Der EU-Chefunterhändler Barnier und der britische Verhandlungsführer, Frost (v.r.).
Kommentar

Brexit-Verhandlungen Ein überflüssiges Polit-Theater

Stand: 05.06.2020 16:51 Uhr

200 Experten aus Großbritannien und der EU hocken in tagelangen Videokonferenzen und wissen von vornherein, dass sie sich in Sachen Brexit nicht einigen können. Es fehlt die Macht für Kompromisse.

Ein Kommentar von Ralph Sina, WDR

Man hätte sie sich sparen können - die vier Verhandlungsrunden zwischen Brüssel und London über das zukünftige Verhältnis nach der Scheidung namens Brexit. Der Chefunterhändler der EU-Kommission Michel Barnier und sein Gegenspieler David Frost haben keine Chance, sich inhaltlich näher zu kommen, weil sie bisher keine wirkliche Macht für Kompromisse haben.

Denn der Brexit-Ideologe Boris Johnson kennt nur ein Ziel: Zum 31. Dezember muss für das Vereinigte Königreich endgültig Schluss sein mit der EU. Keine Übergangsphase mehr, kein befristeter Verbleib in Binnenmarkt und Zollunion, keine Post-Brexit-Verhandlungen mehr im kommenden Jahr. Nur noch raus - ob mit oder ohne Handelsabkommen.

Die Chance, dass Boris Johnson in diesem Monat fristgerecht eine Verlängerung der Verhandlungen über das zukünftige Verhältnis zur EU beantragt, ist gleich Null. Das ist der EU-Kommission mittlerweile klar und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die vom nächsten Monat an auf der Brüsseler Bühne besonders stark den Ton angibt, weil Deutschland dann für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft innehat.

Chance für einen Mini-Deal

Dennoch gibt es eine realistische Chance für einen Mini-Handels-Deal, denn bis Oktober haben London und Brüssel noch die Möglichkeit, ernsthaft zu verhandeln - unter der Regie von Johnson und Merkel. Und zwar über einen Minimalkonsens für wichtige Branchen: die Auto- und Luftfahrtindustrie, den Finanzsektor und über EU-Fischereirechte in britischen Hoheitsgewässern.

Bei Nordseeheringen, Makrele und Blauem Wittling ist Brüssel durchaus zu Kompromissen gegenüber der stolzen Fischerei-Nation Großbritannien bereit. Wenn sich das Vereinigte Königreich im Gegenzug verpflichtet, niemals genmodifizierte Lebensmittel, Hormonfleisch und Chlorhühnchen aus den USA in die EU zu liefern.

Großbritannien wollte die Scheidung und zieht bis Ende Dezember endgültig aus der EU aus. Den Schlüssel zum EU-Binnenmarkt bekommt das Vereinigte Königreich nur, wenn es sich an dessen Spielregeln hält. Die Chance, dass Merkel in enger Abstimmung mit Paris und in letzter Minute doch noch einen komplett chaotischen Ausstieg der Briten verhindert, ist winzig. Aber es gibt diese Chance. Auch wenn Johnson dabei mit den Zähnen knirscht, Merkel schafft das.

Ralph Sina, Ralph Sina, WDR Brüssel, 05.06.2020 16:05 Uhr
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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete B5 Aktuell am 05. Juni 2020 um 16:08 Uhr.