Debatte über Prostitutionsgesetz Moderne Sklaverei oder Dienstleistung?

Stand: 22.01.2015 13:11 Uhr

Zu den Vorhaben der Großen Koalition gehört auch, das Prostitutionsgesetz zu verschärfen. Das hatte unter anderem auch Frauenrechtlerin Alice Schwarzer in einer Kampagne vor der Wahl gefordert. Bei Prostituierten selbst stoßen die Pläne auf Kritik.

Von Benjamin Laufer für tagesschau.de

Union und Sozialdemokraten wollen in der Großen Koalition auch das Prostitutionsgesetz reformieren. So steht es auf Seite 95 des Koalitionsvertrages. Dieses Koalitionsvorhaben findet sich teilweise auch in einem "Appell gegen Prostitution" an Bundeskanzlerin und Bundestag , den Frauenrechtlerin Alice Schwarzer im Herbst veröffentlicht hatte. Rund 90 Prominente - darunter auch zahlreiche CDU-Politiker - hatten ihn unterschrieben.

Darin heißt es, das 2002 von der rot-grünen Bundesregierung eingeführte Prostitutionsgesetz trage "die Handschrift der Frauenhändler" und befördere "moderne Sklaverei". Die meisten Prostituierten würden gegen ihren Willen in dem Gewerbe arbeiten, behauptet Schwarzer. Gefordert wurde deswegen unter anderem "eine Gesetzesänderung, die der Deregulierung von Frauenhandel und Prostitution Einhalt gebietet" sowie die Ächtung und Bestrafung von Freiern.

Koalition will gegen Zwangsprostitution vorgehen

Die Koalition will nun das Prostitutionsgesetz "umfassend überarbeiten" und gegen Freier vorgehen, die "wissentlich und willentlich" die Zwangslage der Prostituierten ausnutzen. Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution sollen ein verbessertes Aufenthaltsrecht erhalten, wenn sie in Strafverfahren aussagen. Auch das hatte der Schwarzer-Appell gefordert. Bislang laufen viele Gefahr, in diesem Fall abgeschoben zu werden, weil sie sich illegal in Deutschland aufhalten. Ebenfalls sollen laut Koalitionsvertrag Verurteilungen künftig auch dann möglich sein, wenn die Betroffenen keine Aussage machen. Nach dem Strafgesetzbuch wird Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung mit bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug bestraft.

Im Gegensatz zu Schwarzer, die langfristig Prostitution ganz abschaffen will, geht es den Koalitionären aber um Menschenhandel und Zwangsprostitution, nicht um Sexarbeit an sich. Für Schwarzer ist das trotzdem ein Erfolg ihrer Kampagne: "Wir haben mit unserer Kritik an der Akzeptanz oder gar Propagierung von Prostitution offensichtlich einen Nerv bei den Menschen getroffen", sagt sie zu tagesschau.de.

Prostituiertenverband wehrt sich gegen Schwarzers Initiative

Der "Berufsverband sexuelle und erotische Dienstleistungen" sieht das ganz anders. Als Reaktion auf Schwarzers Vorgehen hatte der im Oktober von Prostituierten gegründete Verband einen eigenen Appell zur Akzeptanz der Prostitution verfasst. Er erzielte aber weit weniger öffentliche Wirkung als sein Gegenstück, obwohl auch ihn zahlreiche Prominente, Politiker und vor allem Prostituierte selbst unterzeichnet haben.

Sexarbeit sei keine Sklaverei, heißt es in dem Appell. "Prostitution ist eine berufliche Tätigkeit, bei der sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden." Das Geschäft beruhe auf Freiwilligkeit. Auch Migranten würden der Prostitution überwiegend freiwillig nachgehen, Menschenhandel sei in diesem Kontext also eine Randerscheinung. "Schwarzers Kampagne ist ein Akt der Bevormundung", sagt Verbandssprecherin Undine de Rivière im Gespräch mit tagesschau.de. "Man kann Menschen nicht gegen ihren Willen helfen."

"Symbolpolitik und Scheingesetze"

Die Koalitionsvorhaben sind für de Rivière folglich "Symbolpolitik und Scheingesetze": "Ich finde das sehr gefährlich", sagt die Domina. Es sei bereits jetzt verboten, mit jemandem Sex gegen dessen Willen zu haben und eine Notlage auszunutzen. Die Absicht, in Zukunft Freier von Zwangsprostituierten zu bestrafen, könne die Klärung von Verbrechen sogar behindern. "Es gibt viele Fälle, in denen die Kunden zur Aufklärung beigetragen haben. Die zu verunsichern, ist absolut kontraproduktiv!" Die meisten Freier wollten den Prostituierten ohnehin auf Augenhöhe begegnen.

Schwarzer hingegen fordert eine Bestrafung aller Freier - unabhängig davon, ob man ihnen nachweisen kann, bewusst eine Zwangslage auszunutzen. "Zwangsprostitution im engeren Sinne ist besonders schwer beweisbar, weil die Opfer meist hilflos und eingeschüchtert sind", sagt sie. "Eine Freierbestrafung wäre ein starkes Signal dafür, dass wir den Frauenkauf als Unrecht verurteilen."

Dem Prostituierten-Berufsverband geht auch der vorgesehene Schutz der Zwangsprostituierten nicht weit genug: "Das ist keine Zusage für die Verbesserung des Opferschutzes", sagt Sprecherin de Rivière. Sie sieht bereits in der vagen Formulierung im Koalitionsvertrag "scheunentorgroße Schlupflöcher". Der Verband fordert ein Bleiberecht für alle Opfer von Menschenhandel, unabhängig davon, ob sie eine Aussage machen. Viele Betroffene würden eine Aussage deswegen verweigern, weil sie bedroht werden.

Keine genauen Zahlen zur Prostitution

Es ist unklar, wie viele Prostituierte es in Deutschland gibt. Schätzungen gehen von 400.000 oder weniger aus, in Schwarzers Appell ist von 700.000 Frauen die Rede. Wie viele davon zur Prostitution gezwungen werden, ist unklar und umstritten. "Ich bin in 20 Jahren Sexarbeit noch keinem Menschenhandelsopfer begegnet", sagt de Rivière. "Die meisten arbeiten einfach fürs Geld." Schwarzer hingegen sagt, 90 bis 95 Prozent der Frauen in der Prostitution seien "Opfer".

Nach einer Statistik des Bundeskriminalamts ist die Zahl der in Deutschland ermittelten Opfer von Menschenhandel in den vergangenen Jahren tendenziell rückläufig. Waren es 2001 noch 987 Personen - meist Frauen -, ermittelten die Behörden 2011 640 Opfer von Menschenhandel "zum Zweck der sexuellen Ausbeutung". Klar ist aber auch, dass es eine Dunkelziffer gibt.