben draußen."

Vielleicht müssten in Zukunft "zehn oder 20 Cent mehr zu uns kommen", ergänzte Oettinger. Und das sei ja nicht viel, um alles zu bezahlen, was nötig und sinnvoll ist, vor allem den von Oettinger beschworenen "europäischen Mehrwert". EU-Projekte sollen nicht nur jeweils einem Land, sondern immer auch der Gemeinschaft zugutekommen.

"Brexitlücke" und neue Projekte

Am Freitag wird der "mehrjährige Finanzrahmen" Thema bei einem Gipfeltreffen in Brüssel sein. Es geht um die Nach-Brexit-Zeit. Die EU-Kommission will nicht nur für die "Brexitlücke" einen Ausgleich.

Auch für neue gemeinsame Aufgaben soll aufgestockt werden. Gemeint sind unter anderem die Sicherung der EU-Außengrenzen, die Terrorabwehr und die verstärkte Zusammenarbeit zwischen den europäischen Armeen. Allein das Militärprojekt will Brüssel in den kommenden Jahren mit zusätzlichen zehn Milliarden Euro fördern.

Dazu braucht es höhere Beiträge aus den Mitgliedstaaten. Auch aus den Niederlanden, die schon bisher gut zwei Milliarden Euro mehr in den EU-Haushalt einzahlen als sie über EU-Finanzierungsprogramme zurückbekommen. Die EU-Kommission wünscht sich mehr.

Es fehlen 20 Milliarden Euro

Ob Bundeskanzlerin Angela Merkel den niederländischen Regierungschef Mark Rutte bei seinem Besuch im Kanzleramt umstimmen kann, gilt als fraglich. Das Misstrauen gegen die Brüsseler Finanzplanung scheint in den letzten Wochen eher größer geworden zu sein. Anders ist das deutliche Nein aus den Niederlanden nicht zu erklären.

Bleibt das so, und folgen andere dem niederländischen Beispiel, könnte es in Brüssel eng werden. Chaos könnte ausbrechen, warnen französische EU-Diplomaten.

Der EU-Austritt der Briten schlägt nach Angaben der EU-Kommission mit einem Minus bis zu 13 Milliarden Euro jährlich zu Buche. Die "Brexitlücke" wird zusammen mit Zusatzkosten für neue Aufgaben auf 20 Milliarden Euro jährlich veranschlagt.

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger warnt vor einem Finanzchaos, wenn kein Haushalt zustande kommen sollte.

Verteilungskämpfe hinter den Kulissen

Für EU-Haushaltkommissar Oettinger geht es nicht nur um Mehreinnahmen, auch um "Ausgaben streichen". Vor allem die reicheren EU-Staaten könnten betroffen sein, die sich viele Projekte noch kofinanzieren lassen, die schon bald zur Disposition stehen könnten.

Brüsseler Beobachter sehen die harte Finanzhaltung der Niederlande gerade auch als Warnung, genau das lieber nicht zu tun. "Ich bin überhaupt nicht dafür, dass in der EU Freibier für alle finanziert wird", erklärte auch Juncker unlängst, aber ohne Konzentration der Ausgaben werde es nicht gehen.

Die ersten Verteilungskämpfe beginnen schon hinter den Brüsseler Kulissen mit dem Agrarhilfen-Profiteur Frankreich: Es geht um Milliardenhilfen für die Landwirtschaft, die die Niederlande stark einschränken wollen.

Es droht ein großes Finanzchaos

Oettinger - von dunklen Vorahnungen heimgesucht - warnte kürzlich: "Wenn jeder seine Position festlegt und kein Entgegenkommen zeigt, wenn er am Freitag nach Brüssel fliegt, geht die Sache schief."

Denn der EU-Finanzplan muss von allen Regierungen gemeinsam und einstimmig beschlossen werden. Wenn auch nur ein EU-Land sagt: "Nicht mit uns!", dann bekommt die EU überhaupt keinen Haushalt und ein großes Finanzchaos.

"Wenn wir keinen Haushaltsrahmen hinbekommen, hießen die Gewinner Putin, Erdogan und Trump." Mit dieser Drohung wollte Oettinger nicht nur an die die finanziellen Risiken erinnern, sondern auch auf die Bedeutung einer funktionierenden EU für die Demokratie. Für die Kommission geht es also nicht mehr nur um mehr oder weniger Geld, sondern schon um das Ganze. 

Andreas Meyer-Feist, Andreas Meyer-Feist, HR Brüssel, 19.02.2018 16:52 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 19. Februar 2018 um 17:35 Uhr.