Bei der "Querdenken"-Demonstration in Leipzig ist Pyrotechnik gezündet worden.
exklusiv

Radikale Corona-Proteste Viele Täter polizeilich unbekannt

Stand: 23.02.2022 06:00 Uhr

Viele radikalisierte Täter, die politisch-motivierte Straftaten mit Corona-Bezug begehen, sind zuvor polizeilich nicht in Erscheinung getreten. Das zeigen Recherchen von STRG_F und Panorama.

Von Robert Bongen, Julian Feldmann, NDR, Nino Seidel, NDR

Der Leiter der Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes (BKA), Oliver Krambrich, hat im Interview mit dem Rechercheformat STRG_F und dem ARD-Politikmagazin Panorama darauf aufmerksam gemacht, dass mehr als die Hälfte der Verdächtigen in Verfahren politisch motivierter Kriminalität mit Corona-Bezug der Polizei zuvor unbekannt waren.

Das Spektrum der Tatverdächtigen sei sehr heterogen: "Das reicht von der sogenannten bürgerlichen Mitte über Impfgegner, Esoteriker, Verschwörungstheoretiker bis hin zu Personen und Gruppierungen aus extremistischen Lagern." Man beobachte eine Radikalisierung von Menschen, von denen man es nicht wirklich hätte erwarten können, warnt Krambrich. Für die Sicherheitsbehörden sei es hier eine Herausforderung, "gezielte Prognosen zu treffen, diese Personen im Blick zu behalten und frühzeitig Erkenntnisse zu gewinnen."

Sachbeschädigung, Körperverletzung, Brandanschläge

Zu politisch motivierten Straftaten mit Corona-Bezug zählen die Behörden neben Sachbeschädigungen und körperlichen Übergriffen auch Brandanschläge. Im Corona-Kontext geht es etwa um Personen, die Impfärzte tätlich angreifen oder Brandanschläge auf Teststationen verüben. Im vergangenen Jahr hat es nach Recherchen von STRG_F und Panorama mindestens 19 solcher Brandanschläge gegeben, bei denen zumindest der Verdacht besteht, sie könnten von Gegnern der Corona-Maßnahmen verübt worden sein. Allein in den ersten Wochen dieses Jahres waren es demnach bereits sechs solcher Brandanschläge, unter anderem auf ein Rathaus, ein Gesundheitsamt und mehrere Corona-Teststationen.

Waffen mit 3D-Drucker hergestellt

Einer, der vor der Corona-Pandemie nicht polizeilich auffällig war, ist Joachim T. aus Rheinland-Pfalz. Der 37-jährige gelernte Physiotherapeut bewegte sich lange in der Öko-Szene. Während der Pandemie radikalisierte er sich und rief aus Protest gegen die Corona-Maßnahmen in den Sozialen Medien zum bewaffneten Widerstand auf. Im Sommer vergangenen Jahres wurde Joachim T. festgenommen, nachdem er einem verdeckt ermittelnden Polizeibeamten eine selbstgebaute, scharfe Schusswaffe verkaufen wollte. In seiner Wohnung fanden die Ermittler zahlreiche weitere Waffenteile, die er mit 3D-Druckern hergestellt hatte.

Eine Waffe aus einem 3D-Drucker.

Mit einem 3D-Drucker selbst hergestellte Waffe.

Gesundheit werde "politisiert"

Im Interview mit einem Reporterteam von STRG_F und Panorama spricht Joachim T. über seine Motive: "Die Gesundheit wird politisiert. Es endet immer in einer Katastrophe, wenn man sich historisch anschaut, was passiert, wenn Politiker einem vorschreiben, was gesund ist und was nicht. Daraus ist für mich die Angst entstanden, also wirklich eine große Angst. Und daraus der Gedanke, sich verteidigen zu müssen. Dadurch bin ich auf Waffenbau gekommen."

Er habe sich "eigenbrötlerisch" mit dem Thema beschäftigt, aber auch probiert, Gleichgesinnte zu finden. "Das grobe Szenario für mich damals war, dass es dazu kommen wird, dass im Endeffekt die Grundordnung komplett zusammenbrechen wird", sagte T. im Interview. Ob er sich auch mit anderen zu Wehrsportübungen im Wald getroffen habe, dazu wollte T. keine Auskunft geben.

Joachim T.

Joachim T. beim Bogenschießen im Wald.

Bewährungsstrafe und weitere Verdachtsmomente

Joachim T. wurde wegen Verstößen gegen das Waffengesetz im Januar zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und kam nach sechs Monaten aus der Untersuchungshaft. Die Zentralstelle zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus bei der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz ermittelt weiterhin gegen T. wegen des Verdachts der Bildung einer bewaffneten Gruppe. Es bestehe der Verdacht, dass T. Leute um sich geschart habe, "um die Corona-Maßnahmen zu bekämpfen", so der ermittelnde Staatsanwalt.

Soziale Medien als Brandbeschleuniger

Die rasche Radikalisierung während der Corona-Pandemie - wie im Fall Joachim T. - bereitet den Sicherheitsbehörden Sorgen: "Die Dinge laufen heute im stillen Kämmerlein ab, Zuhause und in den Echokammern der Sozialen Medien. Das sind die Brandbeschleuniger für die Radikalisierung", sagte Dirk-Martin Christian, der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Sachsen, im Gespräch mit STRG_F und Panorama.

Nicht selten gehe es nicht mehr nur um den Protest gegen die Corona-Maßnahmen, sondern um die Ablehnung der Regierung und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die Täter könnten nur schwer eingegrenzt werden, außerdem sei die Zündschnur kürzer geworden. "Wir erleben Menschen, die diesen Staat nicht nur ablehnen, sondern diesen Staat überwinden wollen, obwohl sie keine Rechts- oder Linksextremisten sind, sondern bisher ideologisch überhaupt nicht festgelegt waren." Die gemeinsame Klammer dieser potenziellen Täter sei "das extremistische Gedankengut, also die Absicht, diesen Staat zu stürzen", betonte Christian.