Interview

Interview zur Ausbreitung der Schweinegrippe "Wichtig ist es, eine Ko-Infektion zu vermeiden"

Stand: 11.06.2009 16:55 Uhr

Die Schweinegrippe breitet sich weiter aus - auch in Deutschland. Virus-Experte Jörg Hofmann von der Berliner Charite sagt im Gespräch mit tagesschau.de, momentan sei die Gefahr zwar gering. Er rät aber zur Impfung gegen die saisonale Grippe, um eine Doppelinfektion mit Grippeviren zu vermeiden.

tagesschau.de: Die Pandemie-Warnstufe der WHO ist auf die Stufe sechs angehoben worden. Geht von der Schweinegrippe damit eine größere Gefahr aus als zuvor?

Hofmann: Bislang hatten wir ja eine regional begrenzte Ausbreitung dieses Virus durch eine Übertragung von Mensch zu Mensch, allerdings mit dem Potenzial zu einer Pandemie. Phase sechs bedeutet, dass es zu einer zunehmenden und andauernden Übertragung in der Gesamtbevölkerung kommt. Wir müssen damit rechnen, dass dieses Virus verstärkt in der Bevölkerung auftritt - auch in Deutschland. Es heißt aber nicht, dass es damit auch zu schwereren Erkrankungen kommt.

Zur Person

Jörg Hofmann ist seit 2006 Leiter der Abteilung Virusdiagnostik am Institut für Medizinische Virologie des Universitätsklinikums Charité Berlin. Er hat in Leipzig Chemie studiert, 1988 in Chemie promoviert und 2007 im Bereich der Virologie habilitiert.

Nicht gefährlicher als die "normale" Grippe

tagesschau.de: Wie gefährlich ist das Virus im Vergleich zur "normalen Grippe" wirklich?

Hofmann: Das Virus unterscheidet sich von den Symptomen und von den Übertragungswegen nicht von der saisonalen Influenza. Gerade hier in Europa sind bislang nur milde Erkrankungen bekannt. Weltweit gibt es aber Todesfälle bei Patienten mit schwerwiegenden Grunderkrankungen. Das Virus ist also derzeit keine größere Gefahr als eine saisonale Grippe.

Dennoch ist die Medienaufmerksamkeit unbedingt gerechtfertigt. Es ist wichtig das die Bevölkerung darüber aufgeklärt wird. Aber man sollte nicht von "Killerviren" sprechen oder von Horrorszenarien sprechen, wenn im Winter die Grippesaison bei uns losgeht.

Aggressiveres Virus im Spätherbst?

tagesschau.de: Wie lautet denn aus Ihrer Sicht ein realistisches Szenario für die Grippesaison im Spätherbst in Deutschland?

Hofmann: Das wird ganz maßgeblich davon abhängen, wie sich das Virus bis November und Dezember auf der südlichen Welthalbkugel verändert. Denn die Menschen dort gehen jetzt in die Wintermonate und das Virus macht natürlich nicht am Äquator halt. Wenn es schafft, sich dort besser an den Menschen anzupassen, mehr Virulenzfaktoren zu sammeln und pathogener zu werden, dann müssen wir natürlich auch damit rechnen, dass bei uns dann im Spätherbst und im Winter ein aggressiveres Virus zirkuliert als das momentan der Fall ist.

"Wir befinden uns noch in der ersten Grippe-Welle"

tagesschau.de: Laut Robert-Koch-Institut steigt die Zahl der Infektionen in Deutschland. Wo sehen Sie uns im Verlauf der Pandemie?

Hofmann: Aus der Geschichte wissen wir, dass bei einer Pandemie die Infektionen meist in Wellen, also zyklisch, auftreten. Meistens gibt es zwei oder drei Wellen. Wir befinden uns noch in der ersten Welle. Es kann also auch durchaus sein, dass dieses Virus kurzzeitig verschwindet und dann an anderer Stelle wieder auftaucht.

tagesschau.de: Worin sehen Sie die besondere Gefahr des neuen Grippe-Virus?

Hofmann: Dieses Virus passt sich an die Umgebungsbedingungen an, speziell an die Wirte. Da es eine sehr hohe Variabilität im Genom dieses Virus gibt, gibt es eine besondere Gefahr durch eine sogenannte Koinfektion. Zu der kann es kommen, wenn sich jemand gleichzeitig mit einem saisonalen Influenza-Virus und einem neuen Grippe-Virus infiziert. Dann kann es zum Austausch von Erbinformationen kommen.

Die daraus resultierenden Stämme könnten eine höhere Virulenz und eine höhere Pathogenität haben. Es kann aber auch durchaus sein, dass ein solches Virus wieder verschwindet oder in seinen Auswirkungen relativ milde wird.

30 Prozent der Erwachsenen sind offenbar immun

tagesschau.de: In Deutschland sind bislang überwiegend Kinder betroffen. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Hofmann: Prävalenz-Studien haben ergeben, dass es in der älteren Bevölkerung bis zu 30 Prozent Personen gibt, die einen Schutz vor diesem neuen Grippevirus haben. Das würde dafür sprechen, dass irgendwann in der Vergangenheit bereits ein ähnliches Virus im Umlauf gewesen sein muss. Bei Kindern bis zu einem Alter von neun Jahren hat man dagegen keinerlei neutralisierende Aktivität nachweisen können. Auch bei Jugendlichen bis 20 Jahre war die Immunität nur sehr marginal vorhanden.

"Unbedingt vor regulärer Grippe impfen"

tagesschau.de: Hilft die reguläre Impfung gegen Grippe auch gegen das neue Grippevirus?

Hofmann: Man geht heute davon aus, dass wenn der saisonale Impfstoff überhaupt wirkt, dann allenfalls marginal. Zurzeit wird aber an einem neuen Saat-Virus gearbeitet, das dann als Grundstoff für einen neuen Impfstoff infrage kommt.

Trotzdem sollte man im Hinblick auf die neue Grippesaison den saisonalen Grippeimpfstoff unbedingt anwenden. Ziel ist, eine Koinfektion von einem saisonalen Virus mit dem neuen Virus in einem selbst zu vermeiden. Man sollte sich also vor der saisonalen Grippe schützen, um zu verhindern, dass es zu einer Rekombination kommt und damit möglicherweise zur Ausbildung eines neuen und hochvirulenten Virus.

Das Interview führte Wolfgang Wichmann, tagesschau.de.