Finanzmärkte Die Legende von der Tulpenzwiebel

Stand: 02.07.2019 09:35 Uhr

Die holländische Tulpenmanie der 1630er-Jahre gilt als Paradebeispiel für durchdrehende Finanzmärkte. Damals konnte man sich für den Preis einer Tulpenzwiebel angeblich ein Haus kaufen – dann krachte alles zusammen. Doch ist das nur eine historische Legende?

Im Februar 1637 platzte die legendäre holländische Tulpenblase, sie gilt bis heute als die Mutter aller Blasen. Damals hatten riskante Spekulationen den Markt für Tulpenzwiebeln aus dem Gleichgewicht gebracht. Der bizarre Crash trug sich nur wenige Jahrzehnte vor dem ersten Aktiencrash in Holland zu.

Die Muster ähneln sich. Wie später in der Dotcom-Blase Ende der 90er Jahre oder in der Immobilienkrise vor einigen Jahren basierte auch der Tulpenwahn auf der Hoffnung ständig steigender Preise und explodierender Gewinne.

Ende des 16. Jahrhunderts kamen die ersten Tulpen aus dem Osmanischen Reich nach Holland. Dort wurden sie wegen ihres edlen, schönen Aussehens von reichen Bürgern zu hohen Preisen gekauft. Einigen Gärtnern gelang es schließlich, die Tulpen in Holland heimisch zu machen. In den 1630er Jahren begannen sich die Preise für Tulpenzwiebeln innerhalb weniger Jahre zu vervielfachen.

Kaufen, einlagern, warten, Pleite sein

Die Tulpe wurde zu einem Statussymbol für Reichtum, den man mit den bunten Blumen zur Schau tragen konnte. Neider taten alles, um es den Vermögenden gleichzutun. Die Tulpenzwiebeln wurden immer beliebter, die Nachfrage stieg. Da durch die steigende Nachfrage die Preise stetig anzogen, rief die Chance auf schnell verdientes Geld Spekulanten auf den Plan. So will es das Gesetz des Marktes.

Für die seltene und besonders begehrte Zwiebel „Semper Augustus“ (Allzeit erhaben) verlangten Händler zu Beginn des Jahres 1637 tausende Gulden. Eine Zwiebel habe so viel gekostet wie ein Stadthaus an einer vornehmen Gracht in Amsterdam, wird erzählt.

Auf der Jagd nach dem finanziellen Glück sollen viele Niederländer ihre gesamten Ersparnisse geopfert haben, um sich Unmengen von Tulpenzwiebeln im Keller einzulagern. Der Plan war simpel: Sie wollten die Pflanzen nach einer Weile zu gestiegenen Preisen wieder veräußern. Auf die harte Tour lernten sie, dass nichts so gewiss ist wie die Ungewissheit – und dass man nur spekulieren sollte, wenn man den Ausfall verkraften kann.

Gutes Timing ist das halbe Leben

Die Preisblase begann Anfang 1637 bei einer Versteigerung in einem Haarlemer Wirtshaus zu platzen: Keiner kaufte. Der Vorgang sprach sich rasch herum und binnen weniger Tage brach der Handel zusammen. Am 7. Februar 1637 stürzten die Preise für Tulpenzwiebeln um 95 Prozent. Weite Teile der Bevölkerung, die im Tulpenwahn mit gehandelt hatten, sollen auf einen Schlag ihre Ersparnisse verloren haben. Timing ist wie immer alles: Wer rechtzeitig verkauft hatte, konnte sich jetzt in Amsterdam ein schönes Leben machen.

Der Rest sei so vollständig ruiniert gewesen, dass der Staat eingreifen musste, um den Zusammenbruch der Wirtschaft zu verhindern. Dieses Muster hat, wie wir spätestens seit der Finanzkrise wissen, bis heute eine gewisse Aktualität. Es wurde festgelegt, dass alle offen stehenden vertraglichen Verpflichtungen durch Zahlung von 3,5 Prozent des ursprünglichen Preises abgegolten werden mussten.

Die ewige Wiederkunft des Gleichen

Die Geschichte der Märkte zeigt, dass die Ökonomie regelmäßig Krisen und Blasen produziert. Gerne wird dann der Vergleich zur Tulpenmanie gezogen. Beim Thema Dotcom-Blase drängt er sich geradezu auf, auch in jüngerer Zeit fühlten sich Fachleute beim Thema Kryptowährungen an das Amsterdam des 17. Jahrhunderts erinnert. Der Kurs des Bitcoin ist bis heute riesigen Schwankungen unterworfen, häufig ist von irrationalem Überschwang, Blase, Gier und Risiko die Rede.

Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB, nannte Kryptowährungen ein „Irrlicht mit verführerischem Schein“: „Würden Sie einen Strauß Tulpen in Bitcoin bezahlen, wäre es gut möglich, dass die Blumen bereits welk sind, wenn die Transaktion bestätigt wird.“

Sein Kollege, der EZB-Vizepräsident Vitor Constancio, spielte direkter auf die Tulpenblase an und konstatierte, der Bitcoin sei eine Art „Tulpe“. Und der Vorstandschef der US-Bank JPMorgan, Jamie Dimon, nannte den Bitcoin einen „Betrug“, verglich den Hype mit der Tulpenmanie, und prognostizierte große Verluste. JPMorgan entwickelt eine eigene Kryptowährung.   

Wahrheit oder Legende?

Aber was ist seinerzeit in Amsterdam wirklich passiert? Neuere Forschung deutet darauf hin, dass an der Geschichte von der legendären Tulpenblase mehr Legende sein könnte als gedacht. Anne Goldgar ist Professorin für frühe moderne Geschichte am Londoner King’s College. Sie schrieb das Buch „Tulipmania: Money, Honor and Knowledge in the Dutch Golden Age“. Es sei eine aufregende Story, schreibt sie in einem ausführlichen Beitrag für das Online-Wirtschaftsportal „Makronom“. „Das Problem ist nur: Das meiste davon ist nicht wahr.“

„Als der Crash kam, geschah dies nicht, weil naive oder uninformierte Leute auf die Märkte geströmt wären, sondern wahrscheinlich aufgrund von Ängsten vor einem Überangebot und vor einer mangelnden Nachhaltigkeit des großen Preisanstiegs in den ersten fünf Wochen des Jahres 1637“, schreibt die Historikerin, die für ihr Buch „mehrere Jahre in niederländischen Archiven verbracht“ hat und mit einigen Mythen aufräumen möchte. Die Tulpenmanie sei kein Rausch gewesen, der Handel sei ruhig verlaufen, die Preise mögen zeitweise hoch gewesen sein, aber meistens nicht, so ihre These.

Es ist schwierig, hunderte Jahre später die wirklich wahre Wahrheit eines historischen Vorgangs nach Aktenlage und aus anderen historischen Quellen zu ermitteln. Um Deutung und Fakten geschichtlicher Ereignisse wird gerungen werden, solange es die historische Wissenschaft gibt. Und als „Mutter aller Blasen“ stehen zum Glück oder Unglück noch genügend andere Krisen zur Verfügung.

ts