Chronik zum NSU-Terror Rassistische Mordserie, staatliches Versagen

Stand: 27.08.2013 12:59 Uhr

Im Jahr 1998 tauchten drei Mitglieder der Zwickauer Terrorgruppe NSU ab, angeblich ohne Wissen des Verfassungsschutzes. Die Zelle soll zehn Menschen erschossen haben. Fast täglich werden neue Details der rechtsextremen Verbrechen und des staatlichen Versagens bekannt.

Von Patrick Gensing, tagesschau.de

Bereits seit den 1990er-Jahren waren Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe in der Neonazi-Szene Thüringens aktiv. Sie gehörten zum Thüringer Heimatschutz (THS), einer Kameradschaft, die unter anderem Kontakte zur NPD pflegte. Die staatlichen Behörden hatten enge Kontakte zum THS, es gab Dutzende Mitglieder, die Informationen an den Verfassungsschutz oder andere Sicherheitsbehörden verkauften.

Erst im November 2011 flog der NSU auf, die rassistische Terrorserie wurde erst jetzt als solche erkannt, zuvor war in den Medien von "Döner-Morden" die Rede. Nach und nach wurde deutlich, wie die Sicherheitsbehörden, Wissenschaft und Medien beim Rechtsterrorismus geschlafen hatten. Seit Monaten wird die Terrorserie aufgearbeitet, bislang sind vier Untersuchungsausschüsse damit beschäftigt, mehrere Bücher wurden bereits zum NSU-Skandal veröffentlicht.

tagesschau.de hat die Entstehung des NSU sowie die Ereignisse seit dem Bekanntwerden der Terrorserie in einer Chronik zusammengefasst.

Die 1990er-Jahre: NPD, THS und VS

1996: Der "Thüringer Heimatschutz" wird gegründet - maßgeblich war der Neonazi Tino Brandt in dieser Organisation aktiv. Brandt wurde beim Verfassungsschutz als V-Mann geführt wird, er verkaufte dem Staat Informationen aus der Szene. Neben Brandt waren auch Uwe M., Uwe B., Beate Z. sowie spätere NPD-Funktionäre beim THS aktiv. Vorläufer der Neonazi-Organisation war die "Anti-Antifa Ostthüringen"; sie ging später in dem "Freien Netz" auf, in dem Neonazis aus Thüringen, Sachsen und Bayern - darunter auch NPDler - organisiert sind.

Januar 1998: In Jena (Thüringen) hebt die Polizei eine Bombenwerkstatt der Rechtsextremisten Uwe B., Uwe M. und Beate Z. aus. Das Labor war in einer Garage versteckt. Es werden Rohrbomben mit dem Sprengstoff TNT sichergestellt. Das Trio flieht. Laut Medienberichten hatten Ermittler angeblich die Möglichkeit, zumindest Beate Z. festzunehmen. Die Neonazis werden im Verfassungsschutzbericht als Mitglieder des "Thüringer Heimatschutzes" genannt, der Kontakte zur NPD hat.

Oktober bis November 1999: In Chemnitz werden mehrere Postfilialen überfallen und ausgeraubt - es ist noch unklar, ob die rechtsradikale Terrorzelle dafür verantwortlich ist.

1999: Unbekannte Täter beginnen eine Serie von Banküberfällen in mehreren ostdeutschen Bundesländern. Später werden die Taten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. zugeordnet.

Die 2000er-Jahre: Rassistische Terrorserie

27. Juli 2000: Bei einem Anschlag in einer S-Bahn-Station in Düsseldorf werden zehn Einwanderer aus Osteuropa verletzt und das ungeborene Kind einer 26-jährigen Frau getötet. Die meisten Opfer sind Juden. Die Täter wurden nie gefunden. Der Fall wird nach den Erkenntnissen über die Terror-Zelle aus Ostdeutschland neu aufgerollt.

9. September 2000: In Nürnberg wird ein türkischer Blumenhändler erschossen.

Bis April 2006 folgen weitere Morde an acht Türken und einem Griechen, immer mit derselben Waffe und nach dem gleichen Muster. Die Taten werden der Öffentlichkeit als sogenannte "Döner-Morde" bekannt. Die blutige Spur zieht sich quer durch Deutschland: Zwei weitere Morde ereignen sich in Nürnberg (2001, 2005), zwei in München (2001, 2005), jeweils ein Mord geschieht in Kassel (2006), Hamburg (2001), Rostock (2004) und Dortmund (2006). Auf der Propaganda-DVD brüstet sich die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" mit den Taten.

Januar 2001: In der Kölner Innenstadt wird eine 19-jährige Deutsch-Iranerin bei einem Anschlag auf das Kölner Lebensmittelgeschäft ihrer Eltern schwer verletzt. Eine Auswertung der Propganda-DVD durch die nordrhein-westfälischen Behörden im November 2011, legt nahe, dass der NSU für die Tat verantwortlich ist.

9. Juni 2004: Bei einem Anschlag in Köln werden 22 Menschen verletzt, fast alles Türken. Die Täter brachten eine mit Nägeln präparierte Bombe zur Explosion. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos für die Tat verantwortlich waren.

Jagd auf das "Phantom von Heilbronn"

25. April 2007: In Heilbronn wird eine 22 Jahre alte Polizistin erschossen. Ihr Kollege überlebt schwer verletzt. Am Dienstwagen wird die DNA-Spur einer Unbekannten sichergestellt.

2007 bis 2009: Die Ermittler jagen ein Phantom. Gen-Spuren einer angeblichen "Frau ohne Gesicht" werden bei mehr als 35 Straftaten gefunden - darunter Morde und Einbrüche.

27. März 2009: Die Staatsanwaltschaft Heilbronn gibt bekannt, dass die Gen-Spuren der "Frau ohne Gesicht" bereits beim Verpacken auf die Wattestäbchen der Ermittler gelangt sind.

November 2011: Der NSU fliegt auf

1. November 2011: In Döbeln bei Leipzig wird ein Dönerbuden-Betreiber erschossen. Der Täter kann fliehen. Medien spekulieren über einen "Auftragsmord" aus der "Auto-Mafia". Ermittler prüfen einen Zusammenhang mit den Neonazi-Terroristen aus Zwickau.

4. November: Nach einem Banküberfall in Eisenach (Thüringen) werden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot in ihrem ausgebrannten Wohnmobil in einem Vorort von Eisenach gefunden. Angeblich erschoss Mundlos zunächst seinen Komplizen, setzte dann das Wohnmobil in Brand und erschoss sich dann selbst. In Zwickau (Sachsen) geht die Wohnung, in der die beiden mutmaßlichen Bankräuber mit Beate Zschäpe gelebt hatten, in Flammen auf und wird komplett zerstört.

7. November: Das Landeskriminalamt teilt mit, dass die Dienstpistolen der Heilbronner Polizistin und ihres Kollegen in dem ausgebrannten Wohnmobil entdeckt wurden.

8. November: Beate Zschäpe stellt sich der Polizei in Jena und wird festgenommen. Sie soll nach Polizeiangaben mehrere Alias-Namen benutzen.

11. November: Die Bundesanwaltschaft gibt bekannt, dass sie Verbindungen zwischen dem Polizistenmord von Heilbronn und der Mordserie an Migranten sieht. In der Wohnung der mutmaßlichen Rechtsterroristen werden zahlreiche Hinweise auf die Taten gefunden.

13. November: Ein weiterer Verdächtiger wird in Niedersachen festgenommen. Holger G. wird verdächtigt, Mitglied der NSU-Zelle zu sein oder die Terrorgruppe zumindest unterstützt zu haben. Zudem verdichten sich die Hinweise, dass die Neonazi-Terrorgruppe auch für einen Sprengstoffanschlag am 9. Juni 2004 in Köln verantwortlich ist. An diesem Tag waren in der von vielen Türken bewohnten Keupstraße in Köln 22 Menschen durch eine Nagelbombe verletzt worden. Zu diesem Anschlag gibt es sehr deutliche Hinweise auf der DVD der NSU-Terrorgruppe.

14. November: Holger G. wird dem Ermittlungsrichter vorgeführt. Gegen den Neonazi wird Haftbefehl erlassen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Laut Bundesanwaltschaft soll er der NSU-Zelle seinen Führerschein und seinen Reisepass überlassen haben.

15. November: Die rechtsextremistische Terrorzelle soll nach Informationen des ARD-Magazins "Fakt" einen weiteren Helfer gehabt haben. Matthias D. aus Johanngeorgenstadt soll demnach der Mieter der beiden Zwickauer Wohnungen sein, in denen das Terror-Trio lebte.

Bei einer Sitzung des Geheimdienstausschusses des Bundestags wird bekannt, dass ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes an einem Tatort der Mordserie an Migranten war. Der Mann sei inzwischen suspendiert und arbeite bei einer Bezirksregierung in Hessen, sagte der Vorsitzende des Ausschusses, Thomas Oppermann.

16. November: Der niedersächsische Verfassungsschutz sowie das Innenministerium räumen ein, in der Vergangenheit schwere Fehler begangen zu haben: Holger G. sei bereits 1999 in Niedersachsen auf Bitten aus Thüringen observiert worden, sagte Verfassungsschutzpräsident Wargel. Der Verdacht sei damals gewesen, dass G. dem untergetauchten Terror-Trio ein Quartier im Ausland vermitteln wollte. Diese Erkenntnisse seien in Niedersachsen nicht gespeichert und Holger G. später lediglich als Mitläufer eingestuft worden.

Thüringens Innenminister Geibert erklärt, bei den Durchsuchungen bei Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe 1998 sei einiges schiefgelaufen. Weder habe die Staatsanwaltschaft Gera einen Haftbefehl ausgestellt noch habe die Polizei die Verdächtigen nicht vorläufig festgenommen. Der Präsident des Landes-Verfassungsschutzes, Sippel, schließt nicht aus, dass der damalige Behördenchef Roewer Quellen geführt habe, die das Amt nicht kannte.

17. November: In der NPD sind nach einem Medienbericht weiterhin bis zu 100 V-Leute des Verfassungsschutzes aktiv. Die Zahl liege "im oberen zweistelligen Bereich" und damit noch höher als 2003, als bis zu 15 Prozent der Mitglieder in Landes- und Bundesvorständen der Nationaldemokraten für den Staat spitzelten, berichtet der "Kölner Stadt-Anzeiger" unter Berufung auf Berliner Sicherheitskreise. Die Zahl sei in führenden Koalitionskreisen bestätigt worden.

18. November: Ein Krisengipfel aus Bund und Ländern beschließt den Aufbau einer zentralen Datei für Ermittlungen gegen rechtsextreme Gewalttäter. Außerdem soll ein "Abwehrzentrum Rechts" gegründet werden, an dem das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt beteiligt sind. Auch ein NPD-Verbot ist wieder im Gespräch.

Laut Generalbundesanwalt Range war die Zwickauer Terrorzelle möglicherweise größer als bislang bekannt. Zusätzlich zu den beiden bereits in Untersuchungshaft sitzenden Verdächtigen Holger G. und Beate Zschäpe gebe es zwei weitere Beschuldigte. Sie sollen das Trio unterstützt haben.

21. November: Bei den Ermittlungen zur Neonazi-Mordserie haben die Behörden mittlerweile rund ein Dutzend Verdächtige und Beschuldigte im Visier. Zudem heißt es nun, die aus Thüringen stammende Polizistin Michele Kiesewetter sei offenbar doch gezielt von den Neonazis erschossen worden. In Kiesewetters Heimatort hatten Neonazis einen Gasthof gemietet. Die Familie der Polizistin bestreitet, dass es Kontakte zu Neonazis gegeben habe.

24. November: Ein weiterer mutmaßlicher NSU-Unterstützer wird verhaftet: André E. aus Zwickau. Er soll den Propagandafilm der Rechtsterroristen produziert haben. Laut Bundesanwaltschaft stand André E. "seit 2003 in engem Kontakt mit den Mitgliedern des NSU". E.s Bruder ist ebenfalls in der Neonazi-Szene aktiv, unter anderem bei der NPD-Jugendorganisation.

Bundespräsident Christian Wulff teilt mit, es werde für die Opfer der Neonazis im Februar eine offizielle Trauerfeier geben.

29. November: Der Neonazi Ralf Wohlleben kommt in Untersuchungshaft. Die Vorwürfe gegen den Ex-NPD-Funktionär sind umfangreich: Der 36-Jährige soll bei sechs Morden und einem versuchten Mord Beihilfe geleistet und den drei Haupttätern bei der Flucht geholfen haben. Wohlleben tauchte über Jahre immer wieder im Verfassungsschutzbericht Thüringens auf. Er war hochrangiger NPD-Funktionär, Kandidat bei mehreren Wahlen, Anmelder von Demonstrationen, Organisator von Rechtsrock-Festivals, Betreiber von Neonazi-"Weltnetzseiten", Mitglied im "Thüringer Heimatschutz" und ist vorbestraft.

Dezember 2011: BKA bittet um Hilfe

01. Dezember: Bundesanwaltschaft und BKA bitten die Bevölkerung um Hinweise auf die rechtsextreme Terrorzelle. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz BKA-Chef Jörg Ziercke ein Plakat, das bundesweit ausgehängt werden soll. Die Ermittler hatten sich zu diesem ungewöhnlichen Schritt entschieden, da bislang nach Angaben Zierckes nur etwa 250 Hinweise eingegangen sind. Gesucht würden Zeugen, die die Verdächtigen auf Park- oder Campingplätzen gesehen haben oder Angaben über ihren Wohnort machen können.

Die mutmaßlichen Täter hätten nicht nur im Verborgenen gelebt, sondern auch "am normalen Leben teilgenommen". So hätten sie sich auf Campingplätzen an der Ostsee aufgehalten, mehrere Fahrzeuge und auch Fahrräder angemietet.

03. Dezember: Möglicherweise war der NSU auch an einer Brandserie im Saarland beteiligt. Laut Medienberichten wurden zwischen dem 3. September 2006 und 3. September 2011 in Völklingen Häuser, in denen Italiener, Afrikaner, vor allem aber Türken lebten, angezündet. Bei den elf Bränden habe es mindestens 20 Verletzte gegeben, darunter Kinder.

11. Dezember: Die Bundesanwaltschaft lässt in Sachsen Wohnungen durchsuchen und einen 36-Jährigen festnehmen. Der Neonazi Matthias D. soll den Rechtsterroristen Unterschlupf gewährt haben und kommt in Untersuchungshaft. Es gebe weitere mögliche Unterstützer, teilte die Bundesanwaltschaft mit. In Medien wird vor allem über die Rolle von Mandy S. aus Sachsen spekuliert. Aber auch der Thüringer Neonazi Thomas G. wird immer wieder genannt.

14. Dezember: Im Zuge der öffentlichen Fahndung nach der Neonazi-Mordserie sind nach Angaben von Generalbundesanwalt Harald Range bislang 560 Hinweise aus der Bevölkerung bei den Behörden eingegangen. Range äußerte sich zugleich "sehr zuversichtlich", dass die der Zwickauer Terrorzelle zur Last gelegten Verbrechen aufgeklärt werden können. Bei den Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Neonazi-Terroristen setzt die Bundesanwaltschaft auf die Auswertung einer Festplatte mit zwei älteren Bekennervideos.

Rainer Griesbaum, Leiter der Terrorismusabteilung und Ranges Stellvertreter, erhofft sich Fahndungsfortschritte von der Computerfestplatte, die in dem ausgebrannten Haus der Gruppe gefunden und deren Dateien rekonstruiert werden konnten. Die gesicherten Versionen eines Bekennervideos ließen darauf schließen, dass das Trio spätestens seit 2001 den Namen "Nationalsozialistischer Untergrund" verwendet habe. Es seien 270 Gigabyte an Daten sichergestellt worden, so Griesbaum.

15. Dezember: Die Bundesländer kündigen gemeinsam ein zügiges Verbotsverfahren gegen die NPD an. Dies beschlossen die 16 Ministerpräsidenten einstimmig auf ihrer Konferenz in Berlin. Bis Ende März sollen die Innenminister Fakten und Beweise für einen neuen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht zusammentragen.

16. Dezember: Bei den Ermittlungen zum Umfeld der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) führen neue Spuren offenbar in die militante Neonaziszene in Südwestdeutschland. Nach Informationen der "Frankfurter Rundschau" ist der Ludwigshafener Neonazi Malte R. ins Visier der Ermittler gerückt. Laut Dokumenten, die dem Blatt vorliegen, gilt Malte R. den Behörden als verdächtig, den Brand in einem Ludwigshafener Wohnhaus gelegt zu haben, bei dem am 3. Februar 2008 neun türkischstämmige Bewohner ums Leben gekommen waren. Das Feuer hatte international Aufsehen erregt, weil die Behörden eine Brandstiftung mit rassistischem Hintergrund relativ schnell ausgeschlossen hatten. Die Ursache des Feuers ist bis heute ungeklärt.

18. Dezember: Die "Berliner Zeitung" berichtet, nach dem Abtauchen des Thüringer Neonazi-Trios im Februar 1998 soll der Verfassungsschutz Thüringen einzelne Fahndungsmaßnahmen der Polizei sabotiert haben. Das Blatt beruft sich dabei auf Sicherheitskreise und berichtet, der Verfassungsschutz habe den Neonazi-Kader und NPD-Funktionär Tino Brandt über Observationsmaßnahmen der Polizei laufend unterrichtet. Dem Neonazi sei unter anderem mitgeteilt worden, dass die Polizei ihn aus einer angemieteten Wohnung in der Nähe seines Rudolstädter Hauses heraus überwache.

30. Dezember: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte eine Neuregelung für den Einsatz von Informanten des Verfassungsschutzes. "Wenn es schon V-Leute gibt, muss klar sein, was sie dürfen und was nicht", sagte sie der "Welt am Sonntag". Es könne nicht sein, dass V-Leute Straftaten begingen und dass Informanten staatliche Mittel zur Stabilisierung der NPD einsetzten. Es sei "unerträglich, dass sie bislang in einer rechtlichen Grauzone operieren", sagte die FDP-Politikerin. Gleichzeitig stellte sie den Einsatz staatlicher Informanten in der rechtsextremistischen Szene grundsätzlich in Frage: "Ich habe meine Zweifel, was den Mehrwert angeht. Das bestehende V-Mann-System jedenfalls kann keine Zukunft haben."

31. Dezember: Der Verfassungsschutz war angeblich noch weit besser über die Rechtsterroristen im Untergrund informiert, als bislang bekannt. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtete, bereits im Frühjahr 1999 hätten die Beamten verlässliche Hinweise vorliegen gehabt, wonach sich die gesuchten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Raum Chemnitz aufgehalten hätten. Die Verfassungsschützer sollen außerdem gewusst haben, dass das Trio bewaffnete Überfälle plante. Das Magazin beruft sich dabei auf einen Untersuchungsbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz, den der Geheimdienst für die Bundesregierung erstellt habe. Dem Geheimbericht zufolge war der Verfassungsschutz den Neonazis mehrmals auf der Spur, versäumte es aber zuzugreifen.

Januar 2012: Ex-NPD-Funktionär Wohlleben schwer belastet

07. Januar: Der als mutmaßlicher Helfer der Zwickauer Terrorzelle verhaftete Holger G. soll den Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben in einer umfassenden Aussage schwer belastet haben. Gegenüber Ermittlern habe er unter anderem angegeben, dem Neonazi-Trio auf Anweisung Wohllebens vor rund zehn Jahren einen Reisepass und eine Waffe verschafft zu haben, berichtete "Der Spiegel". Zudem habe er Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos kurz nach ihrem Abtauchen 1998 insgesamt 3000 D-Mark zur Verfügung gestellt.

Nach längerem Zögern will die SPD-Fraktion im Bundestag nun wohl doch einem Antrag der Grünen zustimmen, nach dem ein Untersuchungsausschuss zu den Ermittlungspannen gegen die Rechtsterroristen eingesetzt wird.

Das Landeskriminalamt NRW prüft derweil, ob die Nazi-Terroristen für einen weiteren Anschlag verantwortlich sind. Laut einem Zeitungsbericht gibt es Hinweise auf Verbindungen zu einem Attentat in Duisburg. Es geht um einen Mordversuch vom 15. Dezember 2003. Das Opfer, ein türkischstämmiger Gastwirt, hatte den Anschlag nur durch einen Zufall überlebt. Der Anschlag wurde mit einem ferngesteuerten Schussapparat durchgeführt. Ein Apparat ähnlicher Bauart wurde in der abgebrannten Wohnung der Verdächtigen Beate Zschäpe in Zwickau gefunden.

08. Januar: Der Thüringer Linksfraktionschef Bodo Ramelow erhebt schwere Vorwürfe gegen den Landes-Verfassungsschutz erhoben. Demnach wurden wichtige Informationen als geheim eingestuft, damit der Polizei vorenthalten und so möglicherweise eine Verhaftung verhindert. Konkret geht es um Vorgänge im Winter 1997/1998. Nach Informationen des MDR wurden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im November und Dezember 1997 durch den Thüringer Verfassungsschutz observiert. Die Beamten beobachteten dabei unter anderem, wie die Beiden in Baumärkten verschiedene Gegenstände für den Bau einer Bombe kauften, zum Beispiel Brennspiritus und Gummiringe. Die Einkäufe brachten die Männer in eine Garage des Trios in Jena. Der Verfassungsschutz bestätigte eine Observation der beiden Männer.

09. Januar: Der Thüringer Verfassungsschutz hat eine Observation der Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bestätigt, bei der sie offenbar Bauteile für einen Bombenbau beschafft hatten. Nach MDR-Informationen soll die Beobachtung im Zeitraum von November bis Dezember 1997 stattgefunden haben.

13. Januar: Zur Aufarbeitung der Ermittlungspannen rund um die Neonazi-Morde wird es nach längeren Debatten doch einen Bundestags-Untersuchungsausschuss geben. Dies teilte Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier mit. Am 26. Januar stimmten alle Bundestagsfraktionen der Einrichtung des U-Ausschusses unter Vorsitz des SPD-Innenexperten Sebastian Edathy zu.

18. Januar: Die Bundesregierung beschließt den Aufbau einer neuen Datei mit gesammelten Informationen über Rechtsextreme. In der so genannten Verbunddatei sollen die Informationen des Verfassungsschutzes, der Polizei und des militärischen Abschirmdienstes zusammengefasst werden. Die neue Datei soll, wie die bereits bestehende Anti-Terror-Datei mit Informationen über Islamisten, alle Erkenntnisse über die gewaltbereite rechte Szene bündeln.

21. Januar: Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" soll Beate Zschäpe die Finanzen des NSU verwaltet haben. Zu diesem Schluss komme die ermittelnde Kommission "Trio" durch die Auswertung von Quittungen und Bankbelegen. Die Ermittler verfügen über rund 5000 potenzielle Beweismittel, die derzeit ausgewertet werden. Darunter sind auch Quittungen und Bankbelege. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen, so die "Süddeutsche Zeitung", habe Zschäpe unter verschiedenen Aliasnamen Bares auf unterschiedliche Konten eingezahlt. Es gebe keinen Hinweis, dass Bönhardt oder Mundlos je Geld einzahlten oder abholten.

Beate Zschäpe, mutmaßliches Mitglied der rechtsextremen Gruppe NSU

Beate Zschäpe, mutmaßliches Mitglied der rechtsextremen Terrorgruppe NSU

24. Januar: Als Reaktion auf die Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" will das Jugendministerium Erfahrungen beim Kampf gegen den Rechtsextremismus bündeln und bundesweit zugänglich machen. Dazu solle ein bundesweites "Informations- und Kompetenzzentrum" gegen Rechtsextremismus eingerichtet werden, sagte Ministerin Kristina Schröder (CDU) in Berlin nach einem Spitzentreffen gegen Rechtsextremismus. Im Kampf gegen rechts gebe es kein Kompetenzdefizit, aber einen Mangel an Transfer von Wissen, das in einzelnen Projekten gewonnen worden sei, sagte Schröder. Über die konkrete Umsetzung wird erst einmal wenig bekannt, in einer Antwort auf eine SPD-Anfrage hin äußert sich das Familienministerium im März ausweichend.

26. Januar: Auch in Thüringen wird es einen Untersuchungsausschuss zum NSU-Terror geben. Das von allen Fraktionen getragene Gremium soll Fehlverhalten der Thüringer Sicherheits- und Justizbehörden bei der Überwachung und Verfolgung des Terror-Trios aufarbeiten.

30. Januar: Erste NSU-Opfer erhalten eine Entschädigung zwischen 5000 und 10.000 Euro. Es lägen sehr viele entsprechende Anträge vor, zudem hätten Opfer schon Geld erhalten, teilte eine Sprecherin von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in Berlin mit. Es gehe nicht um eine Entschädigung im klassischen Sinne, sondern um eine Pauschale, mit der unbürokratisch Hilfe geleistet werde. Darüber hinaus könne es weitere Zahlungen geben. Zur Zahl der entschädigten NSU-Opfer wollte die Sprecherin keine Angaben machen.

Februar 2012: Mutmaßlicher Terrorhelfer auch in Düsseldorf

1. Februar: In Düsseldorf wird der mutmaßliche NSU-Unterstützer Carsten S. festgenommen, wenig später kommt er in Untersuchungshaft. S. lebte nach WDR.de-Informationen offen schwul, unter anderem engagierte er sich im Team des schwul-lesbischen Jugendzentrums Puls. Seine rechte Vergangenheit soll er bereut und auf Nachfrage offen darüber gesprochen haben. Der von ihm geschilderte Bruch mit der rechten Szene sei nach Einschätzung von Kollegen glaubhaft gewesen. Die Bundesanwaltschaft sieht das anders: Nach bisherigen Erkenntnissen habe Carsten S. bis 2003 Kontakte in rechtsradikale Kreise gehalten. Mit den drei Mitgliedern des NSU, Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, soll er in enger Verbindung gestanden haben. Zeitweilig soll er sogar der einzige aus dem rechtsextremistischen Umfeld der Gruppe gewesen sein, der unmittelbaren Kontakt zu ihr hatte.

Gemeinsam mit dem bereits inhaftierten Ralf Wohlleben habe er dem NSU 2001 oder 2002 eine Schusswaffe nebst Munition in Jena besorgt. Der Vorwurf der Bundesstaatsanwaltschaft lautet Beihilfe zum Mord. S. habe durch den Kauf der Waffe und die Weitergabe an die Terror-Gruppe billigend in Kauf genommen, dass die Schusswaffe für rechtsextremistische Morde verwendet werden könne. Unklar sei bislang noch, ob die Waffe tatsächlich zum Einsatz kam. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, S. sei früher Funktionär der NPD gewesen.

08. Februar: Eine Bund-Länder-Kommission soll helfen, die Neonazi-Morde aufzuklären und die Rolle der Verfassungsschützer zu beleuchten. Das hat das Kabinett beschlossen. Unklar ist noch, was genau die Aufgabe des vierköpfigen Gremiums ist. Und, ob die Kommission überhaupt gebraucht wird. "Diese Expertenkommission hat eine Bündelungs-, Analyse- und Bewertungsfunktion", so Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Die Opposition kritisiert, das Gremium sei überflüssig.

12. Februar: Als "absurde Spekulation" weist BKA-Chef Ziercke den Vorwurf zurück, seine Behörde habe bei Ermittlungen gegen die Rechtsterroristen der NSU Beweise vernichten lassen. Die Bundespolizei sei lediglich gebeten worden, die Kopie eines Datensatzes zu löschen. Dies sei ein normales Verfahren.

16. Februar: Der U-Ausschuss in Thüringen konstituiert sich. Das Gremium beschließt, Beate Zschäpe als Zeugin befragen zu wollen. In den folgenden Monaten deckt der Ausschuss zahlreiche Skandale rund um den NSU auf.

20. Februar: Die Staatsanwaltschaft Osnabrück erhebt Anklage wegen Volksverhetzung gegen den Produzenten und Sänger der rechtsextremen Band "Gigi & Die braunen Stadtmusikanten". Der 42-jährige Daniel G. aus Meppen soll in dem Lied "Döner-Killer" die NSU-Mordserie gutgeheißen haben. Die Anklage sei zum Amtsgericht Meppen gegangen, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Die CD erschien bereits 2010, also lange bevor die rassistische Mordserie bekannt wurde. tagesschau.de hatte über das Lied exklusiv berichtet.

23. Februar: Trauerfeier für die NSU-Opfer in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel betont, viele Angehörige seien über Jahre hinweg selbst im Visier der Sicherheitsbehörden gewesen. "Diese Jahre müssen für Sie ein Alptraum gewesen seien", sagte Merkel. "Das ist besonders beklemmend, dafür bitte ich Sie um Verzeihung."

Semiya Simsek und Gamze Kubasik verloren ihren Vater durch die Morde der Terroristen. Simsek erinnerte sich in ihrer Rede an die Zeit mit ihrem Vater und dann, wie schwer die Zeit nach seinem Tod für sie und ihre Mutter gewesen sei. "In Ruhe Abschied nehmen und trauern konnten wir nicht", sagte Simsek zu den Verdächtigungen der Behörden gegen ihre Mutter und ihren toten Vater.

24. Februar: Carsten S. gesteht, dass er die wichtigste Tatwaffe für den NSU geliefert hat. S. war von Herbst 1998 bis Sommer 2000 Kontaktperson zwischen den untergetauchten Mitgliedern der Terrorzelle und dem ehemaligen NPD-Funktionär Ralf Wohlleben - der ebenfalls als mutmaßlicher Helfer der Gruppe in Untersuchungshaft sitzt. Zwischen Herbst 1999 und Sommer 2000 habe er den Untergetauchten die Waffe geliefert. "Hierbei handelt es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um besagte Ceska 83, welche wohl bei den später begangenen Tötungsdelikten zum Einsatz kam", teilte der Verteidiger von S. mit. Er erklärte, Carsten S. habe aber keine Kenntnis davon gehabt, dass die Neonazis Straftaten geplant oder bereits begangen habe.

März 2012: U-Ausschuss auch in Sachsen / NPD unter Druck

01. März: Der Bundestag war erneut Schauplatz einer ganz großen Koalition. Nicht nur bei den Rettungspaketen für Griechenland kann die Bundesregierung auf Unterstützung der Opposition zählen. Auch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus tragen SPD und Grüne mit - die Linkspartei allerdings verweigert sich den Maßnahmen, mit denen die Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden verbessert werden soll. Ihre Innenexpertin Ulla Jelpke hält die geplante Verbunddatei sogar für einen Skandal: "Ausgerechnet jene Sicherheitsdienste sollen jetzt zu allererst gestärkt werden, die so versagt und in einigen Fällen offenbar sogar mit der Nazi-Szene gekungelt haben. Sie sollen künftig noch mehr im Geheimen arbeiten dürfen".

07. März: Auch in Sachsen wird ein Untersuchungsausschuss auf den Weg gebracht - nach heftigen Kontroversen. Beantragt hatten den Ausschuss die Oppositionsfraktionen Linke, Grüne und SPD. Die Abgeordneten der Regierungsparteien CDU und FDP enthielten sich der Stimme, ebenso die Abgeordneten der rechtsextremen NPD. Das Gremium soll bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2014 mögliche Fehler von Landesregierung und Behörden bei den Ermittlungen zur Terrorzelle untersuchen.

12. März: Erneut gerät die NPD öffentlich unter Druck: Nach ARD-Recherchen waren die Kontakte zwischen Partei und NSU bzw. Unterstützer enger als bisher bekannt. Demnach hatte der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende und Thüringer Landeschef Frank Schwerdt über Jahre enge Kontakte zu mehreren mutmaßlichen Mitgliedern und Helfern der NSU. In einem Interview räumte Schwerdt ein, dass Uwe Mundlos Ende der 1990er-Jahre mindestens ein Mal als Fahrer für ihn tätig war. Auf einem der ARD vorliegenden Foto vom 17. Januar 1998 ist er außerdem mit der mutmaßlichen NSU-Terroristin Beate Zschäpe bei einer Demonstration in Erfurt zu sehen. Nur zehn Tage später tauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in den Untergrund ab.

20. März: Die drei mutmaßlichen Mitglieder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" hatten nach Recherchen des MDR offenbar mehr Unterstützer als bisher bekannt. Zwei Brüder aus Chemnitz sollen dem Trio demnach unter anderem direkt nach dem Untertauchen geholfen haben, eine Unterkunft zu finden. Einer der beiden Brüder steht außerdem in Verdacht, dem Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt einen Reisepass beschafft zu haben. Wenige Tage später werden weitere Spuren in die sächsische Neonazi-Szene deutlich, der MDR berichtet über den Rechtsextremisten Jan W. den gesuchten Rechtsterroristen geholfen haben.

26. März: Die Bundesregierung hat bisher knapp eine halbe Million Euro Entschädigung an Angehörige der von dem NSU getöteten Opfer sowie an die Überlebenden von zwei ebenfalls mit der NSU in Verbindung gebrachten Bombenanschläge gezahlt.

28. März: Wie das Antifaschistische Pressearchiv berichtet, gab es bereits 2002 Verbindungen zwischen dem NSU und der Neonazi-Szene in Mecklenburg-Vorpommern. "Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen. Der Kampf geht weiter." So steht es - fett und deutlich hervorgehoben - mitten im Vorwort der Ausgabe 1/2002 (Nr. 18) des neonazistischen Fanzines "Der Weisse Wolf", wie das Antifaschistische Pressearchiv (apabiz) berichtet. Der kurze Satz erschien bereits in der ersten Jahreshälfte 2002, als die Öffentlichkeit noch nichts von der Terrorzelle des "Nationalsozialistischen Untergrundes" ahnte, diese aber bereits mitten in ihrer Serie von Terror und Morden steckte. Die Buchstaben "NSU" seien jedenfalls kein bekanntes Kürzel in der Szene. "Der Hinweis im "Weissen Wolf" ist die erste uns bekannte Verwendung in Veröffentlichungen der Neonazi-Szene oder in derem Kontext", betonen die Autoren des apabiz auf ihrem Blog NSU-Watch.

Brisant für die NPD: Der heutige Abgeordnete der Partei im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, David Petereit, war eine zentrale Figur des "Weissen Wolf".

April 2012: Böhnhardts Eltern äußern sich

17. April: Der NSU-Untersuchungsausschuss in Sachsen tritt erstmals zusammen. Das Gremium soll klären, ob die Behörden Fehler bei den Ermittlungen gemacht haben. Im Vorfeld gab es bereits Streitigkeiten.

18. April: Die Bundesländer wollen noch dieses Jahr ein NPD-Verbotsverfahren einleiten. Bis dahin müsste laut Sachsens Ministerpräsident Tillich belastendes Material gesammelt werden. Er sei zuversichtlich, was den Erfolg des Verfahrens angeht. Politiker der Bundesregierung äußerten sich zurückhaltend.

18. April: Erstmals äußern sich die Eltern des Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt in einem Interview mit dem ARD-Magazin "Panorama". Bevor der Kontakt 2002 abriss, hatte der Sohn sich laut den Eltern noch stellen wollen. Gestellt hat sich niemand. Stattdessen begann das Morden. Seinen Eltern erzählte Uwe Böhnhardt davon offenbar lieber nichts. Sie blieben arglos, trotz weiterer Treffen. Bei einem Treffen 2002 kündigen die drei an, dass dies die letzte Zusammenkunft sein werde. 

26. April: Erneute Razzia gegen die rechtsextreme Szene: In Hessen, Sachsen und Thüringen lässt die Bundesanwaltschaft Wohnungen durchsuchen, um die Herkunft der Waffen des NSU zu klären. In Sachsen wurde die Wohnung einer seit längerem als mögliche Unterstützerin des NSU beschuldigten Frau durchsucht. Die Rechtsterroristen Uwe Bönhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hatten jahrelang in Sachsen gelebt. Sie sollen speziell im Erzgebirge Helfer gehabt haben. Die Spuren führen ins Umfeld der Neonazi-Skinhead-Bewegung "Blood & Honour".

Mai 2012: Schäfer-Bericht wird vorgelegt

14. Mai: Der MDR berichtet, die NSU-Mitglieder hätten sich offenbar nach ihrem Untertauchen im Januar 1998 noch wochenlang in Jena aufgehalten. Darauf deuteten Ermittlungsakten hin. Demnach wurde das Trio vom damaligen NPD-Funktionär Wohlleben und dessen damaliger Freundin unterstützt. Die Fahnder gehen laut MDR davon aus, dass die drei in den ersten Wochen bei Wohlleben Unterschlupf gefunden haben könnten.

15. Mai: Der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer legt seinen Bericht zur Arbeit der Sicherheitsbehörden in Thüringen vor. Bei der Vorstellung des Abschlussberichts am Dienstag in Erfurt bemängelten Schäfer und Geibert insbesondere Mängel beim Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz, Polizei und Justiz. Diese hätten nicht so professionell zusammengearbeitet, wie es zu erwarten gewesen sei, sagte Geibert. Es habe sowohl an der notwendigen Abstimmung zwischen Behörden und Justiz als auch an der Auswertung, der Informationsweitergabe, der Dokumentation sowie der Kontrolle gemangelt. Mitunter hätten beinahe chaotische Zustände geherrscht.

Der Bericht entkräfte aber zugleich Spekulationen, wonach die mutmaßlichen Bombenbauer und Terroristen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe staatlich gedeckt worden seien. Sie hätten auch nicht als V-Leute gearbeitet. Später wurde allerdings bekannt, dass der Schäfer-Kommission nicht alle Akten vorgelegt wurden.

24. Mai: Bei den Ermittlungen zu möglichen Fahndungsfehlern bei der NSU-Mordserie weist der frühere bayerische Innenminister Günther Beckstein Kritik zurück. Er könne keine Versäumnisse erkennen, sagte Beckstein bei seiner Befragung vor dem Untersuchungsausschuss im Bundestag in Berlin. Es habe aber eben keine heiße Spur gegeben, betonte er. Die rechtsextreme Zelle NSU sei "höchst konspirativ" gewesen.

25. Mai: Der Bundesgerichtshof hebt auch den Haftbefehl gegen Holger G. auf. Es gebe keinen dringenden Tatverdacht, dass er die Neonazi-Zelle "Nationalsozialistischer Untergrund" unterstützt habe, entschied der Strafsenat. In dem Haftbefehl war Holger G. unter anderem vorgeworfen worden, der Neonazi-Zelle eine Pistole besorgt zu haben.

Holger G. soll den Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben in einer umfassenden Aussage schwer belastet haben. Gegenüber Ermittlern habe er unter anderem angegeben, dem Neonazi-Trio auf Anweisung Wohllebens vor rund zehn Jahren einen Reisepass und eine Waffe verschafft zu haben, berichteten Medien. Zudem habe er Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos kurz nach ihrem Abtauchen 1998 insgesamt 3000 D-Mark zur Verfügung gestellt.

29. Mai: Die Bundesanwaltschaft ordnet die Freilassung von zwei weiteren mutmaßlichen Unterstützern der Neonazi-Zelle NSU an. Die Haftbefehle gegen Carsten S. und Matthias D. seien aufgehoben worden, teilte die Anklagebehörde in Karlsruhe mit. Carsten S. habe ein umfangreiches Geständnis abgelegt und es gebe keine Fluchtgefahr. Bei Matthias D. hätten sich die Verdachtsmomente als nicht stichhaltig genug erwiesen.

Carsten S. wird verdächtigt, der NSU gemeinsam mit einem weiteren Beschuldigten im Jahr 1999 oder 2000 die Waffe für die Morde an neun Geschäftsleuten ausländischer Herkunft geliefert zu haben. Mathias D. soll zwei Wohnungen für die NSU gemietet haben.

31. Mai: Das Bundeskriminalamt erhebt gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe umfassendere Vorwürfe als bislang bekannt. Laut NDR Info machen die Ermittler sie auch dafür verantwortlich, das Bekennervideo der NSU-Gruppe miterstellt zu haben.

Juni 2012: Aktenschredderei beim Inlandsgeheimdienst

14. Juni: Der Bundesgerichtshof (BGH) hebt im NSU-Verfahren einen weiteren Haftbefehl auf. Der Beschuldigte André E., der an der Produktion des Bekennervideos mitgearbeitet haben soll, ist wieder frei. Er sei nicht dringend tatverdächtig, entschieden die Richter in Karlsruhe.

Die Staatsanwaltschaft hatte argumentiert, dass E. als einziger der Verdächtigen das nötige Wissen habe, ein Bekennervideo zu produzieren. Schließlich verfüge er als Fachinformatiker über besondere Kenntnisse der Datenverarbeitung. Dieser Argumentation folgte der Bundesgerichtshof nicht. Der Film sei so geschnitten, dass auch "ein interessierter Laie hierzu in der Lage gewesen wäre", heißt es in der Begründung.

28. Juni: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat bei den Ermittlungen zur NSU-Terrorserie Akten vernichtet, nachdem das Neonazi-Trio aufgeflogen war. "Sie sind aufgefordert worden, Akten zu suchen, sie haben Akten gefunden und sie haben die Akten vernichtet", sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy. Die Ermittler sollten demnach am 11. November 2011 Akten zur sogenannten "Operation Rennsteig" für die Arbeit der Bundesanwaltschaft zusammenstellen, stattdessen seien am selben Tag Akten vernichtet worden. Bei der "Operation Rennsteig" handelte es sich um eine Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit der rechtsextremen Gruppe "Thüringer Heimatschutz", aus der der NSU hervorgegangen ist.

Der CDU/CSU-Obmann Clemens Binninger hielt die Begründung des Verfassungsschutzes für die Aktenvernichtung für nicht glaubwürdig. Die Behörde habe erklärt, bei der Suche nach Beweismitteln zu den NSU-Terroristen sei aufgefallen, dass die Speicherfristen für die fraglichen Dokumente abgelaufen seien. Binninger betonte: "Ich halte diese Begründung für wenig überzeugend, für wenig plausibel, weil man in so einem Fall natürlich die Amtsleitung fragen müsste".

Juli 2012: Personal-Karussell beim Verfassungsschutz

2. Juli: Der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, gibt sein Amt vorzeitig ab. Der 63-Jährige werde auf eigenen Antrag hin zum 31. Juli in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, teilte das Bundesinnenministerium mit. Innenminister Hans-Peter Friedrich habe die Entscheidung "mit Respekt" zur Kenntnis genommen, hieß es. Fromm zieht damit die Konsequenzen aus den Ermittlungsfehlern seiner Behörde gegen die Terrorzelle NSU.

3. Juli: Die Abgeordneten im NSU-U-Ausschuss des Bundestags sind einmal mehr fassungslos: Beim Kölner Nagelbombenanschlag wurden im Jahr 2004 insgesamt 30 Menschen verletzt. Ermittler sprachen damals klar von Rassismus als möglichem Tatmotiv. CDU-Obmann Clemens Binninger sagte nach der Befragung der beiden Leiter der damaligen Ermittlungskommissionen, die Vernehmungen hätten gezeigt, dass die beiden Sprengstoffanschläge das Potential für eine heiße Spur hatten. "Es ist eine besondere Tragik in den Ermittlungen, dass es zweimal nicht gelungen ist, diese heiße Spur aufzunehmen, die unweigerlich zum Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe geführt hätte", meinte Binninger.

Denn neben dem Video lag den Kölner Ermittlern unter anderem auch die Arbeit von Profilern vor, also Experten von LKA und BKA, die in einer sogenannten Fallanalyse versuchen, Täter und ihre Motive zu beschreiben. "Wir hatten in Köln die deutlichste Fallanalyse, die wir in den Akten haben", sagt die SPD-Abgeordnete Eva Högl. "Sie besagte, dass es sich bei dem Sprengstoffanschlag 2004 um eine menschenverachtende Tat handele. Die Täter wollten so viele Türkinnen und Türken treffen wie möglich, und es wurde klar von Türkenhass und einem fremdenfeindlichen Hintergrund gesprochen."

5. Juli: Innenminister Hans-Peter Friedrich sagt in der ARD, er gehe davon aus, dass der Verfassungsschutz keine V-Leute aus dem Umfeld des NSU rekrutiert habe. Eine Meldung, wonach Beate Zschäpe angeworben worden sein soll, wies er als falsch zurück. Allerdings sei unklar, ob alle vernichteten Akten rekonstruiert werden können, um dies zu klären. Im September wird allerdings bekannt, dass der Verfassungsschutz Verbindung zu einem mutmaßlichen NSU-Unterstützer hatte.

7. Juli: Thüringens Verfassungsschutz-Präsident Thomas Sippel muss wegen der Affäre um die Neonazi-Terrorzelle sein Amt aufgeben. Der 55-Jährige werde in den einstweiligen Ruhestand versetzt, teilte Innenminister Jörg Geibert mit. Sippel habe das Vertrauen des Parlaments verloren, erklärte der Minister zur Begründung.

Sippel, der seit November 2000 das Amt führte, stand zuletzt wegen seiner Informationspolitik zur "Operation Rennsteig" bei der Verfolgung des Neonazi-Trios bei den Landtagsabgeordneten stark in der Kritik. Bei der geheimen Aktion ging es zwischen den Jahren 1997 und 2003 um den Einsatz von V-Leuten im Umfeld des Thüringer Heimatschutzes, aus dem der NSU hervorgegangen war.

9. Juli: Thüringens Ex-Verfassungsschutz-Präsident Helmut Roewer weist den Verdacht zurück, dass der Geheimdienst V-Leute vor Polizeirazzien gewarnt habe. Ihm sei nicht eine einzige Tatsache in dieser Hinsicht bekannt geworden, sagte Roewer vor dem Neonazi-Untersuchungsausschuss des Landtags. Später wird aber bekannt, dass Polizisten Informationen an Neonazis weitergegeben hatten.

11. Juli: In der NSU-Affäre steht ein weiterer Rückzug bevor: Sachsens Verfassungsschutzchef Reinhard Boos tritt zum 1. August ab. Boos habe um seine Versetzung gebeten, so Innenminister Markus Ulbig. Boos ist der dritte führende Verfassungsschützer, der seit dem Bekanntwerden der NSU-Terrorserie gehen muss.

14. Juli: Sind auch beim sächsischen Verfassungsschutz Akten zur Terrorzelle NSU vernichtet worden? Die Behörde bestritt entsprechende Berichte. Zwar seien personenbezogene Daten aufgrund gesetzlicher Löschungspflichten entfernt worden. NSU-Akten sollen davon jedoch nicht betroffen sein.

15. Juli: Viele Monate nach dem Bekanntwerden der NSU-Terrorserie tauchen in Thüringen 20 Ordner mit Tausenden bislang unbekannten Dokumenten auf. Beamte waren bei der Untersuchung in Polizei-Archiven darauf gestoßen, berichtet der MDR. Es geht darin vor allem um die Ermittlungen gegen den "Thüringer Heimatschutz".

17. Juli: Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat den Verfassungsschutz wegen der Vernichtung von Akten im Zusammenhang mit der Neonazi-Mordserie gerügt. Es gebe keine gesetzlichen Prüffristen für Akten. "Die Aussage, auch vom Verfassungsschutz, diese Akten hätten aus datenschutzrechtlichen Gründen vernichtet werden müssen, sind für mich völlig unverständlich", sagte Schaar der "Financial Times Deutschland".

Schaar sagte weiter, es gebe nur die Vorschrift zur Sperrung von Akten, keine "Aktenvernichtungsverpflichtung". Die Aufgabe des Datenschutzbeauftragten beim Verfassungsschutz sei nicht nur der Datenschutz, sondern auch dafür zu sorgen, dass Daten verfügbar seien. "Seine entscheidende Aufgabe ist, dass die Strukturen der Datenhaltung ordentlich sind - da gibt es offensichtlich Mängel", kritisierte Schaar. Auch bei der Schulung der Mitarbeiter gebe es offenbar "erschreckende Wissenslücken".

18. Juli: Das Bundesamt für Verfassungsschutz will den Schwerpunkt seiner Arbeit auch künftig auf die Bekämpfung des islamistisch motivierten Terrors legen. "Unser Hauptaugenmerk ist nach wie vor auf den islamistischen Terrorismus gerichtet", sagte der scheidende Präsident der Behörde, Heinz Fromm, bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2011. Zwar seien die islamistischen Terrororganisationen wie Al Kaida geschwächt; stattdessen planten aber verstärkt Einzelpersonen und kleine Gruppen Anschläge. Fromm sprach von einem "individuellen Dschihad".

Der Verfassungsschutz befürchtet außerdem, dass sich Rechtsextremisten die erst nach Jahren aufgeflogene Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zum Vorbild nehmen könnten. "Hier ist hohe Aufmerksamkeit gefordert", sagte Fromm.

Maaßen wird neuer Geheimdienstchef

Der Terrorismusexperte Hans-Georg Maaßen wird neuer Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Das Bundeskabinett beschloss, dass der bisherige Unterabteilungsleiter im Bundesinnenministerium am 1. August Heinz Fromm an der Spitze der krisengeschüttelten Behörde ablöst. Der 64-jährige Fromm hatte wegen der Vernichtung von Akten zur Neonazi-Affäre in seinem Haus um die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand gebeten. Er leitete den Bundesverfassungsschutz zwölf Jahre lang.

19. Juli: Das Bundesinnenministerium hat zehn Tage nach dem Auffliegen der Thüringer Neonazi-Terrorzelle NSU die Vernichtung von Verfassungsschutz-Akten zum Thema Rechtsextremismus angeordnet. Ein Sprecher des Innenministeriums bestätigte einen entsprechenden Bericht der "Stuttgarter Nachrichten". Er betonte allerdings, dass die Akten nichts mit dem NSU zu tun hätten.

Trotzdem sorgte das Thema auch bei der Sitzung des Bundestags-Untersuchungsausschusses zum NSU für Diskussionen. Mehrere Obleute von Koalition und Opposition sprachen sich für ein Moratorium aus: Die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern sollten so lange keine Akten mit Bezug zum Rechtsextremismus vernichten, bis der NSU-Untersuchungsausschuss seine Arbeit beendet hat.

25. Juli: Der Vorsitzende des NSU-Bundestagsausschusses, Sebastian Edathy, zieht eine Zwischenbilanz der Aufarbeitung. Er betonte gegenüber tagesschau.de, man sei "auf einem guten Weg". Es werde zunehmend deutlich, dass "unsere Sicherheitsarchitektur keineswegs optimal ist". Konkret nennt der SPD-Politiker die Kooperation zwischen Polizei und Verfassungsschutz, aber auch zwischen den Verfassungsschutz-Ämtern.

August 2012: Kontakte zwischen Polizei und Neonazis

27. August: Die Vernehmung des scheidenden Verfassungsschutzpräsidenten Heinz Fromm im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags bringt keine neuen Erkenntnisse über die Aktenvernichtung in der Behörde. Er habe dafür keine überzeugende Erklärung, räumte Fromm vor den Bundestagsabgeordneten ein. Sieben Akten über V-Leute in der rechtsextremen Szene waren kurz nach Bekanntwerden der Neonazi-Mordserie im November 2011 vernichtet worden.

Gleichzeitig räumte Fromm Fehler bei den Ermittlungen zur Terrorserie ein. Bezüge zum Rechtsextremismus seien nicht festgestellt worden. "Diese analytische Engführung hat sich als Fehler erwiesen", sagte Fromm. "Das ist eine schwere Niederlage für die deutschen Sicherheitsbehörden." Die Pannen seien eine "schwere Last", von der die Verantwortlichen auch nicht durch personelle Konsequenzen entlastet würden, fügte Fromm hinzu.

Kontakte zwischen Polizei und Neonazis

Die Sicherheitsbehörden in Thüringen geraten derweil immer stärker unter Druck. Wie aus NSU-Ermittlungsakten hervorgeht, hatte ein Polizist Ende der 1990er-Jahre Neonazis mit Informationen versorgt. Die Linkspartei vermutet, dass sogar mindestens drei Polizisten mit Neonazis kooperiert haben sollen. Forderungen nach einem Rücktritt von Innenminister Jörg Geibert werden laut, die Landesregierung weist dies aber zurück.

28. August: Die Innenminister von Bund und Ländern diskutieren über die Reform des Inlandgeheimdienstes. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte die Pläne von Innenminister Hans-Peter Friedrich: "Bund und Länder sollten die Kraft zu einem beherzten Umbau der Sicherheitsarchitektur haben und sich nicht im Klein-Klein verheddern", sagte die FDP-Politikerin der "Welt". Dazu gehörten die Zusammenlegung von Verfassungsschutzämtern der Länder in der Fläche und die Abschaffung des Militärischen Abschirmdiensts. "Wer nur die Möbel umstellt, baut das Haus nicht um", sagte die Ministerin weiter. Die Lehre aus der Vergangenheit sei, dass mehr Daten nicht zu einer besseren Informationslage führten, auf die qualifizierte Auswertung der Daten komme es an.

September 2012: Skandale um MAD und Berliner LKA

7. September: Erneut wird eine Panne bei den Ermittlungen gegen die rechtsextreme Terrorzelle in Thüringen bekannt. Nach Informationen des MDR haben die Behörden Sprengstoff, den sie 1998 in der Garage des Terror-Trios in Jena fanden, falsch dokumentiert. Zudem soll das TNT vernichtet worden sein.

8. September: Wegen Kontakten in die rechtsextreme Szene hat das Thüringer Landeskriminalamt gegen eine Polizistin ermittelt. Sie soll unberechtigt polizeiliche Daten abgefragt und vermutlich an Rechtsextreme weitergegeben haben. Sie sei 2009 vom Dienst suspendiert, aber nach Zahlung einer Geldstrafe 2011 wieder eingestellt worden, berichtet der MDR.

10. September: Der ehemalige Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Helmut Roewer, muss zum zweiten Mal vor dem Untersuchungsausschuss in Erfurt aussagen. Roewer kritisiert, er fühle sich "wie vor einem Tribunal". Zu vielen Fragen bezüglich der Führung von V-Leuten bezieht Roewer hingegen weniger klar Stellung.

11. September: Ein bislang unbekanntes Papier über den Neonazi Uwe Mundlos sorgt für große Aufregung. Konkret geht es um ein Befragungsprotokoll, das der Militärische Abschirmdienst (MAD) im März 1995 angefertigt hatte. Der MAD hatte den späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos vernommen, da dieser während seines Wehrdienstes durch rechtsextreme Aktivitäten aufgefallen war. Das Verteidigungsministerium wusste mindestens seit März 2012, dass diese Akte vorhanden ist, informierte aber den Untersuchungsausschuss des Bundestags nicht darüber. Die Abgeordneten sind wütend und entsetzt.

In Sachsen-Anhalt ist der nächste hochrangige Verfassungsschützer zurückgetreten. Wenige Stunden nach dem Rücktritt des Verfassungsschutzchefs von Sachsen-Anhalt, Volker Limburg, steht bereits sein Nachfolger fest. Der bisherige Leiter des LKA Joachim Hollmann wird neuer Behördenchef. Er soll die Vorgänge rund um eine aufgetauchte Akte über den NSU-Rechtsterroristen Mundlos aufklären.

13. September: Kurz nach dem Bekanntwerden der Mundlos-Akte wird der nächste Skandal aufgedeckt: Ein mutmaßlicher NSU-Helfer hat mehr als zehn Jahre lang für das Berliner Landeskriminalamt als V-Mann gearbeitet. Thomas S. war von Ende 2000 bis Januar 2011 als Quelle des Berliner LKA aktiv. Thomas S. soll den Rechtsterroristen Ende der 1990er-Jahre Sprengstoff besorgt haben. Er zählt zu 13 Beschuldigten, gegen die der Generalbundesanwalt im Zusammenhang mit den Rechtsterroristen ermittelt.

C. Heinzle/J. Goetz, NDR, 15.09.2012 05:55 Uhr

In einem internen Papier des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen vom 30. November 2011, das tagesschau.de vorliegt, wird ein Vermerk vom 09. September 1998 zitiert, wonach Beate Zschäpe "zuletzt mit dem Blood & Honour-Mitglied" Thomas S. "liiert" gewesen sei. S. stand demnach auch mit dem sächsischen Rechtsrockproduzenten Jan W. in Kontakt, der zu den untergetauchten Neonazis Kontakte gehalten haben soll.

15. September: In der Regierungskoalition ist eine heftige Diskussion über die Zukunft des Militärischen Abschirmdienstes entbrannt. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger und FDP-Chef Rösler fordern dessen Auflösung. Verteidigungsminister de Maizière fordert eine Reform, will aber am MAD festhalten.

18. September: Berlins Innensenator Frank Henkel gesteht vor dem Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses Fehler beim Umgang mit den NSU-Ermittlungen ein, doch verstrickt sich dabei offenbar in neue Widersprüche. Der CDU-Politiker bedauerte, "dass Abgeordnete den Eindruck gewinnen konnten, das Land Berlin würde nicht umfassend informieren". Er hätte sich stärker bemühen müssen, im März nicht nur die Bundesanwaltschaft, sondern auch den Untersuchungsausschuss über den V-Mann Thomas S. in Kenntnis zu setzen.

Nach Henkels Darstellung war er allerdings von der Generalbundesanwaltschaft darum gebeten worden, die Berliner Erkenntnisse über den Informanten S. zunächst nicht weiterzugeben. Es habe die Gefahr bestanden, dass die strafrechtliche Verfolgung der Täter vereitelt worden wäre. Die Bundesanwaltschaft wies diese Darstellung Henkels aber zurück. "Absprachen über Zeitpunkt und Form der Übermittlung der Erkenntnisse an den NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages wurden nicht getroffen", erklärte der Sprecher der Ermittlungsbehörde.

19. September: Als Konsequenz aus den Ermittlungspannen rund um den rechtsextremen NSU hat Innenminister Friedrich die Neonazi-Verbunddatei in Betrieb genommen. Sie speichert Informationen über Rechtsextreme. Verfassungsschutzämter und Polizeibehörden von Bund und Ländern sowie der militärische Abschirmdienst sind verpflichtet, ihre Erkenntnisse über gewaltbereite Rechtsextremisten bereitzustellen. Zugriff haben sie sofort auf Grunddaten wie Name, Geburtsdatum und Anschrift.

CDU-Innenexperte Clemens Binninger erklärte dazu: "Es dauert nicht mehr neun Monate bis die bayerischen Ermittler vom bayerischen Verfassungsschutz oder die hessischen Ermittler vom hessischen Verfassungsschutz Informationen über rechte gewaltbereite Gruppierungen bekommen. Sondern, es ist dann innerhalb von wenigen Sekunden und Minuten möglich."

Hinweise darauf, ob jemand als V-Mann eingesetzt wurde, fehlen hingegen. Das seien zu sensible Daten, heißt es im Innenministerium. Für die Petra Pau (Linkspartei) ist das ein Unding: "Wenn das Bundesinnenministerium bei der V-Leute-Praxis bleibt und gleichzeitig aber die Verwertung der Informationen, die aus der Szene kommen ausschließt, dann kann man die Datei auch gleich wieder zumachen", warnte Pau.

20. September: Die V-Männer im NSU-Umfeld sorgen weiter für Aufregung. Neben dem Berliner LKA soll auch der Bundesverfassungsschutz (BfV) einen V-Mann bezahlt haben. Das BfV bestritt zwar "einen nachrichtendienstlichen Zugang" zum NSU, nicht aber den Einsatz von V-Mann "Corelli" selbst.

21. September: In Bayern nimmt der vierte parlamentarische Untersuchungsausschuss seine Arbeit auf. Gerhard Forster, Ex-Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz, soll als erster Zeuge vor dem Gremium aussagen. Rund 100 weitere Zeugen sollen folgen. Forster hatte das Amt von März 1994 bis November 2001 inne. Außerdem werden zwei Abteilungsleiter der Behörde geladen. Auch Innenminister Joachim Herrmann und sein Amtsvorgänger Günther Beckstein (beide CSU) sollen geladen werden, zudem die ehemaligen Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz Hubert Mehler, Günter Gold und Wolfgang Weber sowie der jetzige Amtsinhaber Burkhard Körner.

Fünf der zehn NSU-Morde wurden von 2000 bis 2007 in Nürnberg und München verübt. Die bayerische Sonderkommission "Bosporus" leitete die Ermittlungen erfolglos.

22. September: Zwischen den NSU-Terroristen und der Berliner Rockerszene soll es möglicherweise eine Verbindung gegeben haben. Die Spuren sind allerdings vage: Nach einer Schießerei vor dem Clubhaus der Bandidos im Stadtteil Wedding am 5. Juli waren laut Medienberichten DNA-Spuren gefunden worden, die teilweise Übereinstimmungen mit DNA-Spuren aus dem letzten Versteck des NSU in Zwickau aufweisen. Die Berliner Staatsanwaltschaft bestätigte, dass sie entsprechende "Informationen" erhalten habe, die nun geprüft würden. Allerdings gibt es wegen der schlechten Qualität des Materials bei den Ermittlungsbehörden auch Zweifel an der Spur.

24. September: Ein Gedenkstein erinnert seit heute in Dortmund an Mehmet Kubasik. Er ist eines der zehn Mordopfer des rechtsterroristischen NSU. Der Oberbürgermeister entschuldigte sich bei der Gedenkfeier bei den Hinterbliebenen für falsche Anschuldigungen.

26. September: Nach Hinweisen auf die V-Mann-Tätigkeit eines mutmaßlichen NSU-Helfers in der NPD ordnet Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich eine umfassende Prüfung an. So sollen "alle relevanten Akten aus dem damaligen NPD-Verbotsverfahren" gesichtet und "die mit dem Verfahren betrauten Mitarbeiter" befragt werden, teilte das Ministerium mit. Innenminister Friedrich wolle zudem weitere V-Mann-Tätigkeiten im NSU-Umfeld prüfen.

Zitat

Innenminister Friedrich in den tagesthemen vom 5. Juli 2012

Frage: "Es gibt immer noch Zweifel, ob es V-Leute aus dem NSU oder dem Umfeld gegeben hat. Können Sie das ausschließen?"

Friedrich: "Ich habe veranlasst, dass alle Akten, auch die Namen, auch die rekonstruierten Akten, dem NSU-Ausschuss vorgelegt werden. Wir haben etwas getan, was es bisher noch nicht gab, wir haben dem Ausschuss – unter Geheimhaltungspflicht - die Klarnamen der angeworbenen bzw. der in Rede stehenden V-Leute genannt. [...] Ich glaube, im Ausschuss ist nun die Erkenntnis da, dass es einen solchen Zusammenhang zwischen V-Leuten und dem NSU-Umfeld nicht gegeben hat."

Seit vergangenem Freitag liegt dem Innenministerium ein Hinweis vor, "wonach eine Person aus dem Kreis der Beschuldigten des NSU-Verfahrens möglicherweise vor circa zehn Jahren in der NPD V-Mann für eine Sicherheitsbehörde gewesen sein könnte". Den Hinweis habe die Bundesanwaltschaft gegeben. Das Innenministerium habe alle Sicherheitsbehörden um eine schriftliche Stellungnahme gebeten. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags sei informiert worden.

Wie der "Spiegel" unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtet, soll es sich dabei um den langjährigen NPD-Kader Ralf Wohlleben handeln, der seit November 2011 als mutmaßlicher Terrorhelfer des NSU in Untersuchungshaft sitzt.

28. September: Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sagt vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags aus. Auch er weist jedes Fehlverhalten von sich, er kritisiert den Ausschussvorsitzenden Sebastian Edathy. Auslöser für die Vorwürfe gegen Bouffier war sein Verhalten nach dem Mord der NSU-Terroristen an einem Internetcafé-Betreiber 2006 in Kassel: Der damalige Innenressortchef verweigerte damals Aussagegenehmigungen für V-Leute des hessischen Verfassungsschutzes. Ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, der mehrere Quellen geführt hatte, war kurz vor oder sogar während der Tat in dem Café anwesend.

Der Verfassungsschützer befand sich nach eigener Aussage zufällig am Tatort. Trotz Drängens der Polizeiermittler verweigerte Bouffier aber die Aussagegenehmigung für fünf V-Leute, die dieser Verfassungsschützer geführt hatte. Der Verfassungsschützer galt zeitweise selbst als tatverdächtig. Die V-Leute wurden schließlich durch den Verfassungsschutz selbst befragt, die Staatsanwaltschaft erhielt die Aussagen erst viele Monate nach der ersten Anfrage wegen einer Aussage.

Oktober 2012: Welche Rolle spielte der Ku-Klux-Klan?

08. Oktober: Der Thüringer Verfassungsschutz liefert rund 780 Akten mit den Klarnamen von V-Leuten an den BSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, was bei anderen Ländern für Kritik sorgt. Das Gremium begrüßte hingegen die Kooperationsbereitschaft der Landesregierung in Erfurt und wies Kritik an Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) zurück. Durch die Übersendung der Unterlagen an die Geheimschutzstelle des Parlaments und die vollständige Einstufung der Akten als geheim habe Thüringen ein hohes Schutzniveau gewährleistet. Allerdings kritisiert der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy, dass die Abgeordneten durch die komplette Lieferung von nicht vorsortierten Akten überlastet werde.

K. Frenzel, DLR, 10.10.2012 07:50 Uhr

09. Oktober: Die "taz" berichtet über eine geheime Liste der Sicherheitsbehörden, auf der exakt 100 Personen zum NSU, den Unterstützern oder dem dazugehörigen Netzwerk gezählt werden. Auf der Liste stehen demnach neben Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe die zwölf in dem Verfahren von der Bundesanwaltschaft beschuldigten mutmaßlichen Helfer sowie 85 weitere angebliche Kontaktpersonen des NSU oder von dessen engsten Unterstützern. Bisher war die Zahl der "relevanten Personen" im NSU-Umfeld auf 40 beziffert worden.

Es wird bekannt, dass der mutmaßliche NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben wenige Tage zuvor aus Thüringen nach München verlegt wurde. Möglicherweise ein Indiz dafür, dass der NSU-Prozess wie vermutet vor dem dortigen Oberlandesgericht stattfinden wird.

10. Oktober: Nach Informationen von tagesschau.de soll aber noch bis Ende des Jahres Anklage erhoben werden, der Prozess dann im März 2013 beginnen.

Das Gerichtsverfahren dürfte umfangreich werden, angesichts der Morde und Anschläge der Neonazi-Terrorgruppe gibt es Dutzende Nebenkläger. Der Hamburger Rechtsanwalt Thomas Bliwier, der die Familie des in Kassel ermordeten Halit Yozgat als Nebenkläger vertritt, betonte gegenüber tagesschau.de, die Erwartungen der Hinterbliebenen an den Prozess seien hoch. Bei dem Prozess gehe es um die "vollständige Aufklärung", insbesondere um die Rolle der staatlichen Stellen. Der Anwalt meint, dass der Prozess noch einiges ans Tageslicht bringen wird. "Strafverteidiger sind geübter in der Befragung und frei von Parteiinteressen", so Bliwier im Hinblick auf die Zeugenvernehmungen in den parlamentarischen NSU-Ausschüssen.

Das Innenministerium in Thüringen will dem Landesamt für Verfassungsschutz die Eigenständigkeit entziehen. Das Landesamt soll als eigenständige Behörde aufgelöst und ins Innenministerium integriert werden, wie es in anderen Ländern bereits der Fall ist. Für die Linkspartei ein Ablenkungsmanöver. Man wolle suggerieren, dass ein Geheimdienst aufgelöst wird, ihn qualitativ aber fortbestehen lassen, kommentierte Martina Renner, die in Erfurt im NSU-Ausschuss sitzt und sich seit Jahren mit der rechtsextremen Szene beschäftigt.

15. Oktober: Der Sänger der Neonazi-Band "Gigi und die braunen Stadtmusikanten" wird wegen Volksverhetzung zu einer Bewährungs- und Geldstrafe verurteilt. In einem Lied hatte die Gruppe die Morde des "Döner-Killers" besungen, zudem war von einem "Phantom" die Rede. Dieser Begriff wurde in der Öffentlichkeit im Mordfall Kiesewetter benutzt. Der Neonazi-Sänger, der mindestens bis März 2012 Mitglied der NPD war, kündigte Berufung gegen das Urteil an.

17. Oktober: Ein Mitarbeiter des baden-württembergischen Verfassungsschutzes soll Dienstgeheimnisse an den Leiter eines deutschen Ablegers des rassistischen Ku-Klux-Klan (KKK) verraten haben. Zu diesem Schluss kommt ein Untersuchungsbericht. Darin wird der Fall aus dem Jahr 2002 als "Sicherheitsproblem" beim Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) klassifiziert. Der Mann bestreite bis heute die Vorwürfe.

Verfassungsschutzpräsidentin Bube sowie Innenminister Gall wollten mit Verweis auf die höchste Geheimhaltungsstufe nicht bestätigen, dass es sich bei dem Leiter der rassistischen Gruppierung um einen V-Mann des Verfassungsschutzes gehandelt haben soll, wie Medien berichtet hatten. Dementiert wurden die Berichte aber nicht. Stern.de berichtet, beim Verfassungsschutz wurden Akten vernichtet, die Informationen zu KKK-Mitgliedern in Baden-Württemberg beinhalteten - unter anderem über den mutmaßlichen V-Mann Achim K.

18. Oktober: Erneut macht ein Vertreter des Geheimdienstes keine gute Figur: Eigentlich hatte sich der Untersuchungsausschuss des Bundestags vom Ex-Verfassungsschützer Fritsche Erkenntnisse über Versäumnisse in den NSU-Ermittlungen erhofft. Stattdessen teilte der Zeuge erstmal aus - so kräftig, dass die Sitzung unterbrochen wurde. Doch auch nach einer Belehrung stritt Fritsche rigoros Fehler ab.

22. Oktober: Der NSU-Ausschuss wird von Vertretern der Geheimdienste, Innenpolitikern der Union und Polizei zunehmend kritisiert. Der Vorsitzende des Ausschusses, Edathy, legte dem Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, nach harten verbalen Angriffen den Rücktritt nahe. Edathy sagte der "Mitteldeutschen Zeitung", Schulz scheine ein "gestörtes Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie und zur Kontrollaufgabe von Abgeordneten" zu haben. Er solle "darüber nachdenken, ob er mit seinem absurden Rechtsstaatsverständnis dem Amt noch gewachsen" sei. Schulz hatte die Arbeit des Untersuchungsausschusses wiederholt kritisiert - mit ungewöhnlicher Wortwahl: So beklagte er eine überflüssige "postmortale Klugscheißerei" des Gremiums.

25. Oktober: Der ehemalige Bundesrichter Schäfer wird neuer Ermittlungsbeauftragter des NSU-Ausschusses im Bundestag. Sein Auftrag: Hunderte Akten aus Thüringen sichten - und im Zweifel sensible Passagen schwärzen, bevor sie an Abgeordnete gehen. Im Ausschuss selbst hatte BKA-Vize Maurer zuvor Pannen bei den Ermittlungen bedauert.

November 2012: Weitere geschredderte Akten und Anklageerhebung

06. November: Bei einer weiteren deutschen Sicherheitsbehörde sind Akten vernichtet worden, die möglicherweise im Zusammenhang mit den Ermittlungen zur NSU-Mordserie interessant sein könnten. Der Landesverfassungsschutz habe am 29. Juni dieses Jahres "aufgrund eines Missverständnisses" mehrere Akten zum Thema Rechtsextremismus vernichtet, sagte eine Sprecherin der Behörde. Sie fügte hinzu, es gebe keine Anhaltspunkte, dass die Unterlagen Erkenntnisse zum NSU enthalten hätten.

Die genaue Anzahl der in der Berliner Landesbehörde vernichteten Akten ist unklar. Nach bisherigen Erkenntnissen stammen die Unterlagen aus der Zeit vor dem Jahr 2009. Laut der Sicherheitsbehörde sollen darin unter anderem Vorgänge um den Rechtsextremisten Horst Mahler, zum rechtsextremistischen Bandprojekt "Landser" oder zur "Heimattreuen Deutschen Jugend" behandelt worden sein.

08. November: Die mutmaßliche Terroristin Beate Zschäpe soll für die NSU-Morde als Mittäterin vor Gericht. Die Bundesanwaltschaft erhob Anklage gegen die 37-Jährige. Sie sei nicht nur Mitglied des NSU gewesen, sondern an sämtlichen Anschlägen als Mittäterin im Hintergrund beteiligt gewesen, sagte Generalbundesanwalt Harald Range. "Die NSU-Mitglieder verstanden sich als einheitliches Tötungskommando, das seine feigen Mordanschläge aus rassistischen und staatsfeindlichen Motiven arbeitsteilig verübte", sagte Range. Der Prozess beginnt voraussichtlich im Frühjahr vor dem Oberlandesgericht München.

Die Anklage wirft Zschäpe Mittäterschaft bei sämtlichen Taten des NSU vor: Neun Morde an Bürger mit Migrationshintergrund, den Mordanschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn 2007 und zwei Bombenanschläge in Köln, bei denen mehr als 20 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt wurden. Auch bei den insgesamt 15 Banküberfällen, die der Gruppe zugerechnet werden, sei sie Mittäterin gewesen. Darüber hinaus lautet die Anklage auf Mordversuch wegen der Brandstiftung in der letzten gemeinsamen Wohnung des Trios in Zwickau: Sie habe dabei den Tod einer Nachbarin und zweier Handwerker in Kauf genommen.

Zudem wurden der 37-jährige Ralf Wohlleben und der 32 Jahre alte Carsten S. wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Sie sollen die Pistole des Typs "Ceska 83" beschafft haben, die bei der Mordserie verwendet wurde. Außerdem wurden André E. (33) und Holger G. (38) als mutmaßliche Unterstützer der Gruppe angeklagt.

14. November: Beim Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz geht es weiter drunter und drüber. Erst jetzt wird bekannt, dass beim Berliner Verfassungsschutz im Jahr 2010 Akten über die Neonazi-Organisation "Blood & Honour" geschreddert wurden. Sie hätten eigentlich im Landesarchiv aufbewahrt werden sollten. Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid sprach zunächst von einem "bedauerlichen Versehen" - kurz danach tritt auch sie zurück.

15. November: Innenminister Friedrich eröffnet ein "Abwehrzentrum gegen Extremismus und Terrorismus" in Köln. Experten von Bund und Ländern sollen dort zusammenarbeiten. Doch sechs Länder machen erst einmal nicht mit - einige sprechen von einem Schnellschuss.

16. November: tagesschau.de berichtet exklusiv über Details aus der Anklageschrift des Generalbundesanwalts. Diese umfasst 488 Seiten, mehr als 600 Zeugen werden benannt, fast 400 Urkunden sollen die Anklage stützen, 22 Sachverständige werden zitiert. In dem Verfahren müssen sich ab dem Frühjahr vor dem Oberlandesgericht München fünf Personen verantworten.

Die Anklageschrift betont die politische Dimension der Terrorserie. Der NSU wollte demnach, dass seine Morde als serienmäßige Hinrichtungen wahrgenommen würden, daher sei bei neun Anschlägen die Ceska 83 mit Schalldämpfer benutzt worden. Der Schrecken der Morde sollte noch dadurch erhöht werden, dass die Opfer in Alltagssituationen überrascht und erschossen wurden. Bei allen Morden traten Böhnhardt und Mundlos unmaskiert auf. Nach mehreren Taten fotografierten sie ihre Opfer.

Dass Zschäpe sich auch für die Morde verantworten muss, wird auch auf eine Aussage einer Zeugin aus Nürnberg gestützt. Diese hatte Zschäpe am 9. Juni 2005 in der Nähe eines Tatorts an der Kasse eines Supermarkts gesehen. Zudem sei Zschäpe in die Planung und Vorbereitung involviert gewesen, habe Reisebewegungen getarnt und für Böhnhardt und Mundlos einen sicheren Rückzugsraum geschaffen. Die Taten seien gemeinsam geplant worden, es gab keine Anführer, sondern den gemeinsamen Willen, aus rassistischen Gründen Menschen mit Migrationshintergrund zu ermorden.

22. November: Im Untersuchungsausschuss des Bundestages räumt der frühere nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens Fehleinschätzungen ein. "Ich entschuldige mich dafür", sagte Behrens an Opfer und Angehörige gerichtet. Bei der Befragung geht es um den sogenannten Nagelbombenanschlag im Juni 2004 in Köln. Damals waren vor einem türkischen Friseursalon in der Keupstraße 22 Menschen verletzt worden. Der Ausschuss will wissen, warum frühe Hinweise auf einen rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Hintergrund nicht weiter verfolgt wurden.

23. November: Es wird bekannt, dass Bundespräsident Joachim Gauck ein Treffen mit den Opferfamilien der NSU-Morde abgelehnt hat. Eine entsprechende Bitte der Türkischen Gemeinde in Deutschland für ein persönliches Treffen zum Jahrestag der Aufdeckung der NSU-Mordserie im November schlug das Bundespräsidialamt nach ARD-Informationen aus. Man möchte von einem solchen Treffen "absehen", heißt es in dem Schreiben, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Der Bundespräsident werde die Maßnahmen in der Folge der NSU-Mordserie aber "mit Interesse verfolgen". Die Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der Opfer des Neonazi-Terrors, Barbara John, zeigte sich verwundert über Gaucks Absage.

Das Bundespräsidialamt bestätigte den Vorgang. Man plane aber ein Treffen zu einem späteren Zeitpunkt, hieß es als Reaktion auf den Bericht. Einladungen seien allerdings noch nicht ausgesprochen worden, ein Termin noch unbekannt.

29. November: Der frühere Präsident des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), Karl-Heinz Brüsselbach, entschuldigt sich für die "Aktenpanne". Brüsselbach sagte im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, er habe bereits im vergangenen März erfahren, dass der MAD schon Mitte der 1990er-Jahre Kontakt zu dem späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos hatte. Er habe das Verteidigungsministerium darüber informiert, nicht aber den Untersuchungsausschuss. "Das war nicht angemessen", räumte Brüsselbach ein. "Das bedauere ich aus heutiger Sicht."

Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) kommentierte: "Wenn man nicht wissen möchte, was man wissen könnte, dann verhält man sich so, wie sich der ehemalige Präsident des MAD verhalten hat. Wäre Herr Brüsselbach heute noch im Amt, würde ich seinen Rücktritt fordern."

30. November: Der frühere Präsident des Bundesnachrichtendienstes, August Hanning, verteidigt die Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden gegen Kritik. Eine pauschale Verurteilung sei trotz der Versäumnisse im Fall der Terrorzelle NSU nicht gerechtfertigt, sagte Hanning im Untersuchungsausschuss des Bundestages. Hanning verteidigte aber die umstrittene Entscheidung von 2006, die Abteilungen für Links- und Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz zusammenzulegen. Der damalige Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm hatte sich gegen die Entscheidung gestemmt.

Dezember 2012: NPD-Verbotsverfahren

05. Dezember: Die Innenminister der Länder sprechen sich deutlich für ein neues NPD-Verbotsverfahren aus. NRW-Innenminister Ralf Jäger betonte, die vorliegende Materialsammlung enthalte "viele aktuelle Belege, die zeigen, dass die NPD aggressiv-kämpferisch gegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung vorgeht und das friedliche Zusammenleben der Menschen in Deutschland gefährdet", erklärte der SPD-Politiker. "Ein Verbotsverfahren ist ein wichtiges Zeichen, dass unser Rechtsstaat konsequent gegen Verfassungsfeinde vorgeht." Der Kampf gegen den Rechtsextremismus müsse auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen entschieden fortgeführt werden. Jäger kritisierte, dass Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich immer noch keine klare Position bezogen habe. "Nach sieben Monaten Zusammentragen und Sichten des Materials kann es nun kein Vielleicht mehr geben. Ja oder Nein - das hätte ich auch von Herrn Friedrich erwartet."

Derweil berichtet der MDR, einer der aktivsten Spitzenfunktionäre der NPD in Thüringen sei V-Mann des Verfassungsschutzes gewesen. Der frühere Erfurter NPD-Kreischef Kai-Uwe Trinkaus sagte dem MDR THÜRINGEN, dass er unter dem Decknamen "Ares" fast fünf Jahre lang Informationen aus der rechten Szene und der NPD geliefert habe. Er sei 2010 dann vom Thüringer Landesamt abgeschaltet worden. Trinkaus gibt an, dass er vertrauliche Behördenunterlagen von seinem V-Mann-Führer bekommen habe.

14. Dezember: Ex-Innenminister Schäuble sagt vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags aus: Er sei nicht oberster Polizist der Bundesrepublik, mit den Pannen in Sachen NSU-Mordserie habe er nichts zu tun - und überhaupt habe er alles richtig gemacht. Schäuble - von 2005 bis 2009 Bundesinnenminister - hat bei seiner Befragung vor dem NSU-Ausschuss vor allem eines: provoziert.

Januar 2013: Vorbereitungen auf den Prozess

09. Januar: Die Verteidiger der mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe weisen eine Mittäterschaft ihrer Mandantin bei den Morden, Bombenanschlägen und Überfällen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) zurück. Auf 22 Seiten fordert die Verteidigung eine "Nachbesserung" der Anklage, die sie als mangelhaft empfindet. Kurz darauf werden diese Rügen zurückgezogen.

Das Oberlandesgericht München erklärt die rechtsextreme Terrorgruppe NSU für nicht mehr existent. Dadurch seien Haft-Lockerungen für das mutmaßliche NSU-Mitglied Zschäpe möglich.

31. Januar: Das Oberlandesgericht München lässt die Mordanklage gegen Beate Zschäpe zu. Der Bundesanwaltschaft zufolge war der NSU eine Gruppierung, die aus den drei gleichberechtigten Mitgliedern Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bestand. Mundlos und Böhnhardt hatten sich am 4. November 2011 nach einem Banküberfall in Eisenach das Leben genommen, als sie von Polizisten aufgespürt worden waren. Dadurch war das Trio aufgeflogen. Zschäpe hatte sich am 8. November 2011 der Polizei in Jena gestellt und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Februar 2013: Geheimdienste weiter in der Kritik

17. Februar: Bundespräsident Gauck hat die Angehörigen der NSU-Opfer eingeladen. Doch die Schwester des Hamburger NSU-Opfers Süleymann Tasköprü lehnt ab: Sie wolle Antworten, keine Betroffenheit, schreibt sie in einem Brief an Gauck, der tagesschau.de exklusiv vorliegt. Zudem beschreibt Tasköprü die Demütigungen der vergangenen Jahre. Neben Aysen Tasköprü sagen weitere Angehörige der NSU-Opfer das Treffen ab. Gauck verspricht auf dem Treffen eine umfassende Aufklärung der Taten der Neonazi-Terrorgruppe.

18. Februar: Der Militärische Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr will Konsequenzen aus der NSU-Affäre ziehen und sich stärker der Öffentlichkeit präsentieren. "Wir wollen in der Tat einen Paradigmenwechsel einleiten", sagte Ulrich Birkenheier, seit Juli 2012 Präsident des Amtes, der Tageszeitung "Die Welt". Man habe gemerkt, wie sinnvoll es sei, die eigenen Aufgaben und Leistungen auch nach außen zu präsentieren, sagte Birkenheier weiter. Derzeit werde eine Pressestelle aufgebaut.

20. Februar: Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags kann nun doch alle Akten zum V-Mann mit dem Decknamen "Corelli" einsehen und auch dessen früheren V-Mann-Führer befragen. Nach langem Streit setzte sich das Gremium damit gegen Innenministerium und Verfassungsschutz durch. Diese wollten Informationen zu "Corelli" zurückhalten. Zunächst hatten sich der Verfassungsschutz und das Ministerium geweigert, den Beweisanträgen des Ausschusses zu folgen. Edathy hatte deshalb mit der Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes gedroht.

21. Februar: Thüringens Verfassungsschutz ist in der NSU-Affäre immer wieder massiv kritisiert worden - die Rechtsterroristen waren 1998 unter seinen Augen abgetaucht. Dennoch halten frühere Leiter des Amts die Vorwürfe für falsch. Man habe nichts gewusst und die Ermittlungen nicht behindert, hieß es im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags.Die Verfassungsschützer wandten sich auch gegen den Vorwurf, die Behörde habe V-Männer, allen voran den langjährigen Informanten Tino Brandt, vor Polizeiaktionen gewarnt.

22. Februar: Skandale um geschredderte Akten sollen der Vergangenheit angehören: Das Bundesamt für Verfassungsschutz will Lehren aus den Ermittlungspannen zum NSU ziehen. Behördenchef Maaßen hat nun Kernpunkte präsentiert, um das ramponierte Ansehen des Geheimdienstes zu polieren.

28. Februar: Politiker von SPD und Grünen kritisieren die Vorbereitungen zum NSU-Prozess. Die Größe des Gerichtssaals, in dem lediglich 50 Pressevertreter und 50 Zuschauer zugelassen sein werden, sei nicht angemessen, sagte der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz der "Berliner Zeitung". "Der NSU-Prozess ist ein Jahrhundertprozess und in seiner Bedeutung nur vergleichbar mit den RAF-Prozessen. Das Medieninteresse war vorhersehbar und kann niemanden überraschen", sagte Wiefelspütz. Man dürfe jedenfalls nicht glauben, man könne mit 100 Plätzen Öffentlichkeit herstellen, beklagte er.

Fast eineinhalb Jahre nach dem Bekanntwerden des NSU-Terrors hat das BKA den Untersuchungsausschuss informiert, dass es weitere Adresslisten der Terrorgruppe gab. Diese waren 1998 in einer Garage der Rechtsterroristen gefunden worden. SPD-Ausschussmitglied Eva Högl sagte, die Listen enthielten eine Vielzahl von Kontaktdaten aus dem rechtsextremen Sumpf, mit dem die Fahnder auf die Spur der Terrorgruppe hätte kommen können. Sie sei "einigermaßen schockiert", dass das Bundeskriminalamt diese Listen bisher nicht an den Ausschuss weitergeleitet habe.

März 2013: NSU-Netzwerk noch größer / Streit um Sitzvergabe beim Prozess

08. März: Während die juristische Aufarbeitung der rechtsextremen Taten läuft, haben die Hinterbliebenen der NSU-Opfer immer noch viele Fragen. Im Interview mit tagesschau.de spricht Semiya Simsek über ihr Buch "Schmerzliche Heimat", die Zeit der Ungewissheit, ihre Wut auf die Behörden, eine große Geste der Kanzlerin und einen Verdacht.

11. März: Die Thüringer Sicherheitsbehörden haben nach Einschätzung des Neonazi-Untersuchungsausschusses des Landtages im Kampf gegen Rechtsextremismus in den 1990er Jahren versagt. "Es sind schwerwiegende Fehler gemacht worden", sagte die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx bei der Vorlage eines mehr als 550 Seiten starken Zwischenberichts des Gremiums in Erfurt. Die Gefahren durch den Rechtsextremismus seien nicht gesehen und verharmlost worden.

Dem Bericht zufolge wurden rechte Gefahren verharmlost sowie V-Leute vor Strafverfolgung gewarnt. Auch sei die Beschäftigung des NPD-Funktionärs Tino Brandt als V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes unzulässig gewesen. Mit seiner Entlohnung habe der Verfassungsschutz zumindest mittelbar das Milieu gefördert, in dem sich das spätere Neonazi-Trio radikalisieren konnte, sagte Marx.

16. März: Ex-Innenminister Otto Schily steht erneut vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Er übernimmt für die falsche Ermittlungsrichtung beim Nagelbombenattentat von Köln im Jahr 2004 die politische Verantwortung. Zugleich weist er Vorwürfe zurück, er habe durch eine persönliche Fehleinschätzung Ermittlungen zu rechtsextremem Terror in eine falsche Richtung gelenkt. Er habe lediglich Lagebilder der Ermittlungsbehörden weitergegeben, sagte Schily.

21. März: In Nürnberg wird ein Denkmal für die NSU-Opfer eingeweiht.

24. März: Mittlerweile werden 129 Neonazis zum NSU-Netzwerk oder dessen Unterstützern und Helfern gerechnet. Darunter sind auch mehrere V-Leute von Polizei und Geheimdiensten.

26. März: Trotz der Kritik und der Appelle hält das OLG München an der umstrittenen Vergabe der Plätze für Journalisten fest. Das Gericht hatte die wenigen festen Plätze für Journalisten nach dem "Windhund-Prinzip" vergeben. Alle türkischen und griechischen Medien gingen leer aus.

31. März: Das türkische Außenministerium schaltet sich direkt in die Debatte über den Zugang türkischer Medienvertreter zum NSU-Prozess ein. Wie das Auswärtige Amt bestätigte, rief Außenminister Ahmet Davutoglu deshalb seinen deutschen Amtskollegen Guido Westerwelle an. Davutoglu habe "die Erwartung der türkischen Regierung" deutlich gemacht, dass Vertreter türkischer Journalisten sowie auch des türkischen Staates als Beobachter an dem Prozess vor dem Oberlandesgericht München teilnehmen können. Westerwelle zeigte nach Angaben des Auswärtigen Amtes Verständnis für das türkische Anliegen, verwies jedoch auf die richterliche Unabhängigkeit.

April 2013: Eklat um NSU-Prozess

02. April: Das ARD-Magazin Report Mainz hat 50 V-Leute aus der Neonazi-Szene identifiziert und deren Wirken analysiert - mit erschreckendem Ergebnis: Fast jeder Vierte war demnach während seiner Tätigkeit für die Sicherheitsbehörden an Straftaten beteiligt. Mindestens sechs sollen im Umfeld des NSU tätig gewesen sein.

04. April: Der Streit um die Platzvergabe für Pressevertreter im Münchner NSU-Prozess wird auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigen: Die türkische Zeitung "Sabah" kündigte eine Beschwerde in Karlsruhe an. Der stellvertretende Chefredakteur der "Sabah", Ismail Erel, verwies auf das Grundgesetz und forderte: "Gerichtsverfahren müssen öffentlich sein, auch für türkischstämmige Mitbürger in Deutschland." Die Presse- und die Informationsfreiheit müssten auch für die türkischsprachigen Journalisten in Deutschland gelten.

12. April: Das Bundesverfassungsgericht gibt der Beschwerde der türkischen Zeitung "Sabah" gegen die Platzvergabe beim Münchener NSU-Prozess statt. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ordnete in einem Eilbeschluss an, dass das Oberlandesgericht München "eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten" vergeben müsse.

Möglich wäre, ein Zusatzkontingent von mindestens drei Plätzen zu schaffen, die nach dem Prioritätsprinzip oder per Los vergeben würden. Auch bleibe dem Gericht die Möglichkeit, die Sitzplatzvergabe oder die Akkreditierung insgesamt nach anderen Regeln zu gestalten. Das Gericht muss aber nicht, wie von "Sabah" gefordert, sein Platzvergabeverfahren komplett rückgängig machen.

13. April: In München gehen mehrere Tausend Menschen auf die Straße. Sie fordern die vollständige Aufklärung der Terrorserie und erinnern an die Opfer der Rechtsterroristen.

15. April: Der NSU-Prozess wird auf den 6. Mai verschoben.

16. April: Nachdem das OLG München den Prozessum die Morde des NSU verschoben hat, kündigt der Freistaat Bayern an, die Angehörigen der Opfer für die weiteren Kosten zu entschädigen.

19. April: Nun gibt es doch noch ein ganz neues Prozedere bei der Platzvergabe im NSU-Prozess: Wie das Oberlandesgericht München bekannt gab, werden die Presseplätze jetzt im Losverfahren vergeben. Dabei soll es verschiedene Kontingente für in- und ausländische Medien geben. Für türkische Medien werden vier Plätze reserviert.

21. April: Bundesinnenminister Friedrich appelliert an die angeklagte Beate Zschäpe, ihr Schweigen vor Gericht zu brechen.

22. April: Neue Runde im Streit um den NSU-Prozess vor dem OLG in München: Die Anwälte eines Opfers haben beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag für eine Videoübertragung des Prozesses in einem zweiten Saal eingereicht. Das gebiete das öffentliche Interesse des Prozesses, heißt es in einem Schreiben, das tagesschau.de vorliegt.

Juli 2013: Details zum Leben im "Untergrund"

03. Juli: Der sächsische Verfassungsschutz hat den NSU bereits im Jahr 2000 als Terror-Organisation eingestuft. Das berichtet das ARD-Magazin "Report Mainz" unter Berufung auf interne Dokumente. Hätten die Behörden darauf richtig reagiert, wäre die Mordserie wohl vermeidbar gewesen.

09. Juli: Bilder vom Tatort, Vernehmungen von Ermittlern: Erstmals stand der brutale Mord am Blumenhändler Simsek in Nürnberg im Zentrum des NSU-Prozesses. Doch 13 Jahre nach der Tat sind die Erinnerungen der beteiligten Beamten offenbar verblasst.

10. Juli: Der Thüringer Verfassungsschutz hat Anfang 2001 versucht, den heutigen Kronzeugen im Münchner NSU-Prozess, Carsten S., als V-Mann anzuwerben. Er war zeitweise einziger Kontaktmann zum NSU. Das belegen geheime Unterlagen des Verfassungsschutzes.

11. Juli: Die mutmaßlichen Neonazi-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt haben laut Aussage im NSU-Prozess bei der Übergabe einer Waffe Andeutungen zu einem möglichen Anschlag gemacht. Das berichtete der Angeklagte Carsten S. vor dem Oberlandesgericht München.

16. Juli: Die jüngste Aktenpanne im Zusammenhang mit der Neonazi-Mordserie wird wohl auch Konsequenzen haben. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums teilte mit, der Militärische Abschirmdienst (MAD) solle umgebaut werden. Der Bundeswehr-Geheimdienst werde Teil der anstehenden Reformen bei den Sicherheitsbehörden sein. Er solle personell schlanker werden. Außerdem werde darüber nachgedacht, den Dienst mit Blick für seine Aufgaben besser aufzustellen. Das Ministerium halte es aber für richtig, den MAD beizubehalten.

24. Juli: Im NSU-Prozess haben Nachbarn der Angeklagten Zschäpe ausgesagt, was beim Brandausbruch geschah. Es ging um den Vorwurf des versuchten Mordes. Beate Zschäpe nahm offenbar in Kauf, dass ihre Nachbarin größter Gefahr ausgesetzt wurde. Zudem werden weitere Einzelheiten aus dem Alltag der Rechtsterroristen bekannt.

August 2013: Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses

22. August: Der NSU-Untersuchungsausschuss legt seinen Abschlussbericht vor. Die Mitglieder des Gremiums einigten sich auf ein gemeinsames Papier - ein Novum. Mehr als 70 Sitzungen, 100 Zeugen, 8000 Akten - und immer wieder ging es auch gegen den Widerstand von Behörden und Ministerien. Petra Pau von der Linksfraktion erinnerte an "verschwundene, geschredderte, zu spät gelieferte Akten oder nicht zuständige Zeugen".

Während der U-Ausschuss des Bundestags seinen Abschlussbericht zum NSU-Komplex vorgelegt hat, geht die Arbeit in Thüringen und Sachsen weiter. In Bayern könnte es nach der Wahl einen weiteren U-Ausschuss geben. Ein Überblick.