Offener Brief von Ökonomen gegen Gipfelbeschlüsse "Banken müssen scheitern dürfen"

Stand: 05.07.2012 17:11 Uhr

160 deutschsprachige Wirtschaftswissenschaftler laufen Sturm gegen die Beschlüsse des letzten EU-Gipfels. In einem Protestaufruf bewerten sie besonders die Bankenunion als falsch. Steuerzahler müssten für das marode System geradestehen, Streit zwischen den Euro-Staaten sei vorprogrammiert.

In einem offenen Brief haben 160 deutschsprachige Wirtschaftswissenschaftler gegen die jüngsten Beschlüsse des EU-Gipfels protestiert. Die Entscheidungen, zu denen sich Kanzlerin Angela Merkel "gezwungen" sah, seien falsch gewesen, heißt es in dem Schreiben, das der Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer zusammen mit dem Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo, Hans-Werner Sinn, verfasst hat.

Besonders warnen die Ökonomen vor der geplanten Bankenunion und die Möglichkeit direkter Hilfen an angeschlagene Banken durch den dauerhaften Rettungsschirm ESM. Die Bankenunion bedeute eine "kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems". Steuerzahler, Rentner und Sparer dürften für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden. "Banken müssen scheitern dürfen", so die Experten in dem an die "lieben Mitbürger" gerichteten Schreiben.

Warnung vor Streit und Zwietracht

Auch eine gemeinsame Bankenaufsicht, wie die Politik sie plane, sei zum Scheitern verurteilt, solange die Schuldnerländer über die strukturelle Mehrheit im Euroraum verfügten. Die soliden Länder würden immer wieder Pressionen ausgesetzt, "Streit und Zwietracht" seien vorprogrammiert. Einzige Profiteure seien die Wall Street, der Finanzplatz London, einige Investoren in Deutschland sowie eine Reihe maroder Banken. Die Vergemeinschaftung von Schulden bedeute nichts anderes, als dass "unter dem Deckmantel der Solidarität einzelne Gläubigergruppen bezuschusst und volkswirtschaftlich zentrale Investitionsentscheidungen verzerrt werden."

Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gehören neben Krämer und Sinn der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen, der frühere Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, und auch der ehemalige sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt.

IW-Direktor nennt Aktion "unverantwortlich"

Widerspruch an dem Protestbrief kam vom Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther. Diese Aktion habe "mit ökonomischer Argumentation nichts zu tun" und sei unverantwortlich, sagte er der Agentur dapd. Der Protestbrief ziele nur auf Emotionen. Die Bankenproblematik stehe im Mittelpunkt der Krise, deshalb sei es richtig gewesen, eine direkte Kapitalisierung der Banken durch den ESM zu ermöglichen.