Interview

Interview mit Politikberater Spreng "Eine Mischung aus Mitleid und Fremdschämen"

Stand: 04.01.2012 21:59 Uhr

Wie ist der Auftritt des Bundespräsidenten zu bewerten? Politikberater Michael Spreng meint im Gespräch mit tagesschau.de, dass es für Wulff ein langer Prozess werde, seine Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Er sei jetzt ein in seiner Autorität sehr geschwächter Präsident. Wulff habe nicht das Amt, sondern sich selbst beschädigt.

tagesschau.de: Wie bewerten Sie das TV-Interview des Bundespräsidenten?

Michael Spreng: Es war bedrückend als Fernsehzuschauer zu erleben, dass ein Bundespräsident gezwungen ist, sich in eigener Sache in dieser Form zu rechtfertigen. Ihn so zu sehen, rief bei mir eine Mischung aus Mitleid und Fremdschämen hervor. So etwas will man eigentlich nicht erleben, aber wir mussten dies erleben, weil der Bundespräsident sich in solch eine Situation manövriert hatte.

Michael Spreng
Zur Person

Michael Spreng ist seit 2001 selbstständiger Medien- und Kommunikationsberater. Seine journalistische Laufbahn begann er als Redakteur der "Welt" und bei "Bild". Von 1989 bis 2000 war Spreng Chefredakteur der "Bild am Sonntag". 2002 war er Wahlkampfleiter Edmund Stoibers. Er betreibt den Blog www.sprengsatz.de.

"Er hätte eine Pressekonferenz anberaumen müssen"

tagesschau.de: Er hat die Pressefreiheit erneut betont. Hätte dazu nicht gehört, sich wirklich in einer Pressekonferenz zu stellen?

Spreng: Es war ein schwerer Fehler, gerade die Printmedien nicht einzuladen, die ja die Betroffenen waren in den Fällen, in denen er versucht hatte, auf die Berichterstattung Einfluss zu nehmen. Er hätte eine Pressekonferenz anberaumen müssen, in der wirklich alle Fragen zugelassen werden können.

tagesschau.de: Christian Wulff hat sich für seine Versuche, telefonisch eine Berichterstattung zu verhindern, noch einmal entschuldigt. Er will alle Unterlagen zu seinem Hauskredit ins Internet stellen. Hat er damit seine Glaubwürdigkeit zurückgewonnen?

Spreng: Das wird ein langer Prozess für den Bundespräsidenten, seine Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Er selbst sprach im TV-Interview von Lernfortschritten. Er fängt gewissermaßen wieder bei  Null an - oder wohl eher unter Null. Er ist jetzt ein in seiner Autorität sehr geschwächter Präsident, der einen langen Weg vor sich hat.

"Medien sind massiv ihrer Kontrollfunktion nachgekommen"

tagesschau.de: Tragen auch die Medien ein Stück Verantwortung für die beispiellose Demontage des Bundespräsidenten, wie wir sie in den vergangenen Wochen erlebt haben?

Spreng:  Die Medien sind massiv ihrer Kontrollfunktion nachgekommen. Die Demontage des Bundespräsidenten hängt mit den Umständen seines Hauskredits und Urlauben bei Freunden zusammen, und sie liegt an der Salamitaktik, mit der der Bundespräsident immer nur scheibchenweise Details offenlegt und Dinge zugegeben hat.

tagesschau.de: Dennoch: Haben die Boulevard-Medien zu viel Macht, einen Politiker zum Helden hochzuschreiben oder ihn zu demontieren?

Spreng:  Die Politiker wollen ja hochgeschrieben werden. Sie stellen sich ja bereitwillig zur Verfügung - auch für private Stories, für Homestories, für Fototermine und öffnen ihr Privatleben. Dann müssen sie sich auch gefallen lassen, dass auch kritische Aspekte berichtet werden.

"Das Amt ist stärker als Christian Wulff"

tagesschau.de: Hat der Bundespräsident mit seinem Verhalten das höchste Amt im Staate beschädigt?

Spreng: Ich glaube, das Amt ist stärker als Christian Wulff. Insofern ist es sehr schwer, das Amt zu beschädigen. Er hat sich selbst beschädigt.

tagesschau.de:  Kann Christian Wulff Präsident bleiben?

Spreng: Er wird Präsident bleiben. Das hat er zumindest erklärt.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de