Fragen und Antworten Darum geht es im Zschäpe-Prozess

Stand: 22.11.2012 13:16 Uhr

Beate Zschäpe ist die einzige Überlebende des NSU. Kann sie Mittäterin sein, wenn sie nicht direkt an den Morden beteiligt war? Was unterscheidet Mittäterschaft und Beihilfe? Zum bevorstehenden Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht gibt es viele juristische Fragen.

Von Frank Bräutigam, SWR, ARD-Rechtsexperte

Was genau bedeutet "Mittäterschaft" juristisch?

"Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter)", das ist die Formulierung in Paragraf 25, Absatz 2 Strafgesetzbuch. Eine Straftat wird oft arbeitsteilig verübt. Eine Person raubt beim Banküberfall das Geld, eine Person hält die Kunden in der Schalterhalle in Schach, die dritte wirkt mehr im Hintergrund, damit die Tat gelingen kann.

Bei der Mittäterschaft werden die einzelnen Beiträge den anderen Mittätern jeweils zugerechnet. Mittäter haben einen gemeinsamen Tatplan, das ist die erste Voraussetzung. Jeder will die Tat als seine eigene. Heißt übersetzt: "Jeder identifiziert sich so sehr mit der Tat, als habe er sie selbst verübt." Außerdem braucht man einen eigenen Tatbeitrag des Mittäters. Aber: Dieser Beitrag muss nicht unbedingt am Tatort selbst geleistet werden. Es reicht im Grundsatz ein Fördern der gemeinsam gewollten Tat, sei es durch Rat, bewusstes Bestärken oder eine vorbereitende Handlung.

Kann Zschäpe Mittäterin sein, auch wenn sie nicht direkt an den Morden beteiligt war?

Ja, das ist juristisch möglich. Genau das ist die Auffassung der Bundesanwaltschaft in der Anklageschrift. Zschäpe habe von den Morden gewusst und sie als eigene Taten gewollt. Gleichzeitig habe sie wichtige Beiträge im Hintergrund geleistet wie die Finanzen der Gruppe verwaltet, falsche Papiere besorgt und am Bekennervideo mitgewirkt. Ohne diese Beiträge sei die jahrelang unentdeckte Mordserie kaum möglich gewesen. Deswegen könnten ihr die Morde zugerechnet werden, so die Ankläger.

Die Frage, ob Zschäpe in der Nähe eines Tatorts von einer Zeugin gesehen wurde (im Juni 2005 in Nürnberg), ist zwar hoch spannend. Mit ihr steht und fällt aber nicht eine mögliche Verurteilung wegen Mordes als Mittäterin. Entscheidend wird sein, ob das Gericht am Ende von einem gemeinsamen Tatplan des Trios überzeugt ist und ob sich die Tatbeiträge Zschäpes im Hintergrund beweisen lassen.

Was ist der Unterschied zwischen "Mittäterschaft" und bloßer "Beihilfe"?

Der Mittäter plant und möchte die Straftat als seine eigene. Beihilfe (§ 27 Strafgesetzbuch) bedeutet dagegen: Jemand leistet Hilfe zu einer fremden Straftat, die er kennt und billigt, aber nicht als eigene will. Wegen "Beihilfe zum Mord" wird zum Beispiel Ralf Wohlleben angeklagt. Er soll der Kerngruppe die Tatwaffe "Ceska" beschafft haben, ohne an den Morden beteiligt gewesen zu sein. In der Theorie lassen sich Mittäterschaft und Beihilfe gut abgrenzen, in der Praxis stellen sich für die Gerichte aber regelmäßig schwierige Wertungsfragen. Diese werden das kommende NSU-Verfahren prägen. Selbstverständlich muss jeder einzelne Vorwurf bewiesen werden.

Was heißt dieser Unterschied für ein mögliches Strafmaß am Ende des Prozesses?

Den Mittäter erwartet im Falle einer Verurteilung das volle Strafmaß. Bei Mord ist das lebenslange Haft. Für Beihilfe sieht das Gesetz dagegen eine Strafmilderung vor. Bei "Beihilfe zum Mord" kann also aus "lebenslang" eine zeitlich begrenzte Strafe werden - mindestens drei, höchstens 15 Jahre. Die unterschiedlich starke Beteiligung hat also große Auswirkungen.

"Lebenslang heißt doch 15 Jahre" - diese verbreitete Ansicht ist so übrigens nicht richtig. Bei einer Verurteilung zu lebenslanger Haft muss das Gericht nach 15 Jahren prüfen, ob es Gründe für eine vorzeitige Entlassung gibt. Der Verurteilte kommt aber nicht in jedem Fall frei. Wenn im Urteil eine "besondere Schwere der Schuld" festgestellt wurde, fällt die Möglichkeit einer Entlassung schon nach 15 Jahren sogar ganz weg.

Fragen des Strafmaßes werden sich allerdings erst ganz am Ende des Prozesses stellen. Sollte Zschäpe wegen Beihilfe zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt werden, könnte ihr ebenfalls eine Reststrafe erlassen werden.

Was wäre, wenn man Zschäpe weder Mittäterschaft noch Beihilfe nachweisen könnte?

Dann bliebe die Anklage als Mitglied in der terroristischen Vereinigung NSU. Dafür muss Zschäpe nicht an den Morden mitgewirkt haben. Sie ist außerdem wegen Beteiligung an Banküberfällen und der Brandstiftung an der Wohnung in Zwickau angeklagt, was die Ermittler als versuchten Mord werten. Sie habe in Kauf genommen, dass Menschen bei dem Brand umkommen könnten.

Warum hat die Bundesanwaltschaft Anklage gerade beim OLG München erhoben?

Zentrales Kriterium für das zuständige Gericht ist der Tatort der angeklagten Verbrechen. Die Bundesanwaltschaft hatte die Wahl, da die Morde an verschiedenen Orten in Deutschland begangen wurden. Fünf von zehn Morden geschahen in Bayern, in Nürnberg und München. Deswegen hat sich die Bundesanwaltschaft für dieses Bundesland entschieden. In erster Instanz sind für sogenannte Staatsschutzsachen - meistens geht es dabei um Terrorismus - die Oberlandesgerichte zuständig. Jedes Bundesland hat ein Oberlandesgericht für diese speziellen Verfahren benannt. In Bayern ist es das Oberlandesgericht München.

Wie geht das Verfahren jetzt weiter?

Mit Erhebung der Anklage ist der erste von drei Teilen eines Strafverfahrens abgeschlossen, das Ermittlungsverfahren. Anklageschrift und Akten liegen bei Gericht. Nun hat das sogenannte Zwischenverfahren begonnen (Teil 2): Das Gericht in München prüft nach Aktenlage, ob es die Anklage unverändert oder in abgeänderter Form zulässt. Die Verteidigung hat die Möglichkeit zur Stellungnahme. Bejaht das Gericht wie die Bundesanwaltschaft einen hinreichenden Tatverdacht, wird es das Hauptverfahren eröffnen (Teil 3). Dazu wird es einen Termin für den Beginn der Hauptverhandlung bestimmen. Viele Beobachter erwarten, dass dieser Termin im Frühjahr 2013 liegen könnte. Im Gerichtssaal wird dann die umfangreiche Beweisaufnahme stattfinden, mit zahlreichen Zeugen und anderen Beweismitteln.

Welches sind die korrekten Bezeichnungen der mutmaßlichen Täter?

Im Ermittlungsverfahren, also bis zur Erhebung der Anklage, spricht man vom "Beschuldigten", im Zwischenverfahren vom "Angeschuldigten". Wird die Anklage vom Gericht zugelassen und ist damit das Hauptverfahren eröffnet, wäre Beate Zschäpe offiziell die "Angeklagte".