Eine Frau lässt sich an einer mobilen Teststation in Lüneburg auf das Coronavirus testen.
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Schnelltest-Zentren Null Prozent sind null plausibel

Stand: 23.02.2022 17:00 Uhr

An der Qualität der Schnelltest-Zentren in Deutschland gibt es neue Zweifel: Nach Recherchen von WDR, NDR und SZ gibt es Teststellen, die unter mehreren Tausend Tests keinen einzigen positiven Fall finden.

Die Betreiber von Corona-Schnelltestzentren müssen in Nordrhein-Westfalen jeden Tag die Zahl der Tests und ihre positiven Fälle an das Gesundheitsministerium melden. Am 8. Februar wurde gut eine Million Tests gemeldet, darunter 35.007 positive Ergebnisse. Doch das Auffällige: Nach Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" gab es allein an diesem Tag 24 große Testzentren, die keinen einzigen positiven Test gemeldet hatten. Eine Teststelle in Köln meldete für diesen Tag sogar 9533 Bürgertests und null positive Ergebnisse. 

Drosten: "Nicht plausibel"

Für den Berliner Virologen Christian Drosten sind null Prozent positive Fälle "nicht plausibel", wie er im Gespräch mitteilt. "Bei der sehr hohen Inzidenz der vergangenen Wochen müsste ein beträchtlicher Teil der Probanden positiv sein."

Sein Kollege Oliver Keppler von der Ludwig-Maximilians-Universität in München ergänzt, dass es "höchst unwahrscheinlich" sei, unter Tausend Tests kein positives Ergebnis zu finden, weil selbst die besten Schnelltests eine Falsch-Positiv-Rate von 0,3 Prozent haben. "Das heißt, selbst unter 1000 nicht-infizierten Personen müssten schon drei Tests positiv sein." 

Christian Drosten

Hat große Zweifel an Tausenden Tests ohne einen einzigen Positiv-Befund: Christian Drosten.

30.000 Tests - kein einziger positiv

Besonders auffällig bei den Meldungen ans NRW-Ministerium ist die Teststelle "AP Haus und Grund Verwaltungsgesellschaft" in der Hohe Straße 148 in Köln. Sie hat von Mitte Januar bis Mitte Februar sogar mehr als 30.000 Tests gemeldet ohne dass ein einziger davon positiv gewesen wäre.

Auf Nachfrage räumt der Geschäftsführer ein, dass die Zahl der positiven Tests wohl "nicht korrekt" war. "Dies ist auf die fehlerhafte Meldung durch einen ehemaligen Mitarbeiter zurückzuführen", schreibt er per E-Mail. Aufgefallen sei ihm dies allerdings erst einen Tag, bevor WDR, NDR und SZ ihm Fragen zu dem Fall geschickt hatten.

Arnd Henze, WDR, über fehlende Kontrollen bei den Abrechnungen von Schnelltests

tagesschau24 18:00 Uhr

Doch auch die gemeldete Zahl der von "AP Haus und Grund Verwaltungsgesellschaft" durchgeführten Tests wirft Fragen auf. Während Reporter von WDR, NDR und SZ vor Ort am 19. Februar weniger als 300 Personen gezählt hatten, die das Testzentrum besuchten, meldeten die Betreiber für diesen Tag genau 3.723 durchgeführte Tests ans Ministerium.

Geschäftsführer Hohmann erklärt die hohe Differenz damit, dass das Testzentrum der "AP Haus und Grund Verwaltungsgesellschaft" für die verbundene Firma "AP Assistenzprofis" Tests unter Bewerbern zwar an einer anderen Adresse durchführe, diese Tests aber ebenfalls unter der Nummer der Teststelle in Köln ans Ministerium melde. Nach Angaben des Gesundheitsamts Köln ist dies aber nicht zulässig. Ein Testzentrum bekomme immer für einen bestimmten Standort eine Genehmigung. "Bürgertests dürfen nur an diesem Standort durchgeführt, gemeldet und abgerechnet werden", teilt das Amt schriftlich mit. 

An vielen Orten keine positiven Fälle

Auch die Teststelle "Express-Test" in Hürth hat Ende Januar tagelang Hunderte Tests ans Ministerium gemeldet ohne einen positiven Fall. Auf Anfrage erklärt der Betreiber das damit, dass Schnelltest-Zentren ja nur Personen testen dürfen, die keinerlei Symptome haben. "Schon bei den leichtesten Symptomen wie Kopfschmerzen, Schnupfen oder Kratzen im Hals werden die Patienten ausselektiert und nicht in unserem Testzentrum getestet", teilt er mit. Dadurch erklären sich seiner Meinung nach die wenigen positiven Fälle. Außerdem habe er zwischenzeitlich zu besseren Tests gewechselt.

Extrem wenige positive Fälle meldet auch die Teststelle Weidenpesch in Köln. Mit seinen ungewöhnlichen Meldezahlen konfrontiert, antwortet der Geschäftsführer lediglich: "Es ist für uns nicht zu erklären, woher Sie die Zahlen unserer Teststelle kennen. Nach Rücksprache mit dem Ministerium wurde uns mitgeteilt, dass die Daten streng vertraulich sind." Auf die Frage, warum er so wenig positive Fälle finde, könne er "nicht eingehen". 

Auch die Teststelle "Superol" in Wesel meldet häufig bis zu Tausend Tests am Tag, ebenfalls mit null positiven. Der Inhaber teilt mit, dass sie bisher drei verschiedenen Schnelltests verwendet hätten. "Nach Rücksprache mit dem Gesundheitsamt und der neuen Liste vom Paul-Ehrlich-Institut erfuhren wir, dass diese jedoch kaum bei Omikron anschlagen und sind nun auf den Green Spring 4in1 umgestiegen, der laut dem PEI dort wesentlich bessere Werte haben soll." 

Verwirrende Vielfalt von Tests

Nach Ansicht des Freiburger Virologen Hartmut Hengel gibt es "eine völlig verwirrende Vielfalt" von Schnelltests in Deutschland. "Das ist sicher nicht das Ergebnis eines funktionierenden Markts, sondern fehlender Regulation." Zwar wurde das Paul-Ehrlich-Institut bereits Anfang Januar beauftragt, die Zuverlässigkeit von Schnelltests unter Omikron zu überprüfen - doch die Ergebnisse liegen bis heute nicht vor. Gesundheitsminister Karl Lauterbach rechnet immerhin "in Kürze" damit.

Auch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV), die bundesweit die Meldezahlen auf ihre Plausibilität prüfen sollen, gehen höchst unterschiedlich mit dieser Aufgabe um. So erklärt die KV Berlin ausdrücklich, dass "zu wenige positive Fälle ein Auffälligkeitskriterium darstellen". Seit August habe die KV Berlin deshalb bereits 233 Fälle "zur weiteren Prüfung an ein Inkasso-Büro abgegeben."

Die KV Westfalen-Lippe behauptet hingegen auf Anfrage: "Die Bewertung von Positivraten gehört nicht zum Prüfauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen." Und die KV Nordrhein lässt ausrichten: "Fragen zu etwaigen positiven oder negativen Testungen müssen Sie an das NRW-Gesundheitsministerium richten."

Aufmerksamkeit bisher nicht auf Betrug gerichtet

Fragt man das Ministerium, teilt es mit, dass die Kassenärztliche Vereinigung "zu Beginn jeden Monats eine Übersicht" über die Meldedaten bekomme. "Kommt es hier zu Auffälligkeiten wird gemeinsam mit dem Gesundheitsamt überprüft", versichert das Ministerium.

Harald Rau ist Gesundheitsdezernent der Stadt Köln. Auf die vielen Testzentren mit auffällig niedrigen Positivquoten angesprochen, räumt er ein: "Unsere Aufmerksamkeit war bisher nicht darauf gerichtet, Betrug zu entdecken." Allerdings habe er "jetzt ganz aktuell den Auftrag gegeben, dass wir einen Algorithmus entwickeln, also ein automatisches Erkennen von abweichenden Teststellen." 

Gesundheitsministerium hält sich zurück

Das Bundesgesundheitsministerium windet sich bei der Frage, wem eigentlich auffällig niedrige Positivraten auffallen müssten und teilt mit: Die den Landesgesundheitsämtern gemeldeten Daten "können an die jeweilige KV übermittelt werden".

Als vor einem Jahr der Schnelltest-Skandal ans Licht kam, klang Karl Lauterbach noch ganz anders. "Wir brauchen dringend eine Qualitätskontrolle", sagte er damals. Sein Vorgänger Jens Spahn hatte damals versprochen, die Kassenärztlichen Vereinigungen stärker in die Kontrolle einbinden. 

Wie das Gesundheitsministerium mitteilt, haben deren Abrechnungsprüfungen seit Sommer vergangenen Jahres dazu geführt, dass bisher "rund 2,5 Millionen Euro an den Bundeshaushalt zurück gezahlt wurden". Ausgezahlt hat der Bund seither mehr als das Tausendfache, nämlich rund 3,3 Milliarden Euro an die Betreiber von Schnelltest-Zentren. Die Kontrollen und Überprüfungen haben bisher also zu einem Rückfluss von 0,07 Prozent der Kosten geführt, die die Bürgertests verschlungen haben. 

Die Kassenärztliche Vereinigungen selbst profitieren übrigens auch von der großen Zahl von Schnelltests: Sie dürfen 3,5 Prozent der Gesamtausgaben für sich behalten - für die Abwicklung und Prüfung.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 23. Februar 2022 um 17:00 Uhr.