Traum vom Reichtum Das geheime Drehbuch der Bahn-Blase

Stand: 04.07.2019 06:45 Uhr

Vor über 125 Jahren platzte die Eisenbahn-Blase. Die Lehren daraus gelten bis heute, weil jede Blase einem Drehbuch folgt. Und manche Spekulationsblasen haben sogar etwas Gutes.

Von Angela Göpfert, boerse.ARD.de

Am 5. Mai 1893 kommt es zu massiven Kursverlusten an der New York Stock Exchange, der größten Wertpapierbörse der Welt. Besonders Eisenbahn-Aktien geraten unter die Räder. Aus dem Börsen-Crash wird rasch eine Wirtschaftskrise, die ganze vier Jahre andauert.  

Am Ende steht eine düstere Bilanz: Mehr als 600 Banken müssen schließen, über 15.000 Unternehmen gehen bankrott, 15 bis 20 Prozent aller Arbeiter verlieren ihre Jobs. Es ist die schlimmste Wirtschaftskrise, welche die USA bis dato erlebt hat.

Der Traum vom schnellen Reichtum

Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Eisenbahnen galten im ausgehenden 19. Jahrhundert, um im heutigen Finanzjargon zu sprechen, als "das nächste heiße Ding". Die Kurse der Eisenbahn-Aktien stiegen in schwindelerregende Höhen.

Das weckte natürlich Begierden. Jeder, der noch etwas Geld zum Investieren übrig hatte, wollte hier dabei sein.  

Mehr als nur ein Börsen-Phänomen

Da wurde nicht groß geprüft, wie solide die Unternehmen wirtschafteten, da wurde einfach investiert. Und zwar im großen Stil. Die Folge waren Überproduktionen und äußerst wacklige Finanzierungen. Als die Preise fielen, fiel auch dieses Kartenhaus schlagartig in sich zusammen.

Eisenbahnunternehmen wie Northern Pacific Railway und Union Pacific Railroad gingen bankrott. Die Banken, die die Kredite vergeben hatten, gingen pleite und rissen Unternehmen aus ganz anderen Sektoren mit in den Ruin. Die Kreditkrise zog sich durch die gesamte US-Wirtschaft und strahlte sogar auf Europa aus.

Die Anatomie einer Spekulationsblase

Das ist schrecklich - einmalig ist es nicht. Denn die Eisenbahnblase folgte, wie jede Blase, einem typischen Drehbuch.

Die Ökonomen Charles Kindleberger und Hyman Minsky haben den idealtypischen Verlauf einer Spekulationsblase einst wie folgt beschrieben: Am Anfang steht die Phase der "Verlagerung": ein von außen kommender Schock, welcher die Weltwirtschaft verändert. Wie zum Beispiel die Erfindung der Eisenbahn. Das legt den Grundstein für die nun folgende Phase des "Booms": Das Produkt wird einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Die Nachfrage steigt und mit ihr auch der Preis. 

Dieses Mal ist alles anders!

Es folgt die Phase der "Euphorie". Der Preisanstieg beschleunigt sich, Risiken werden ausgeblendet, Vergleiche mit früheren Spekulationsblasen negiert mit der Behauptung: Dieses Mal ist alles anders.

Ist es nicht. Denn eines Tages stürzen die Preise komplett ab, die Phase der "finanziellen Not" beginnt. Es folgt die "Abscheu", die letzte Phase in Minskys Modell.

Auf der Suche nach einem "noch größeren Narr"

Was können wir aber daraus lernen? Nun, Spekulationsblasen gehören zur Wirtschaftsgeschichte einfach dazu. Sie folgen einem immer gleichen Muster, nur das Objekt der Begierde wechselt: Mal sind es Tulpen, mal Aktien der South Sea Company, Eisenbahnen, Internet-Unternehmen, US-Immobilien, Kryptowährungen - um nur einige Beispiele zu nennen.  

Ob steigende Preise aber wirklich eine Spekulationsblase bedeuten, weiß man leider mit Sicherheit immer erst hinterher. Dann, wenn die Blase geplatzt ist.  

Wann eine Blase platzt, ist dabei schwer bis gar nicht vorhersehbar. Denn die Preise steigen solange weiter, wie es am Markt einen "noch größeren Narren" gibt, der noch mehr dafür bezahlt ("Greater-Fool-Hypothese").  

Wo bleibt das Positive?

Wenn Blasen platzen, betrifft das aber nicht nur einzelne Spekulanten, häufig werden ganze Volkswirtschaften mit in den Abgrund gerissen. Aus Finanzkrisen werden ganz schnell Wirtschaftskrisen. Das hat uns die Geschichte erst vor zehn Jahren wieder eindrücklich vor Augen geführt.

Doch manchmal haben Spekulationsblasen auch etwas Gutes. So sorgte die Dotcom-Blase der 1990er Jahre für die schnelle Verbreitung und Akzeptanz der neuen Technologie "Internet", von der wir als Nutzer und Mitglieder einer florierenden Volkswirtschaft noch heute profitieren.

Auch die Eisenbahn-Blase hinterließ ein positives Erbe: Überall in den USA und anderswo waren nun Schienen, Bahnhöfe und Waggons entstanden, die für einen schnelleren Transport von Gütern und Personen sorgten.