Friedensfahrt-Museum Kleinmühlingen
In Kleinmühlingen erinnert seit 2007 ein Museum an die Friedensfahrt. Bildrechte: MDR/Annekathrin Queck

Radsportmuseum "Course de la Paix" Legendäre Friedensfahrt lebt in Kleinmühlingen weiter

24. März 2024, 17:43 Uhr

Im Dorf Kleinmühlingen im Salzlandkreis hält ein Museum die Erinnerung an die Friedensfahrt lebendig. Das Amateur-Radrennen galt zu DDR-Zeiten als "Tour de France des Ostens" und begeisterte über Generationen hinweg. 2006 fand die Rundfahrt zum letzten Mal statt. Auch Museumsleiter Horst Schäfer verfolgte das Radrennen seit seiner Kindheit. Heute organisiert er mit einem Verein kleine Friedensfahrten für Kinder.

MDR San Mitarbeiterin Annekathrin Queck
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

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Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint – Im Dorf Kleinmühlingen im Salzlandkreis gibt es einen besonderen Ort: Das Radsportmuseum "Course de la Paix" (französisch für "Friedensfahrt"), das sich mit der Friedensfahrt beschäftigt, einem ehemaligen internationalen Amateur-Radrennen, das auch als "Tour de France des Ostens" bezeichnet wurde.

Das Radsportmuseum ist aber eher ein Begegnungsort als ein klassisches Museum, erklärt Horst Schäfer. Er leitet das Museum seit der Eröffnung 2007.

Erinnerungen an die Friedensfahrt bewahren

Wenn Gäste kommen, spielt Schäfer ihnen die Eröffnungs-Musik der Friedensfahrt vor und setzt sich mit seinen Besuchern erstmal für ein Gespräch zusammen. Manchmal werden auch Videos über die Friedensfahrt gezeigt, ehe gemeinsam die Ausstellungsräume in der oberen Etage angeschaut werden.

Horst Schäfer betont, dass es ihm nicht so sehr um die Gegenstände, sondern vielmehr um die Erinnerungen geht, die die Menschen mit der Friedensfahrt verbinden. Deshalb habe er auch kein Lieblingsausstellungsstück.Trotzdem gibt es aber Exponate, zu denen er eine besondere Beziehung hat. Dazu gehört zum Beispiel ein Straußenei, das seine Enkelkinder mit einer weißen Taube – dem Symbol der Friedensfahrt – bemalt haben.

Museumsleiter Horst Schäfer mit einem Friedensfahrt-Ei
Die Enkel von Horst Schäfer haben ihm ein "Friedensfahrt-Ei" geschenkt. Bildrechte: MDR/Annekathrin Queck

Stichwort Friedensfahrt Die Internationale Friedensfahrt war ein Etappenrennen in Mitteleuropa und bis 1989 das international bedeutendste Amateurradrennen. Ab 1952 kam die ehemalige DDR als Austragungsland dazu. Bis auf wenige Ausnahmen waren Berlin, Prag und Warschau jährlich abwechselnd Start-, Etappen- oder Zielort. Das bisher letzte Rennen wurde 2006 von Deutschland, Österreich und Tschechien ausgetragen.

Ein libanesischer Rennfahrer als Idol

Wenn Horst Schäfer von der Friedensfahrt erzählt, spürt man sofort, wie sehr er für das Radrennen brennt, seit er als Zweitklässler zum ersten Mal davon gehört hat. "Unsere Lehrerin hat uns von der Friedensfahrt erzählt, also dass es dieses Radrennen gibt, wo aus 20 Ländern junge Rennfahrer für eine friedliche Zukunft fahren", erinnert er sich.

Horst Schäfer, der Museumsleiter des Radmuseums Kleinmühlingen, als Kind
Horst Schäfer als Kind. Bildrechte: Horst Schäfer

Alle Kinder hätten ein Heft anlegen sollen, in dem sie chronologisch den Ablauf der Fahrt dokumentieren. In der Zeitung entdeckte Horst Schäfer dann auch einen Brief des Rennfahrers Tarek Aboul Zahab aus dem Libanon. Darin hätte der Rennfahrer geschrieben, dass er unbedingt an dem Radrennen teilnehmen will, aber ganz alleine ist.

"Dieser Satz hat mich als neunjähriger Junge irgendwie gefesselt. Aus den vorbereitenden Gesprächen, die die Lehrerin mit uns geführt hat, wusste ich ja, dass zu einer Mannschaft sechs Fahrer, ein Arzt und ein Mannschaftsleiter gehören und man sich gegenseitig unterstützen muss, weil man ein 2.000 Kilometer langes Radrennen sonst keinesfalls übersteht".

Trotzdem nimmt Tarek Aboul Zahab 1963 an der Friedensfahrt teil und schafft es sogar bis zum Ziel. "Ich habe mich genauso gefühlt wie er, ich war einfach nur stolz", erzählt Horst Schäfer.

Die Radrennfahrer Tarek Aboul Zahab und Klaus Ampler
Die Radrennfahrer Tarek Aboul Zahab (links) und Klaus Ampler bei der Friedensfahrt 1963. Bildrechte: Verein Radfreizeit, Radsportgeschichte und Friedensfahrt

Ein besonderer Schulausflug

Ein Jahr später ist der libanesische Rennfahrer wieder bei der Friedensfahrt dabei. Diesmal endet eine Etappe in Magdeburg. "Da führte die Strecke unweit unseres Heimatdorfes vorbei. Wir hatten Wandertag und sind zur Strecke gefahren und ich hatte natürlich nur einen Plan, dass ich meinen Helden sehe." Und das gelingt Schäfer auch.

Nachdem er auf einen Apfelbaum geklettert ist, entdeckt er unter den Rennfahrern sein Idol Tarek Aboul Zahab. "Da sind dann alle Dämme gebrochen. Im Nachhinein wurde die Begeisterung, die nie nachgelassen hat, immer stärker. Das war für mich wie eine Religion."

Als Schüler und später als Lehrling meldet sich Schäfer auch mal krank oder übernachtet auf einer Parkbank, um die Rennfahrer der Friedensfahrt zu sehen. Gesammelt hätte er nie irgendwas. "Ich war einfach nur mittendrin und habe das genossen."

Letzte Friedensfahrt 2006

Doch nach der Wiedervereinigung verliert die Friedensfahrt an Bedeutung. 1991 erfährt Horst Schäfer aus der Zeitung "Neues Deutschland", dass das Radrennen nicht mehr durch die Bundesrepublik führen soll. Aufgeregt fährt er zum ehemaligen Radrennfahrer Gustav-Adolf "Täve" Schur und fragt ihn, wie die Friedensfahrt gerettet werden kann.

Kurz darauf gründet sich das "Kuratorium Friedensfahrt/Course de la Paix", das sich dafür einsetzt, dass die Friedensfahrt weiter ausgetragen wird und wieder Teile der Strecke in Deutschland liegen. Die letzte Friedensfahrt findet 2006 statt.

Ein Museum für die Friedensfahrt

Durch seine Mitarbeit im Kuratorium reist Horst Schäfer durch ganz Deutschland und lernt viele Menschen kennen, die ihm von ihren Erinnerungsstücken an die Friedensfahrt erzählen. So entsteht die Idee, diese Dinge an einem Ort zu sammeln und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Als Schäfer im Jahr 2000 plötzlich arbeitslos wird, entschließt er sich, sein Vorhaben umzusetzen und ein Museum aufzubauen. Zuerst in der eigenen Garage, ab 2002 dann im umgebauten Pferdestall, der zum Grundstück der Familie gehört. Im Frühjahr 2003 gründet sich der Verein "Radfreizeit, Radsportgeschichte und Friedensfahrt", der das Museum bis heute betreibt.

Weil der umgebaute Stall ziemlich eng, schwer zugänglich und nicht beheizbar ist, wird schnell klar, dass es eigenes Museumsgebäude braucht. Das heutige Museum entsteht schließlich auf dem Nachbargrundstück – durch Spenden finanziert und von vielen freiwilligen Helfern gebaut. Im November 2007 wird die Eröffnung gefeiert.

Jährlich 2.000 Besucher

Seitdem kommen jährlich um die 2.000 Besucher nach Kleinmühlingen ins Radmuseum, erzählt Horst Schäfer. Das seien vor allem Menschen über 70, die die Zeit der Friedensfahrt selbst miterlebt haben und Grundschulkinder, die mit ihren Klassen in das Museum kommen.

Auch viele ehemalige Radrennfahrer wie "Täve" Schur, Olaf Ludwig und Bernd Drogan sind regelmäßig in Kleinmühlingen zu Gast. Sogar Schäfers Idol Tarek Aboul Zahab stattet dem Museum im Mai 2012 einen Besuch ab. Seit dem kommt er jedes Jahr nach Kleinmühlingen.

Museumsleiter Horst Schäfer mit dem Radrennfahrer Tarek Aboul Zahab und dessen Tochter
Museumsleiter Horst Schäfer mit dem Radrennfahrer Tarek Aboul Zahab und dessen Tochter bei einem Besuch 2012. Bildrechte: Verein Radfreizeit, Radsportgeschichte und Friedensfahrt

Das Museum organisiert bis heute regelmäßig Veranstaltungen, zum Beispiel kleine Friedensfahrten für Kinder. Zum Start ist die traditionelle Fanfaren-Musik zu hören, und wenn es sich organisieren lässt, steigen wie damals weiße Tauben in den Himmel. Aber auch eine richtige Friedensfahrt wird es irgendwann wieder geben – da ist sich Horst Schäfer sicher.

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MDR (Annekathrin Queck)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 24. März 2024 | 11:00 Uhr

1 Kommentar

Maria A. vor 4 Wochen

Ich erinnere mich daran, dass ich die allgemeine Begeisterung für die Friedensfahrt nie teilte. Und früh vor der Schule schnell noch bei meinen Freundinnen nachfragte, da es oftmals vorkam, dass man bei Unterrichtsbeginn die Etappensieger nennen sollte, wer denn gerade führte.

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