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Kriegsverbrecherprozess in Frankfurt Strafverfolgung nach dem Weltrechtsprinzip

Stand: 12.07.2016 16:07 Uhr

Es ist kein "klassischer" Prozess, der vor dem Oberlandesgericht Frankfurt verhandelt wurde. Zum ersten Mal ging es in Deutschland um den "Kriegsverbrecher"-Paragrafen im Völkerstrafgesetzbuch. Hintergründe zum Verfahren.

Von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Was ist das Besondere am heute entschiedenen Fall aus Frankfurt?

Im Prozess am OLG Frankfurt war ein Delikt nach dem Völkerstrafgesetzbuch angeklagt. Es geht also nicht um "klassische" Straftaten, wie sie sonst vor deutschen Gerichten verhandelt werden, sondern um Kriegsverbrechen.

Laut Gericht hat der Angeklagte im syrischen Bürgerkrieg mit auf Metallstangen aufgespießten Köpfen von zwei getöteten Soldaten posiert. Ein Foto wurde dann auf Facebook im öffentlich einsehbaren Bereich verbreitet. Das alles sei in der Absicht geschehen, die Getöteten zu verhöhnen und in ihrer Totenehre herabzuwürdigen, so das Gericht. Beim Vorwurf gegen den Angeklagten geht es also nicht um die Tötung der Soldaten, sondern allein um das Posieren auf den Fotos. Schon das kann strafbar sein.

Es ist erst das zweite deutsche Urteil auf Basis des Völkerstrafgesetzbuches. Um den konkreten Paragrafen ("Kriegsverbrechen") ging es vor Gericht sogar zum ersten Mal in Deutschland. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

Was ist das Völkerstrafgesetzbuch?

Das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) ist ein deutsches Gesetz, das der deutschen Justiz die Ahndung von bestimmten Straftaten gegen das Völkerrecht ermöglicht, die im Ausland begangen wurden. Es gilt das "Weltrechtsprinzip". Bestraft werden können also auch Taten, die im Ausland begangen wurden, und bei denen der mutmaßliche Täter kein Deutscher ist.

Das ist ein sehr weit gefasster Anwendungsbereich. Als Prinzip dahinter steht das Ziel, dass Kriegsverbrecher auch im Ausland keinen "sicherer Hafen" haben sollen.

Die Straftatbestände im Völkerstrafgesetzbuch lauten u.a.:

  • Völkermord, § 6 VStGB
  • Verbrechen gegen die Menschlichkeit, § 7 VStGB
  • Kriegsverbrechen, §§ 8-12 VStGB.

Im konkreten Fall in Frankfurt geht es um § 8 Absatz 1 Nr. 9 VStGB. Danach wird bestraft, wer "eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt". Das Gericht hat die Fotos und ihre Veröffentlichung als eine derartige Behandlung gewertet.

Für die Ermittlungen nach dem VStGB ist die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zuständig. Dort gibt es ein eigenes Referat mit Staatsanwälten, die sich nur mit diesem Thema beschäftigen. Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch trat im Jahr 2002 in Kraft und steht in Zusammenhang mit der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag im selben Jahr.

Wie soll Deutschland alle möglichen Straftaten in der ganzen Welt verfolgen?

Das beschriebene "Weltrechtsprinzip" durchzusetzen, stößt sie in der Praxis natürlich an seine Grenzen. Denn Deutschland kann nicht jedes Kriegsverbrechen in aller Welt vor Gericht aufklären. Das war den Autoren des Völkerstrafgesetzbuches auch bewusst. Sie haben daher einige flankierende Regelungen in die deutsche Strafprozessordnung eingebaut. Danach kann die Bundesanwaltschaft zum Beispiel von einer Strafverfolgung absehen, wenn:

  • der Beschuldigte sich nicht im Inland aufhält
  • und die Tat vor einem internationalen Gerichtshof verfolgt wird oder im Staat, in dem die Tat begangen wurde, oder aus dem die mutmaßlichen Täter stammen.

Diese Kriterien führen dazu, dass Anzeigen in Deutschland wegen möglicher Kriegsverbrechen im Ausland oft nicht in ein Ermittlungsverfahren oder einen Gerichtsprozess münden. Es besteht also ein gewisses Spannungsfeld zwischen dem Völkerstrafgesetzbuch, das sehr weit gefasst ist, und den gesetzlichen Möglichkeiten der Strafverfolger, trotzdem im Einzelfall auf Ermittlungen zu verzichten.

Im Frankfurter Fall ergibt sich der Bezug zu Deutschland daraus, dass der Angeklagte deutscher Staatsangehöriger ist und in Deutschland lebt.

Welche Rolle spielt der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag?

Seit 2002 gibt es in Den Haag den Internationalen Strafgerichtshof. 120 Staaten haben sich ihm bereits angeschlossen, darunter Deutschland. Rechtliche Basis ist das "Römische Statut" aus dem Jahr 1998.

Ziel der Arbeit des Gerichts ist laut Präambel:

(…) "dass die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, nicht unbestraft bleiben dürfen und dass ihre wirksame Verfolgung durch Maßnahmen auf einzelstaatlicher Ebene und durch verstärkte internationale Zusammenarbeit gewährleistet werden muss.

Die Idee einer Internationalen Strafgerichtsbarkeit hat eine lange Vorgeschichte, die bis zurück zu den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg geht. Im Kalten Krieg trat das Projekt wieder in den Hintergrund, wurde aber in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts von den Vereinten Nationen wieder aufgenommen.

Deutschland hat sich - vor dem Hintergrund seiner Geschichte - besonders bei der Errichtung des IStGH engagiert. Deutscher Richter am IStGH ist übrigens seit 2015 Professor Bertram Schmitt, zuvor Strafrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe.

Wie sieht die Aufgabenverteilung zwischen dem Internationalen Strafgerichtshof und den nationalen Gerichten aus?

Auch am IStGH geht es um die Delikte Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die Aufgabenverteilung im Verhältnis zu den nationalen Gerichten ist folgendermaßen geregelt:

  • Grundsätzlich sind erst einmal die staatlichen Gerichte am Ort des Verbrechens für die Aufarbeitung zuständig. Gerade in Krisen- und Bürgerkriegsregionen findet aber oft keine Aufarbeitung statt.
  • Der Internationale Strafgerichtshof wird nur dann tätig, wenn Staaten nicht willens oder nicht in der Lage sind, die Straftaten zu verfolgen.
  • Schließlich kann ein anderer Staat - wie zum Beispiel Deutschland - nach seinem nationalen Völkerstrafgesetzbuch Straftaten verfolgen. So wie im aktuellen Fall am OLG Frankfurt.

Allein die Existenz des IStGH, der möglicherweise in einen Fall eingreifen könnte, soll die Staaten also dazu anhalten, Verbrechen auf ihrem Gebiet am besten selbst aufzuarbeiten. "Am erfolgreichsten sind wir, wenn wir gar keine Fälle hätten, weil die Staaten alles selbst verfolgen", bringt es der deutsche Richter am IStGH, Prof. Bertram Schmitt, gegenüber der ARD-Rechtsredaktion auf den Punkt.

Welche Gerichtsprozesse zum Völkerstrafgesetzbuch gab es bereits in Deutschland?

Vor dem heutigen Frankfurter Urteil gab es bislang nur einen einzigen Richterspruch zum Völkerstrafgesetzbuch, und zwar am OLG Stuttgart im September 2015. Angeklagt war u.a. Ignace M., Präsident und politischer Kopf der Hutu-Rebellenmiliz FDLR (übersetzt "Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas").

Ignace M. lebt seit gut 25 Jahren in Deutschland. Ihm wurde vorgeworfen, von Deutschland aus Verbrechen gesteuert zu haben. 2009 hatte der militärische Arm der Miliz im Nachbarstaat Kongo ganze Dörfer niedergebrannt, auch Zivilisten wurden dabei getötet.

Das OLG Stuttgart hat Ignace M. wegen Beihilfe zu vier Kriegsverbrechen und Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu 13 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Es gibt ein weiteres Gerichtsverfahren zum Thema Völkermord, das im Mai 2015 bereits am Bundesgerichtshof war. Streng genommen fällt es nicht unter das Thema Völkerstrafgesetzbuch, weil dieses zum Tatzeitpunkt in den 1990er-Jahren noch nicht galt, und daher ein anderer Paragraf aus dem Strafgesetzbuch zum Völkermord angewendet wurde.

Der Angeklagte Onesphore R. war seit 1988 Bürgermeister einer Gemeinde im Norden Ruandas. Später lebte er dann in Deutschland. Im Rahmen des Genozids an der Bevölkerungsgruppe der Tutsi war er am "Kirchenmassaker von Kiziguro" beteiligt, bei dem 1994 mindestens 400 Menschen getötet wurden. Der BGH betonte in seinem Urteil, dass Onesphore R. als Täter, nicht nur als Gehilfe eines Völkermordes anzusehen sei. Der Fall musste noch einmal zurück ans OLG Frankfurt. Dort wurde er Ende 2015 zu lebenslanger Haft verurteilt.

Welche praktischen Probleme haben sich bei den bisherigen Fällen gezeigt?

Im aktuellen Frankfurter Fall der geposteten Bilder auf Facebook gibt es einen entscheidenden Vorteil im Vergleich zu anderen Fällen: Die Beweislage ist gut, denn die Fotos waren öffentlich einsehbar und konnten so vom Gericht bewertet werden. Es ging auch nicht darum, die Morde aufzuklären. Das Verfahren war deswegen auch relativ kurz, von Anfang Mai 2016 bis heute.

Im Stuttgarter Prozess zum Thema Kongo/Ruanda war das ganz anders. Er hat über vier Jahre lang gedauert. Das Verfahren zeigte, an welche praktischen und rechtlichen Grenzen die Justiz stoßen kann, wenn sie Verbrechen in weit entfernten Ländern (in diesem Fall 6000 Kilometer) aufklären muss. Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamts waren zum Beispiel nach Afrika geflogen, Zeugen wurden dann per Satellit in den Gerichtssaal geschaltet. Andere Zeugen mussten - zum Teil mehrmals - aus Afrika nach Deutschland eingeflogen werden. Ein solches Verfahren sei mit den Regeln der deutschen Strafprozessordnung nicht in den Griff zu bekommen, hatte der Vorsitzende Richter bei der Urteilsverkündung kritisiert. 

Auch am Bundesgerichtshof im Fall von Onesphore R. hatte der Vorsitzende des 3. Strafsenates, Jörg-Peter Becker, mahnende Worte gefunden. Vielleicht stelle sich der ein oder andere die Frage, ob man denn in Deutschland Verbrechen aufklären müsse, die so weit weg geschehen. Deutschland habe sich aber - auch wegen seiner Geschichte - national wie international immer stark dafür gemacht, dass solche Verbrechen geahndet werden. "Wir halten das für richtig", sagte Becker.

Doch dann folgte eine Art Hilferuf Beckers. Denn Anklagen und Prozesse zu Taten im Ausland nehmen immer mehr zu, zum Beispiel auch mit Bezug auf Syrien. Wenn es die entsprechenden Gesetze gebe, dann müsse die Politik auch dafür sorgen, dass die Gerichte diesen Prozessen Herr werden können. "Hier ist der Bund in der Pflicht, dringend Abhilfe zu schaffen", so Becker im Jahr 2015. Dass man in solchen Prozessen Abstriche beim rechtsstaatlichen Verfahren macht, könne ja wohl auf keinen Fall die Lösung sein.

Welche weiteren Prozesse könnte es geben?

Im Laufe des Jahres 2016 hat die Bundesanwaltschaft zwei Personen wegen Verdachts auf Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch festnehmen lassen. Einmal geht es um einen am 21. Januar im Großraum Stuttgart verhafteten 24-jährigen Syrer, der sich an der Entführung eines Mitarbeiters der Mission der Vereinten Nationen auf den Golanhöhen beteiligt haben soll. Außerdem wurde am 6. April ein 41-jähriger Syrer verhaftet, dem Folter und Plünderungen in Syrien vorgeworfen werden. Mit weiteren Anklagen und Prozessen ist also zu rechnen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 12. Juli 2016 um 16:00 Uhr.