Interview

Scharfe Kritik an möglichen Opel-Bürgschaften "Staat darf nicht für hausgemachte Verluste geradestehen"

Stand: 17.11.2008 18:48 Uhr

Die Krise der Autobranche haben die Konzerne selbst verursacht, meint der Experte Meinig im tagesschau.de-Interview. Auch die Politik habe Fehler gemacht. Die Finanzkrise habe die Lage dann noch verschärft - doch Bürgschaften des Staates seien der falsche Weg.

Die Krise der Autobranche sei von den Konzernen selbst verursacht worden, meint der Experte Wolfgang Meinig im tagesschau.de-Interview. Auch die Politik habe Fehler gemacht. Die Finanzkrise habe die Lage dann verschärft - doch Staatsbürgschaften seien der falsche Weg.

Zur Person

Wolfgang Meinig ist Leiter der Forschungsstelle Automobilwirtschaft (FAW) der Uni Bamberg. Das Institut befasst sich mit Studien zu Autoherstellern, Zulieferern, dem Kfz-Gewerbe und Verbrauchern.

tagesschau.de: Daimler will in diesem Jahr "mehr als sechs  Milliarden Euro" verdienen. VW rechnet mit 6,15 Milliarden Euro Gewinn. Auch BMW geht von einem "deutlich positiven Konzernergebnis" aus. Gibt es die allerorten beschworene "schwerste Krise der Automobilbranche" überhaupt – oder ist das nur ein PR-Coup der Autolobby?

Wolfgang Meinig: Ich gebe gar nichts auf solche Aussagen. Vielleicht gelingt es Audi, VW und BMW, Gewinn zu machen - aber die sollen sich mal nicht irren. Die Absatzzahlen bei Daimler und BMW gehen derzeit schon massiv zurück. Mit solchen Äußerungen versuchen die Unternehmen, sich positiv von Opel abzusetzen und Schäden im Markt zu verhindern. Denn wenn die Kunden den Verdacht haben, dass ein Hersteller unter Druck gerät, dann führt das zu Kaufzurückhaltung. Die Verbraucher fürchten beispielsweise um Garantieleistungen. Wir haben eine massive Krise und diese Krise steht erst am Beginn. Das volle Ausmaß werden wir erst im Jahr 2009 erfahren.  

"Gabriel ist ein Schwätzer, Glos ist ein Dummkopf"

tagesschau.de: Und die Probleme der Branche sind durch die weltweite Finanzkrise entstanden – oder liegen sie nicht eigentlich woanders?

Meinig: Die Krise der Autobranche ist gewissermaßen hausgemacht unter Beteiligung der Politik - das predige ich seit dem Frühjahr. Zunächst einmal wissen die Verbraucher nicht, wie die KFZ-Steuer künftig aussehen wird und in den beteiligten Ministerien herrscht Untätigkeit. Der Schwätzer Gabriel kommt nicht voran, der Dummkopf Glos kommt nicht voran, sie lassen das einfach laufen - doch der Verbraucher will Sicherheit.

Die Zweifel der Autohalter werden zusätzlich dadurch genährt, dass die Industrie nicht die richtigen Fahrzeuge anbietet - so spielt ein niedriger Verbrauch für die Kunden inzwischen eine große Rolle. Die Menschen wissen nicht, welches Auto sie kaufen sollen. Ist es der Diesel, der früher kostengünstiger war? Ist es der Benziner? Ist es vielleicht ein Hybrid, wie die Frau Künast verbreitet? Oder ist es gleich ein Elektrofahrzeug? Das heißt, von der produktpolitischen Seite her wird eine massive Unsicherheit produziert. Und das hat mit der Finanzkrise überhaupt nichts zu tun.

Es gab schon lange jede Menge hausgemachte, durch die Politik unterstützte Krisenursachen -  und dazu kam dann im September und Oktober auch noch die Finanzkrise. Und das macht die Sache so schlimm.

tagesschau.de: Die Hersteller tragen also eine erhebliche Mitschuld an der Lage. Jetzt fordert Opel milliardenschwere Staatsbürgschaften. Sollte der Staat für Probleme aufkommen, die von den Unternehmen zu großen Teilen selbst verschuldet worden sind?

Meinig: Das ist in unserem Wirtschaftssystem nicht die Aufgabe des Staates. Es kann nicht angehen, dass die Unternehmen Milliardengewinne machen, und nachdem jetzt ein paar Jahre Verluste produziert wurden, bittet man den Staat um Hilfe. Opel musste in der Vergangenheit aufgrund von Verträgen, die der Mutterkonzern GM formuliert hat, Milliarden Dollar an das Unternehmen in die USA schicken, weil das Geld dort gebraucht wurde. Deshalb gab es keine Rücklagen. Das ist nicht die gewollte Systematik unseres Wirtschaftssystems, dass Gewinne privatisiert werden und Verluste sozialisiert werden. Das kann nicht sein.

Nachdem nun voreilig gewisse Ministerpräsidenten signalisiert haben, dass sie helfen würden, sieht sich nun auch die Bundesregierung genötigt, mitzumachen – in der Hoffnung, dass nicht übermorgen alle anderen die Hand aufhalten werden.

"Es kann ein massiver Absturz kommen"

tagesschau.de: Realistisch ist doch aber, dass genau das passieren wird.

Meinig: Es kann ein massiver Absturz kommen. Es geht ja nicht nur um die großen Automobilhersteller. Da sind zunächst die 20.000 fabrikatsgebundenen Händler. Denen geht es absolut schlecht und die könnten auch zu dem Ergebnis kommen: Wir brauchen staatliche Hilfe.

Auch die Zuliefererindustrie ist stark betroffen. Sie hat das Dilemma, dass sie die Forschungs- und Entwicklungsleistungen für Teile oder Systeme immer selbst zu erbringen haben. Dafür brauchen sie Kredite und diese Kredite kriegen sie im Zweifel von den Banken nicht mehr. Also werden auch von dieser Seite einige Begehrlichkeiten auf die Länder und den Bund zukommen.

Man kann den Zulieferern und Händlern aus politischen Gründen staatliche Leistungen eigentlich nicht verweigern, wenn den großen Konzernen geholfen wird - man will schließlich eine Wahl gewinnen.  

Stichwort

Von der Krise sind nicht nur die Hersteller und ihre Mitarbeiter, sondern auch Zulieferer betroffen. Im Verband der Automobilindustrie VDA sind 500 überwiegend mittelständische Zulieferer mit zusammen etwa 322.000 Mitarbeitern organisiert. Außerdem gibt es in Deutschland noch ein paar Hundert Kleinbetriebe, die dem Verband nicht angehören. Insgesamt beträgt die Zahl der Beschäftigten in der Branche mehr als 756.000. Nach VDA-Schätzungen hängen indirekt sogar fünf Millionen Arbeitsplätze an der Automobilindustrie - beispielsweise in Chemie- und Stahlkonzernen, Werkstätten und bei Autohändlern.

tagesschau.de: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung fürchtet, dass die Verluste des Opel-Mutterkonzerns GM im Fall einer Staatsbürgschaft einfach nach Deutschland transferiert werden – und dass der deutsche Steuerzahler dann einstehen muss. Lässt sich das verhindern?

Meinig: Sofern überhaupt für einen einzigen deutschen Euro eine Bürgschaft abgegeben wird, müssen Vorkehrungen getroffen werden, dass die rasanten Verluste von GM nicht durch Deutschland abgedeckt werden. Allerdings geht es bei GM gerade um ganz andere Dimensionen: Das Unternehmen verbrennt derzeit eine Milliarde US-Dollar monatlich. Es ist jetzt Aufgabe des Justizministeriums, des Finanzministeriums und auch des Wirtschaftsministeriums klare, eindeutige und effiziente Maßnahmen zu ergreifen, dass die Unterstützungsleistung des deutschen Staates nicht bei GM ankommt und zwar in keiner Weise. Das ist eine echte Herausforderung. 

Das Interview führte Sarah Welk, tagesschau.de