Rizinus Pflanze

Mutmaßlicher Rizin-Bombenbauer Ein neuer Tätertyp?

Stand: 30.07.2018 18:00 Uhr

Im Fall des mutmaßlichen Kölner Rizin-Bombenbauers sind die Ermittler davon überzeugt, es mit einem Täter-Ehepaar zu tun zu haben. Das zeigen Dokumente, die WDR und "Süddeutscher Zeitung" vorliegen.

Von Lena Kampf, WDR

Es sei alles nur so gekommen, schrieb Sief Allah H. seiner Frau aus der Untersuchungshaft, weil er ein arabisches Medikament für seinen Fuß herstellen wollte. "Das hat die Polizei falsch verstanden. Ich wusste nicht, dass es verboten ist. Ich wollte einfach nur ein Medikament für meinen Fuß machen", schrieb er.

Das angebliche Medikament, das Polizisten bei H.s Festnahme Mitte Juni in dessen Kölner Wohnung fanden, ist eine Paste aus Rizin, einem hochgiftigen Stoff aus dem Samen des Wunderbaums. Die Ermittler sind davon überzeugt, dass H. mit diesem und weiteren Explosionsmitteln einen Anschlag plante, der viele Menschen hätte töten können.

Rizin kann als biologischer Kampfstoff eingesetzt werden. Mit dem Brief aus der Haft habe H. versucht, seiner Frau eine Erklärung für die Funde in den Mund zu legen, glauben die Ermittler. Die Verteidigung wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

Rizinfund Köln-Chorweiler

Ein Feuerwehrmann trägt vor dem Wohnkomplex Osloerstr. 3 in Köln-Chorweiler eine Tonne mit einer möglicherweise toxischen Substanz heraus. Das Rizin wurde im Juni gefunden.

IS-Unterstützung Teil des Eheversprechens?

Es ist selten, dass in Deutschland gegen ein Ehepaar wegen Terrorismusverdachts ermittelt wird. Oft sind es, wie beim Attentäter Anis Amri, alleinstehende junge, meist frustrierte Männer, die sich dem Islamismus und der Gewalt zuwenden. Bei Sief Allah H. und Yasmin H. glauben die Ermittler jedoch, dass es zentraler Teil des Eheversprechens gewesen sei, die Terrormiliz "Islamischer Staat" zu unterstützen. Gemeinsam "Hijra machen", also in dessen Herrschaftsgebiet auszureisen - das sei von Anfang an das Ziel der Ehe gewesen, soll Yasmin H. in einem Brief an eine Freundin geschrieben haben. 

Eine ungewöhnliche Konstellation: Er, 30 Jahre alt, Tunesier, soll seit Jahren in islamistischen Zirkeln unterwegs gewesen sein. Vor drei Jahren soll er deshalb bereits in seiner Heimat einmal in Untersuchungshaft gesessen haben. Sie, 42 Jahre alt, Kölnerin, verschleiert, mehrfache Mutter. Offenbar fanden sie über das Internet zueinander. Die Deutsche soll ihren Mann verlassen haben, um den jüngeren Tunesier zu heiraten und ihn nach Deutschland zu holen, sagen die Ermittler. Die beiden haben inzwischen zwei gemeinsame Kinder, das jüngste ist wenige Wochen alt.

Als Ehepaar Hand in Hand arbeitend

Von Köln aus soll Sief Allah H. mit IS-Leuten in Syrien gechattet haben. Über den Chat-Dienst Telegram erhielt er offenbar Tipps zum Fertigen einer Rizin-Bombe. Weil jedoch sowohl er als auch seine Frau als überzeugte Islamisten gelten, fragen sich die Ermittler, ob sie es bei dem Paar möglicherweise mit einem neuen Tätertyp zu tun haben. Hochmotiviert, zielstrebig und vor allem als Ehepaar Hand in Hand arbeitend. Anders als etwa bei den jungen Attentätern von Würzburg und Ansbach, denen vom IS ein "Mentor" zugeteilt wurde, der sie teils minutiös anleitete, soll Sief Allah H. mit mehreren IS-Leuten gechattet haben. Er soll eher Tipps als Anweisungen bekommen haben.

Im vergangenen Jahr soll seine Frau bereits zweimal Reisen für ihn in die Türkei gebucht haben. Von dort, glauben die Ermittler, sollte es offenbar weiter nach Syrien gehen. Doch aus bisher unbekannten Gründen gelang dies nicht. Wegen ihrer Kinder aus erster Ehe habe sie nicht mitfahren können, soll Yasmin H. ihrer Freundin geschrieben haben. Sie habe aber nachkommen wollen.

SEK-Beamte mit Atemschutzmasken und Schutzanzügen steigen in einen Krankenwagen.

Nach dem Rizinfund ermittelten SEK-Beamte mit Atemschutzmasken.

Zu einem Händler für Pyrotechnik gereist?

Nach dem zweiten gescheiterten Ausreiseversuch im Oktober 2017 schlugen die IS-Leute im Telegram-Chat offenbar vor, Sief Allah H. könne auch einen Anschlag "gegen die Ungläubigen" in Deutschland verüben. Er soll begonnen haben, sich damit zu beschäftigen, wie er an Explosivstoffe kommen könnte und - wieder organisiert von seiner Frau - ins polnische Slubice, zu einem Händler für Pyrotechnik gereist sein. 

Auch beim Ankauf von Rizinussamen und weiteren Bestandteilen einer potenziell tödlichen Bombe soll ihn Yasmin H. unterstützt haben, so die Ermittler.

Mann wegen Schlägen angezeigt

Es soll allerdings Gewalt gegeben haben in dieser Beziehung. Für nicht ausgeschlossen halten es die Ermittler deshalb auch, dass H. seine Frau unter Druck gesetzt oder gar zu Unterstützungshandlungen gezwungen habe. Yasmin H. war mit einem zweiten gemeinsamen Kind schwanger. Der Nachbarin soll sie offenbart haben, "wie das alles gekommen ist mit meinem Mann", den sie im Januar wegen Schlägen angezeigt hatte, nachdem die Polizei in die Wohnung gerufen worden war. Wenig später soll sie jedoch mit ihrem Mann auf der Polizeiwache erschienen sein, um die Anzeige zurückzunehmen.

Offenbar verband die Eheleute jedoch immer die Abscheu vor "Ungläubigen", als die sie angeblich auch ihre Nachbarn in Köln bezeichneten. Yasmin H. soll in die Vergangenheit ihres Mannes eingeweiht gewesen sein: In dem Brief an ihre Nachbarin soll sie geschrieben haben, H. sei in Tunesien wegen Terrorverdachts in Untersuchungshaft gewesen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell Radio am 24. Juli 2018 um 12:30 Uhr sowie B5 aktuell am 30. Juli 2018 um 22:20 Uhr.