Hintergrund

Psychologische Tests für Piloten Der (un)mögliche Blick in den Kopf

Stand: 27.03.2015 17:34 Uhr

Der Copilot der abgestürzten Germanwings-Maschine verheimlichte eine Erkrankung vor seinem Arbeitgeber. Ob er psychische Probleme hatte, ist unklar. Auf ihre psychologische Eignung werden Lufthansa-Piloten nur bei ihrer Einstellung getestet. Danach nicht mehr. Das hat Gründe.

Nur körperlich gesunde Piloten dürfen ans Steuer. Um das zu gewährleisten, werden regelmäßig Untersuchungen durchgeführt. Der psychologische Zustand der Kapitäne und ihrer Stellvertreter wird jedoch nur zu Beginn der Ausbildung überprüft.

Die Lufthansa und andere Airlines arbeiten dabei mit Experten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zusammen. Während der Eignungsprüfung werden ausführliche Gespräche mit den Bewerbern geführt.

Motivation, Selbstreflexion, Kooperationsbereitschaft

Die Experten konfrontieren die Bewerber im Rahmen mehrtägiger Tests mit komplizierten Aufgaben, unter anderem um ihr Konzentrationsvermögen, ihre Fähigkeit zum Multitasking, ihre Stressresistenz und ihr technisches Verständnis generell einzuschätzen. Teil des Auswahlverfahrens ist aber auch eine Analyse persönlichkeitsbezogener Merkmale.

Laut DLR und Lufthansa wird in Einzelgesprächen und Gruppenaufgaben getestet, ob ein Bewerber belastbar, kooperationsfähig und zur Selbstreflexion in der Lage ist. Auch seine Motivation ist Thema in dieser Runde. Besteht er nicht, akzeptiert ihn das Unternehmen nicht. Laut Medieninformationen fallen etwa 70 Prozent der Bewerber durch.

Für ausgebildete Piloten stellt die Lufthansa nach eigenen Angaben jederzeit hausintern psychologisch geschultes Personal zur Verfügung. Doch hier ist die Initiative aus dem Cockpit gefragt. Im Deutschlandfunk-Interview macht der Luftfahrt-Psychologe Reiner Kemmler aber auf eine entscheidende Schwachstelle dieses Systems aufmerksam: Jeder Pilot weiß, dass eine diagnostizierte Depression sein Aus bedeutet. "Es kommt natürlich darauf an, um was für eine Depression es sich handelt", erläutert Kemmler.

Bestimmte Depressionen bedeuten das Aus

Schließlich gebe es auch Erkrankungen, "die auf aktuelle oder akute Ereignisse zurückzuführen sind und die dann auch wieder verschwinden. Dafür gibt es auch gute Behandlungsmöglichkeiten. Dann kann derjenige auch wieder weiterfliegen, wenn er das bewältigt hat." Nicht flugtauglich seien aber Menschen, bei denen sogenannte endogene oder familienbedingte Depressionen vorliegen, sagt Kemmer.

Sind solche Vorerkrankungen zu Beginn der Flugtätigkeit nicht erkannt, verlässt sich die Lufthansa auf seine Mitarbeiter. Denn alle Piloten sind verpflichtet, etwaiges auffälliges Verhalten von Kollegen während der Dienstzeit zu melden. Ein solches Vorgehen macht aus Sicht von Barbara Schneider durchaus Sinn. Im Gespräch mit tagesschau.de erläutert die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, dass etwa die Hälfte aller Selbstmörder die Suizid-Entscheidung "kurzfristig" treffe, teilweise sogar erst 24 Stunden vor der Tat. Grund dafür seien akute Risikofaktoren. Dazu zähle etwa die Nachricht über eine Erkrankung und eine Trennung.

Depressionen zählten zwar zu der häufigsten psychischen Erkrankung von Suizid-Opfern, in der Regel kämen jedoch noch andere auslösende Faktoren hinzu. "Einfache Erklärungsmodelle für Suizide gibt es in der Regel aber nicht - und in diesem ganz speziellen Fall nicht", erklärt Schneider.

Test vor jedem Flug unmöglich

Laut Schneider machen regelmäßige psychologische Untersuchungen daher nur bedingt Sinn. Das liege vor allem daran, dass sich der Zustand der Patienten innerhalb kurzer Zeit verändern könne. "Man kann ja nicht jeden Piloten vor jedem Einsatz zu einem psychologischen Gespräch oder Test schicken", sagt auch Jörg Handwerg, Sprecher der Piloten-Vereinigung Cockpit.

Ähnlich argumentiert der Vizepräsident des Deutschen Fliegerarzt-Verbandes, Uwe Beiderwellen. Er hält Psycho-Tests für "überzogen". Im Gespräch mit dem SWR weist er darauf hin, dass es außerdem keine Verfahren gebe, um "mögliche psychische Ausnahmesituationen" vorherzusagen.

Auf ein weiteres Problem weist Luftfahrt-Psychologe Kemmler hin: Wer seine Erkrankung geheim halten wolle, würde dies trotz regelmäßiger psychologischer Tests schaffen: "Es handelt sich ja um sehr kluge Leute, die wissen, dass eine Depression die Tauglichkeit gefährdet. Man kann das auch verdecken."

Liefert die psychologische Autopsie Auskunft?

Ähnlich handelte offensichtlich auch Andreas L. Darauf deuten Unterlagen hin, die Ermittler in seiner Wohnung in Düsseldorf gefunden haben. Unter anderem stießen die Fahnder auf eine zerrissene Krankschreibung für den Tag des Absturzes. Welche Gründe dahinter stecken, könnte nun eine psychologische Autopsie ergeben.

Dabei versuchen Ermittler mit allen vorhandenen Informationsquellen ein Bild der Erkrankung zu rekonstruieren, erklärt der Psychologe Georg Fiedler vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf das Verfahren gegenüber tagesschau.de. Dafür werden Interviews mit Angehörigen und Kollegen geführt. "Die Nachforschungen reichen teilweise bis in die Kindheit zurück", sagt Fiedler.

Entwickelt worden ist das Verfahren in den 1950er-Jahren von der US-Versicherungswirtschaft, um finanzielle Entschädigungen nach einem Suizid zu klären. Ob es bei der Aufklärung der Gründe für den Absturz des Germanwings-Airbus helfen wird, muss nun die Staatsanwaltschaft Düsseldorf zeigen.