Interview

ARD-Nahost-Experte Armbruster zum Syrien-Konflikt Militäreingriff hätte unabsehbare Folgen

Stand: 10.05.2013 17:54 Uhr

Dass Chemiewaffen in Syrien eingesetzt wurden, steht für den ARD-Nahost-Experten Armbruster fest. Welche Seite dafür verantwortlich ist, sei weiter unklar - die Rebellen oder das Assad-Regime? Falls nun die USA der türkischen Forderung nachgeben und militärisch in den Konflikt eingreifen würden, könnte dies die ganze Region destabilisieren, sagt Armbruster im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Sie kennen die Lage in Syrien gut. Lässt sich sagen, wer im März in Khan al Assal Chemiewaffen eingesetzt hat - die Rebellen oder die Anhänger von Präsident Baschar al Assad?

Jörg Armbruster: Es ist sehr schwer einzuschätzen, welche Seite für den Angriff verantwortlich ist. Dass Chemiewaffen eingesetzt wurden, daran allerdings besteht kein Zweifel. Die Rebellen haben natürlich Interesse daran, einen solchen Einsatz dem Regime Assad in die Schuhe zu schieben. Sie hoffen auf ein Eingreifen des Westens. Assad hat ein Interesse daran, die Rebellen für den Angriff verantwortlich zu machen, um sie in der Weltöffentlichkeit zu diskreditieren. Der Westen sollte sich derzeit damit zurückhalten, aus dem Vorfall weitreichende politische Konsequenzen zu ziehen.

Zur Person

Jörg Armbruster war Leiter des ARD-Studios in Kairo und berichtetete über die Entwicklungen in Ägypten, Libyen und Syrien. Bei einer Recherchereise in Syrien wurde der ARD-Journalist vor einigen Wochen schwer verletzt.

tagesschau.de: Assad will, dass eine unabhängige UN-Kommission den Giftgas-Angriff aufklärt. Warum tut er das?

Armbruster: Assad spürt den wachsenden Druck der internationalen Gemeinschaft. Man kann vermuten, dass auch die Russen hinter den Kulissen Druck gemacht haben. Möglicherweise ist Assad sich sicher, dass so eine internationale Kommission nichts finden wird. Der Angriff im März ist über zwei Monate her. Da könnte es schwierig werden, den Einsatz von Chemiewaffen noch eindeutig dem Regime Assad zuzuweisen.

Erdogan will die USA zur Militäraktion bewegen

tagesschau.de: Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan sieht das anders. Er ist sich sicher, dass Assad Chemiewaffen einsetzt - und zwar schon länger. Welche Interessen verfolgt die Türkei mit dieser Aussage?

Armbruster: Ich weiß nicht, über welche Informationen die Türkei verfügt. Die USA äußern sich ja wesentlich zurückhaltender. Erdogan möchte ganz offensichtlich die Amerikaner dazu bewegen, in den Konflikt einzugreifen. US-Präsident Barack Obama will dies zum jetzigen Zeitpunkt aber ganz offenbar nicht.

"Ein Eingreifen könnte die ganze Region destabilisieren"

tagesschau.de: Die USA und Frankreich haben deutlich gemacht: Chemiewaffen sind eine "rote Linie", die zum Eingreifen zwingt. Warum zögern die USA noch?

Armbruster: Das hat verschiedene Gründe. Obama zieht gerade seine Soldaten aus Afghanistan ab, er hat sie aus dem Irak abgezogen. Er will keinen neuen Krieg für die USA und schon gar keine Bodentruppen. Ein Eingreifen in Syrien hätte derzeit sehr schwer überschaubare Folgen und könnte die ganze Region destabilisieren.

tagesschau.de: Die Republikaner fordern von der Obama-Regierung die Einrichtung einer Flugverbotszone und "humanitärer Schutzzonen" - wollen die Republikaner diesen Krieg?

Armbruster: Auch die Republikaner wissen, wie kompliziert die Einrichtung solcher Schutzzonen ist. Ich war im Norden von Syrien unterwegs. Es ist ja nur ein schmaler Streifen, der von den Rebellen gehalten wird. Und in diesem Gebiet wird eigentlich überall gekämpft. Ich glaube nicht, dass es eine Schutzzone geben kann, die von Angriffen verschont wird - zumal Assad auch mit Raketen die von den Rebellen gehaltenen Stellungen angreift.

Wenn der Westen eine solche Schutzzone einrichtet, dann muss er damit rechnen, sehr schnell in diesen Krieg involviert zu werden. Sie könnte wohl nur durch Bodentruppen dauerhaft gesichert werden. Und Bodentruppen ins Land schicken - das will im Westen derzeit niemand.

"Klammheimliche Freude über Veto-Politik"

tagesschau.de: Im UN-Sicherheitsrat blockieren Russland und China einen Militäreinsatz. Ist das dem Westen vielleicht sogar ganz recht?

Armbruster: Ich habe manchmal den Eindruck, dass der Westen klammheimliche Freude empfindet über die Veto-Politik von Russland und China, weil jedes Engagement in Syrien die Gefahr birgt, dass eigene Soldaten sterben und man in einen viel größeren Krieg verwickelt wird als nur den Bürgerkrieg in Syrien.

Russlands Militärlieferungen: "Ein Signal in Richtung Israel"

tagesschau.de: Russland will offenbar Luftabwehr-Raketen nach Syrien liefern. Warum facht Russland den Konflikt zusätzlich an?

Armbruster: Dies ist wohl ein Signal in Richtung Israel. Anfang der Woche hatten die Israelis mit einem groß angelegten Angriff militärische Forschungslabors und Einrichtungen zerstört. Wenn Syrien über ein Flugabwehrsystem verfügen würden, dann wären solche Angriffe ungleich schwerer durchzuführen. Und es ist ja davon auszugehen, dass solche Angriffe weitergehen - nämlich immer dann, wenn das Regime Assad wieder einen Militärkonvoi für die Hisbollah - die Israel offen droht - im Südlibanon zusammenstellt.

tagesschau.de: Besteht die Gefahr eines Flächenbrandes?

Armbruster: Assad spricht bei den israelischen Angriffen ja schon jetzt von einer Kriegserklärung. Und irgendwann werden Assad oder der Iran oder die Hisbollah auf diese Angriffe reagieren.

Konferenz ohne Aussicht auf Erfolg

tagesschau.de: Ende Mai soll es eine Internationale Syrien-Konferenz geben. Was kann sie bringen?

Armbruster: Gut ist sicherlich, dass die USA und Russland versuchen, eine gemeinsame Linie im Syrien-Konflikt zu finden. Noch sind Amerikaner und Russen aber sehr weit voneinander entfernt. Die USA wollen Assad stürzen. Russland glaubt, eine Lösung des Konflikts nur mit Assad finden zu können.

Völlig unklar ist auch, welche Teile der zersplitterten syrischen Opposition dort am Tisch sitzen sollen. Und selbst wenn dort ein Waffenstillstand beschlossen würde, so gibt es ja mittlerweile ganze Brigaden von Dschihadisten unter den Rebellen, die solch eine Vereinbarung sofort wieder torpedieren würden. Die Erfolgsaussichten einer solchen Konferenz sind also nicht sehr groß.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 11. Mai 2013 um 15:00 Uhr.