Interview

Berichterstattung über Bin Laden "Wissenslücken werden mit Fantasie gefüllt"

Stand: 12.05.2011 13:37 Uhr

Je brisanter die Nachrichtenlage, desto größer der Hunger nach Informationen. Doch ist es gerechtfertigt, dieses Bedürfnis mit Animationen vom Hergang der Ereignisse und dem Veröffentlichen grausamer Bilder zu stillen? Elke Grittmann von der Universität Münster warnt im Interview mit tagesschau.de davor.

tagesschau.de: Welchen Eindruck hinterlassen Animationen von Ereignissen wie dem US-Einsatz in der Villa Bin Ladens, wenn Zuschauer sie in den Nachrichtensendungen sehen?

Grittmann: Der Journalismus soll uns ein Bild über die Welt beziehungsweise aktuelle, auf die Wahrheit geprüfte Informationen liefern. Wir nehmen die Berichterstattung als eine wichtige Quelle für die Geschehnisse in der Welt wahr. Animationen sagen weniger, wie es wirklich ist, sondern wie es hätte sein können. Mit dem Journalismus verbinden wir aber Glaubwürdigkeit, und das ist ganz entscheidend dafür, wie diese Animationen aufgenommen werden: Wir nehmen deshalb an, dass diese gut recherchiert sind und alles tatsächlich so gewesen ist. Es ist also virtuell, bekommt aber ein Wahrheitsstatuts, weil es ja in den Nachrichten läuft.

tagesschau.de: Die öffentliche Meinung wird durch solche "sauberen" Computeranimationen also manipuliert?

Grittmann: Es ist gefährlich, solche Animationen zu benutzen, wenn man nicht exakt weiß, wie sich etwas zugetragen hat. Der Journalismus kann dadurch seine Glaubwürdigkeit verlieren. Es ist ein Nachteil für den Journalismus, Animationen in einem solch frühen Stadium der Berichte und mit einer solch dünnen Informationslage zu benutzen. Man suggeriert den Zuschauern, wie es abgelaufen ist - weiß es aber eigentlich gar nicht.

Im Falle der Berichterstattung über Osama Bin Laden hatten wir nur sehr wenige Informationen über den gesamten Hergang. Die Informationen haben sich außerdem ständig widersprochen. Es wurde oft im Nachhinein dementiert, dass sich etwas anders zugetragen haben soll als zunächst behauptet, beispielsweise wie Bin Laden erschossen worden ist oder wer noch alles im Haus war. Daraus eine Animation zu basteln heißt, dass Wissenslücken mit Fantasie gefüllt werden.

tagesschau.de: Und wenn solche Animationen in einem fortgeschrittenen Stadium mit ausreichenden Informationen erstellt werden?

Grittmann: Man kann Animationen erstellen, wenn man sehr viele Quellen, sehr viele Aussagen und ein sehr umfassendes Bild hat, wie etwas abgelaufen ist. Trotzdem ist es immer noch eine virtuelle Darstellung. Man muss sich als Journalist sehr genau überlegen, wann man so eine Animation überhaupt einsetzen kann und ob das ein geeignetes Mittel für den Journalismus ist.

"Zur Person" "Dr. Elke Grittmann"

Elke Grittmann ist zurzeit Professorin am Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität Münster. Ihre Forschungsschwerpunkte sind visuelle Kommunikation und Fotojournalismus.

Gefahr der Instrumentalisierung

tagesschau.de: Wenn es darum geht, Bilder vom Schrecken des Todes oder des Krieges zu zeigen, halten sich seriöse Medien zurück. Gibt es einen Mittelweg zwischen grausamen Bildern und einer zumutbaren Darstellungsweise?

Grittmann: Es ist sehr schwierig, da wir ja immer erfahren wollen, was sich in einer Krisensituation ereignet. Daher ist es eine hohe Verantwortung für Journalisten, in solchen Fällen zu entscheiden, wie man zeigt, was passierte. Es gibt keinen generellen Mittelweg, wie man damit umgeht. Das ist von Fall zu Fall anders.

Im Fall der Berichterstattung über den Tod Bin Ladens hatten wir nur eine Quelle, die amerikanische Regierung. Solche Quellen liefern wichtige Belege, wenn sie denn glaubwürdig sind. Zudem sind die Bilder offenbar sehr grausam. Zeigt man sie, läuft man Gefahr, dass man von einer Interessensgruppe instrumentalisiert wird, die möchte, dass man diese Bilder zeigt, um die Gegenseite oder eine andere Partei auf dieser Symbolebene zu demoralisieren.

Und man muss auch berücksichtigen, dass es zu einer Art Unsensibilität der Betrachter kommt, je mehr solcher Bilder gezeigt werden.

tagesschau.de: Wie könnte denn der Mittelweg im Fall der Berichte über den Tod Bin Ladens aussehen?

Grittmann: Textberichterstattungen, in denen man beschreibt, was man weiß. Man muss es nicht im Bild zeigen. Oder man wählt Bilder aus, die weniger grausam sind. Im Falle Bin Ladens kommt hinzu, dass wahrscheinlich auf eine Veröffentlichung gedrängt wurde. Die Tatsache, dass es sich um einen Beleg für den Tod handelt, könnte als wichtiger eingeschätzt werden als die möglichen Folgen einer Veröffentlichung. Die US-Regierung veröffentlicht die Fotos aber nicht, um keinen Hass zu schüren, denn Muslime könnten ihre Publikation als entwürdigend betrachten.

tagesschau.de: Gibt es einen Trend, Fiktion und Fakten stärker miteinander zu vermischen? Trägt das Internet mit seinen multimedialen Möglichkeiten dazu bei?

Grittmann: Es gibt meiner Meinung nach eine Tendenz zur Mischung von Fiktion und Fakten in der Berichterstattung. In einer Krisensituation wird das natürlich noch brisanter: Es gibt viele Spekulationen und man berichtet möglichst sofort. Das Internet forciert solche Entwicklungen, weil es ein schnelles Medium ist. News werden sofort publiziert und die Zeit, in der man prüfen kann, ob etwas überhaupt stimmt und ob die Quelle sicher ist, ist sehr kurz. Dann wird eher anschließend aktualisiert. Ebenso ist das Internet ein sehr bildhungriges Medium, das Filme oder Bildergalerien braucht, um Nutzer zu befriedigen. Wenn dann ein Lücke entsteht, das Ereignis aber sehr relevant ist, kann es dazu kommen, dass man sich mit Animationen behilft.

tagesschau.de: Das Anwesen Bin Ladens in Pakistan ist zum virtuellen Schlachtfeld des Computerspiel "Counterstrike" geworden. Werden hier Realität und Spiel auf unverantwortliche Weise miteinander vermischt?

Grittmann: Ich bin keine Expertin für Computerspiele, Ich denke aber, dass diese Wirklichkeitsebene über Bilder aus der realen Welt dem Spiel seinen Kick verschafft. Man kann quasi etwas nachspielen, was sich tatsächlich ereignet haben soll. Gleichzeitig gibt es Gute und Böse in dem Spiel. Wenn die Anwender das Spiel nicht reflektiert und differenziert angehen, kann es Feindbilder verfestigen. Solch eine Reaktion will die US-Regierung gerade nicht erzeugen und geht sehr vorsichtig mit der Berichterstattung um, indem Bilder von Bin Laden eben nicht herausgegeben werden. Feindbilder und das Nachspielen von Kämpfen in "Counterstrike" zu erzeugen, ist eine Form der Einbezugnahme von Wirklichkeit, die das Gesamtbild mit prägt.

tagesschau.de: Beim Lesen von Usermeinungen zu diesem Spiel kann man den Eindruck gewinnen, dass viele durch das Spiel offenbar mehr Details über die Tötung Bin Ladens erfahren wollen, wie zum Beispiel über den Ort, an dem sich Bin Laden versteckt hielt.

Grittmann: Spiele transportieren niemals Informationen, im Gegenteil. Wenn wir keine Informationen haben, können sie auch nicht durch eine virtuelle Welt ersetzt werden. Im Gegenteil: Das erzeugt den Eindruck, als hätten wir Informationen, die gar nicht vorhanden sind. Die Verarbeitung einer realen Situation, von der wir ganz wenig Informationen haben, ist keine Form der Informationsgewinnung. Das ist eine pure Konstruktion.

Das Interview führte Nicole Hulka für tagesschau.de