Die Transitzone für Flüchtlinge bei Tampa in Ungarn

Nach EU-Kritik Berlin prüft Rückführungen nach Ungarn

Stand: 02.06.2017 14:08 Uhr

Transitzonen, die Inhaftierungslagern gleichen, Berichte über Misshandlungen - Ungarn wird von der EU immer wieder deutlich für seinen Umgang mit Flüchtlingen kritisiert. Nun prüft die Bundesregierung die deutsche Rückführungspraxis in das Land.

Von Michael Stempfle, ARD Berlin

Noch schickt Deutschland - im Rahmen der sogenannten Dublin-Regelung - Flüchtlinge nach Ungarn zurück. 193 Überstellungen waren es 2015, im Jahr darauf bereits 293, und in den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden 28 Menschen nach Ungarn zurückgeschickt. Die Bundesregierung prüft allerdings derzeit, ob sich aus der Einschätzung der EU-Kommission "eine neue Sachlage für die Prüf- und Überstellungspraxis" ergibt. Das geht aus ihrer Antwort an eine Anfrage der Fraktion der Linkspartei im Bundestag hervor, die dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt.

Brüssel hat nämlich bereits am 17. Mai 2017 beschlossen, ein Vertragsverletzungsverfahren wegen asylrechtlicher Verstöße aus dem Jahr 2015 gegen Ungarn "voranzutreiben". Die Kommission übermittelte Ungarn demnach ein entsprechendes "ergänzendes Aufforderungsschreiben". Das Land hat insgesamt zwei Monate Zeit, darauf zu reagieren - also bis Mitte Juli. Es machte aber schon klar, dass es von der Kritik aus Brüssel nicht viel hält.

Kritik am ungarischen Asylsystem

Als Hintergrund für die derzeitige Überprüfung der Sachlage nennt die Bundesregierung in ihrer Antwort die Berichte international anerkannter Organisationen. Zwar habe die ungarische Grenzpolizei beim Grenzbesuch 2016 den Vorwurf von Misshandlungen zurückgewiesen, heißt es in dem Schreiben. Inzwischen seien aber auch von staatlichen ungarischen Stellen Fälle verfolgt und bestätigt worden. Und weiter: "Eigene Maßnahmen zur Verifizierung der jeweilige Vorwürfe sind der Bundesregierung nicht möglich."

Ebenso kennt Berlin Brüssels Hauptkritikpunkte am ungarischen Asylsystem: Zum einen die Kritik an den Asylverfahren. Asylanträge können in Ungarn nur innerhalb zweier spezieller Transitzonen an den Grenzen gestellt werden. Der Haken: Gleichzeitig wird der Zugang zu diesen Zonen zahlenmäßig stark beschränkt. Derzeit sind es nach Angaben der Bundesregierung durchschnittlich zehn Asylsuchende pro Tag. Dadurch werde ein wirksamer Zugang zu Asylverfahren im Hoheitsgebiet des Landes verhindert, so Brüssel.

"Systematische Inhaftierungen"

Zum anderen werden Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge kritisiert: Asylbewerber - darunter Kinder ab 14 Jahren - werden systematisch und unbefristet in geschlossenen Einrichtungen in der Transitzone in Gewahrsam genommen werden. Dies komme "systematischen Inhaftierungen" gleich. Bestimmte Garantien würden dabei nicht eingehalten - etwa das Recht auf einen Rechtsbehelf.

Ursprünglich hatten die beiden ungarischen Lager Tompa und Röszke in der Transitzone dazu gedient, eine bestimmte Zahl an Flüchtlingen zu registrieren und sie in zumeist offene Lager zu schicken. Das neue Gesetz aus dem März sieht jedoch vor, dass Asylbewerber bis zum Ende des Verfahrens in den Containerburgen im Transitbereich festzuhalten sind.

Bundesregierung fordert schriftliche Zusicherungen

Die Bundesregierung sagt nun: Überstellungen von Deutschland nach Ungarn würden künftig zwar nur durchgeführt, "wenn die ungarischen Behörden schriftlich zusichern" könnten, dass die Rückkehrer erstens gemäß der EU-Richtlinien untergebracht würden und zweitens auch die Asylverfahren den EU-Standards entsprechen würden. Gleichzeitig weiß die Bundesregierung aber auch: Die rückgeführten Flüchtlinge müssen "mindestens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Transitzone" bleiben - und damit in Gewahrsam.

Linkspartei für sofortigen Rückführungsstopp

Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, fordert, die Überstellungen nach Ungarn sofort einzustellen: Viel zu lang sei über die eklatanten Missstände in Ungarn und die schändliche Abschreckungspolitik an der ungarischen EU-Außengrenze geschwiegen worden.

"Auch die Bundesregierung hat sich mit ihrem Schweigen beziehungsweise dem Dulden eklatanter Missstände in der ungarischen Anti-Asylpolitik mitschuldig gemacht: Das Asylrecht in Ungarn ist infolge der massiven Abschreckungsmaßnahmen faktisch nicht mehr existent, Schutzsuchende haben keine menschenwürdige Behandlung zu erwarten", so Jelpke.

Eine der Fragen der Bundestagsfraktion der Linkspartei lautete übrigens: Ist die Bundesregierung dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban dankbar dafür, was er an den Grenzen macht? Es ist eine Anspielung auf eine entsprechende Äußerung des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer aus dem Jahr 2015. Die Antwort der Bundesregierung vom 26. Mai 2017 dürfte in München aber für Enttäuschung sorgen. Sie lautet: Nein.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Radio MDR aktuell am 13. Juni 2017 um 05:50 Uhr.