Interview

Interview zum Weltlehrertag "Der Beamtenstatus ist nicht mehr zeitgemäß"

Stand: 22.10.2015 13:27 Uhr

Lehrer sollten nicht zu Sündenbocken für Defizite in der Bildungs- und Integrationspolitik werden, meint der Erziehungswissenschaftler Schuberarth am Weltlehrertag im Interview mit tagesschau.de. Aber er fordert auch mehr Eigenverantwortung ein: Die Beamtenmentalität passe nicht mehr in unsere Zeit.

tagesschau.de: Immer wieder wird über schlechte Pisa-Ergebnisse und Gewalt an Schulen berichtet. Welchen Anteil haben die Lehrer daran?

Wilfried Schubarth: Wir können nicht die Lehrer zum Sündenbock machen für Defizite in der Bildungs-, Sozial- und Integrationspolitik. Aber natürlich muss sich auch die Schule immer wieder fragen, was sie besser machen kann, wie sie Schüler besser erreichen und fördern kann.

Zur Person

Prof. Dr. Wilfried Schubarth hat einen Lehrstuhl für Erziehungs- und Sozialisationstheorie an der Universität Potsdam. Er beschäftigt sich mit der Ausbildung von Lehrern, dem Zusammenspiel von Schule und Gesellschaft und forscht zu Gewalt und Werteentwicklung bei Jugendlichen.

tagesschau.de: Was muss denn in Schule und Unterricht besser werden?

Schubarth: Schule hat die Aufgabe zu bilden und zu erziehen. In Grundschulen investieren wir zu wenig in die Förderung von Kindern aus sozial schwachen Familien. In Bezirken und Regionen, wo es viel Armut gibt, muss mehr getan werden. Dazu muss die Eigenverantwortung der Schulen gestärkt werden: Jede Schule muss prüfen, vor welchen Herausforderungen sie steht und ob sie das richtige Profil für ihre Schüler hat.

tagesschau.de: Welches Profil müssen die Lehrer dabei haben?

Schubarth: Sie müssen mehr denn je soziale Kompetenzen haben, konfliktfähig sein und durchsetzungsfähig. Ein Lehrer muss mit Schülern aus unterschiedlichen Kulturen und Schichten umgehen können. Er muss in der Lage sein, außerschulische Einrichtungen mit ins Boot zu holen. Die Schule muss vernetzter sein, den Kontakt zu den Eltern, zu Jugendeinrichtungen und zu den Betrieben suchen, in denen die Schüler später arbeiten. Nehmen wir die skandinavischen Nachbarländer: Dort kümmern sich Lehrer in Zusammenarbeit mit Psychologen und Sozialarbeitern um die Kinder und die Erziehung. Es gibt größere Wertschätzung für die Schüler. Soziale Unterschiede können so besser ausgeglichen werden.

tagesschau.de: Konfliktfähigkeit, soziale Kompetenz, den Kontakt zu außerschulischen Instanzen - daran scheint es bislang oft zu mangeln. Warum?

Schubarth: Dies alles muss in der Ausbildung und später im Berufsalltag viel stärker gefördert werden - zum Beispiel in Form von Coachings und Supervision. Lehrer fühlen sich oft allein gelassen. Und die Belastung in dem Beruf ist überdurchschnittlich hoch.

tagesschau.de: Ist es nicht vielleicht eher so, dass Lehrer unterdurchschnittlich belastbar sind - im Vergleich zum Beispiel mit Managern, Anwälten oder Medizinern?

Schubarth: Dazu gibt es sehr unterschiedliche Studien. Manche legen in der Tat diesen Eindruck nahe, andere kommen zu dem Ergebnis, dass Lehrer genauso belastbar sind wie andere Berufsgruppen. Wichtig ist es, die Eignung für den Beruf zu überprüfen: mit Selbsttests, die man vor dem Studium machen kann. Und auch die Hochschulen müssen die Auswahlkriterien verbessern.

tagesschau.de: Viele entscheiden sich möglicherweise für den Lehrerberuf wegen der Sicherheit, den der Beamtenstatus bietet. Ist der Beamtenstatus richtig und zeitgemäß?

Schubarth: Der Beamtenstatus für Lehrer passt nicht mehr in unsere Zeit. Flexibilität und Mobilität werden immer wichtiger. Wir diskutieren seit Jahren darüber, dass Lehrer durchaus mal für eine Zeit in die Wirtschaft gehen sollten, um Erfahrungen zu sammeln. Und wir wollen andererseits Quereinsteiger aus anderen Berufen. Dazu passt nicht die Beamtenmentalität. Wir sollten stattdessen mehr mit Leistungsanreizen arbeiten und mit leistungsabhängiger Bezahlung.

tagesschau.de: Sollte der Lehrer eher Kumpel oder Autoritätsperson sein?

Schubarth: Viele Schüler beklagen, die Lehrer müssten doch mal richtig durchgreifen und autoritärer sein. Viele Schüler suchen nach Autorität. Aufmerksamkeit und Führung sind wichtig, aber eben auch Partnerschaft und Partizipation. Ganz wichtig ist Konsequenz: Regeln vereinbaren und diese dann verbindlich einfordern und gegen Widerstand durchsetzen. Und Werte müssen glaubhaft vorgelebt werden. Wo dies fehlt, müssen Lehrer ihr Handeln auf den Prüfstand stellen.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de