Kompromisssuche vor EU-Gipfel Streit statt Lösungen für die Schuldenstaaten

Stand: 20.10.2011 13:04 Uhr

Der anstehende EU-Gipfel soll eine dauerhafte Lösung der Schuldenkrise einleiten. Doch bislang ist keine Einigung in Sicht. Deutschland und Frankreich streiten über einen Kredithebel beim Rettungsschirm EFSF. Dieser sorgt auch innerhalb des Bundestags für heftige Diskussionen.

Drei Tage vor dem EU-Gipfel zur Schuldenkrise ringen die Regierungen der Euro-Staaten um gemeinsame Lösungen. Zwischen Deutschland und Frankreich zeichnet sich dabei noch keine Einigung im Streit um eine Stärkung des Euro-Rettungsschirms EFSF ab. Am Abend hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy in Frankfurt auf einem kurzfristig angesetzten Treffen über mögliche Kompromisse verhandelt. Zum Inhalt der Gespräche wurden bislang keine Details bekannt.

Ein wichtiger Streitpunkt bleibt offenbar die Frage, wie die EFSF-Mittel über einen Kredithebel vervielfacht werden sollen. Frankreich will dies erreichen, indem der Rettungsschirm eine Banklizenz erhält. Deutschland widersetzt sich laut Angaben aus Regierungskreisen diesem Ziel und strebt offenbar an, die erwünschte Hebelwirkung über eine Art Versicherungsmodell zu erreichen. Dabei würde der EFSF das Ausfallrisiko privater Investoren beim Kauf von Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder zum Teil absichern und damit die Kaufanreize erhöhen.

Entwurf für Leitlinien verschickt

In der Nacht verschickte das Bundesfinanzministerium den Entwurf der neuen Ausführungsbestimmungen für den EFSF an Bundestagsabgeordnete. In diesem Leitlinienentwurf, aus dem mehrere Nachrichtenagenturen zitieren, ist noch nicht genau dargelegt, wie gegebenenfalls eine Hebelwirkung zustande kommen soll. Im Anschreiben hieß es: "Ob und in welcher Ausgestaltung die Möglichkeit der Effizienzsteigerung tatsächlich in die Leitlinien aufgenommen wird, ist deshalb zum jetzigen Zeitpunkt noch offen." Mehrere Varianten seien noch im Gespräch. Das Schreiben stammt aus dem Büro von Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter.

Der Entwurf der Leitlinien betrifft vor allem neue Instrumente, die der EFSF im Zuge der gerade beschlossenen Reform erhalten soll. Es geht dabei um den Ankauf von Staatsanleihen hoch verschuldeter Staaten der Eurozone, um vorbeugende Finanzhilfen sowie um die Vergabe von Krediten, die die Euro-Staaten zur Unterstützung nationaler Banken einsetzen können.

Opposition empört über Schäuble

Oppositionsabgeordnete äußerten sich empört über den versandten Entwurf aus dem Haus von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, sprach von einem Verwirrspiel. Den Abgeordneten sei von Schäuble ein Text übersandt worden, "der vollkommen anders ist, als das, was öffentlich diskutiert wird". Weder die Frage des Volumens des EFSF sei endgültig geklärt, noch sei die viel diskutierte "Hebelung" des Fonds enthalten. "Ich erwarte, dass Herr Schäuble das schnellstens aufklärt, denn sonst kann der Bundestag oder der Haushaltsausschuss nicht beraten", sagte Schneider.

Die Grünen-Politikerin Priska Hinz argumentierte ähnlich. Für sie gebe mit dem vorliegenden Text derzeit keine Grundlage für Beschlüsse im Haushaltsausschuss. "Solange wir nicht wissen, ob der Hebel aufgenommen wird oder nicht, können wir nicht darüber beschließen", sagte sie.

Debatte um Zustimmungspflicht des Bundestags

Über die Leitlinien für den EFSF berät heute der Haushaltsausschuss des Bundestages. Innerhalb des Parlaments schwelt inzwischen ein Streit, in welcher Form eine Zustimmung erforderlich ist. Bundestagspräsident Norbert Lammert wies Forderungen der Opposition zurück, das Parlament müsse über den Hebel-Mechanismus im EFSF abstimmen. "Wenn die Höhe der Verpflichtungen verändert würde, müsste der Bundestag erneut befasst werden", sagte er der "Frankfurter Rundschau". Wie der Fonds jedoch die Mittel einsetze, werde mit Leitlinien festgelegt, "die der Zustimmung des Haushaltsausschusses bedürfen". Dadurch sei die parlamentarische Mitwirkung ausreichend gewährleistet.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte dazu: "Herr Lammert hat unrecht. Die Entscheidung, die Kapazität des EFSF auf ein oder zwei Billionen Euro zu erweitern, berührt die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages." Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, argumentierte, dass durch die geplante Einführung eines Kredithebels das Verlustrisiko für die deutsche Haftungssumme von bislang 211 Milliarden Euro steige. Deshalb müsse das Plenum des Bundestages vor einer Zustimmung Merkels auf dem EU-Gipfel seine Einwilligung erklären. Der Fraktionsvize der Partei Die Linke, Ulrich Maurer, erklärte: "Die Bundesregierung versucht, ihre neue europäische Gelddruckmaschine am Deutschen Bundestag vorbeizuhebeln." Dies stelle die Grundlagen der Demokratie infrage.

Erwartungen an Gipfel gedämpft

International wurden im Vorfeld des Gipfels erneut die Hoffnungen auf eine nachhaltige Lösung der Schuldenkrise gedämpft. Österreichs Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner bezeichnete es als Illusion, "den berühmten Befreiungsschlag" zu erwarten. "Wir werden uns noch länger mit dem Thema beschäftigen", fügte er hinzu. Der finnische Ministerpräsident Jyrki Katainen hatte bereits am Mittwoch erklärt: "Ich glaube nicht, dass am Sonntag Lösungen gefunden werden können, die alles richten."

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso drängte die Euro-Staaten zur Kompromissbereitschaft. Er verlangte erneut eine Stärkung des Euro-Rettungsschirms. "Wenn ein Punkt wichtiger ist als alle anderen, dann ist das die Notwendigkeit, die Brandschutzmauer zu stärken." Er fügte hinzu: "Wir haben eine Hebelung des EFSF vorgeschlagen. Und ich hoffe, darauf wird man sich am Sonntag einigen".