Hintergrund

Tag der Organspende "Das Warten ist zermürbend"

Stand: 01.06.2013 03:24 Uhr

Erfolgsmeldungen gibt es nicht am heutigen Tag der Organspende. Infolge des Organvergabe-Skandals sind die Spenderzahlen massiv eingebrochen. Und das kostet Menschenleben. Deshalb soll es noch vor der Wahl eine Gesetzesänderung geben.

Von Sandra Stalinski, tagesschau.de

Bettina Schauer* wartet seit fünfeinhalb Jahren auf eine Niere. Oder, wie sie es formuliert, auf ein neues Leben. Einmal die Woche geht die 48-jährige alleinerziehende Mutter zur Dialyse, fühlt sich oft geschwächt, kann nicht mehr voll arbeiten und auch ihre Kinder bleiben oft auf der Strecke. "Das Warten ist sehr zermürbend", sagt sie. Wann sie an der Reihe ist, weiß sie nicht. "Es kann jeden Moment so weit sein, es kann im schlimmsten Fall aber auch noch Jahre dauern."

Zahl der Organspenden drastisch gesunken

Ihre Aussichten, bald ein Spendeorgan zu bekommen, sind unterdessen noch schlechter geworden. Seit vor zehn Monaten erhebliche Manipulationen bei der Organvermittlung bekannt wurden, ist die Spendenbereitschaft noch weiter gesunken: Im Jahr 2012 gab es nur noch 1046 Organspenden, fast 13 Prozent weniger als im Vorjahr. Im ersten Quartal dieses Jahres sank die Zahl sogar um 18 Prozent auf nur noch 230 Organspenden in Deutschland. Der Grund: Viele Menschen haben das Vertrauen in die Transplantationsmedizin verloren.

Um dem entgegenzuwirken, startete Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr in dieser Woche eine bundesweite Kampagne mit dem Titel "Das trägt man heute: den Organspendeausweis". Gleichzeitig arbeiten Gesundheitspolitiker aller Fraktionen an einer Gesetzesänderung. Doch die Zeit drängt. Bis zur Bundestagswahl bleiben nur noch drei Sitzungswochen.

Manipulation von Patientendaten bislang straffrei

Ein Antrag zur Gesetzesänderung liegt bereits auf dem Tisch, muss aber in den Fraktionen noch abgestimmt werden. Der Entwurf, der tagesschau.de vorliegt, enthält im Wesentlichen zwei neue Forderungen: Manipulationen von Krankenakten sollen künftig strafbar sein. In der Vergangenheit hatten einige Ärzte ihre Patienten kränker dargestellt als sie waren, um ihnen einen besseren Platz auf der Warteliste zu verschaffen. Wegen einer Gesetzeslücke gingen die Datenfälscher bislang straffrei aus. Zwar hat die Staatsanwaltschaft in Braunschweig nach dpa-Informationen just Anklage gegen einen Göttinger Arzt erhoben, ob sie damit Erfolg haben wird, ist nach Meinung von Medizinrechtlern jedoch fraglich.

Zum anderen sollen laut Antragsentwurf die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Organvergabe künftig vom Bundesministerium für Gesundheit genehmigt werden. Bisher konnte die Bundesärzteschaft die Richtlinien allein festlegen. "Wir müssen das stärker überwachen, denn diese Richtlinien entscheiden letztlich über Leben und Tod, weil sie bestimmen, wer auf welchem Platz der Warteliste für Spenderorgane steht", sagt der Unionspolitiker Jens Spahn.

Auch Ärzte haben das Vertrauen ins System verloren

Grünen und Linkspartei gehen die im Entwurf festgehaltenen Forderungen aber noch nicht weit genug. Sie wollen die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) in eine öffentlich-rechtliche Organisation überführen. "Die Kontrolle über die DSO als Koordinierungsstelle für Organspende würde besser funktionieren, wenn sie beispielsweise eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts wäre", findet Harald Terpe, Gesundheitspolitiker der Grünen.

Die DSO steht seit Jahren in der Kritik. Man wirft ihr Intransparenz vor. Deshalb wünscht sich auch Kathrin Vogler von der Linkspartei eine Art Behörde. Trotzdem wollen Linkspartei und Grüne die im Antrag geforderten Gesetzesänderungen mittragen. "Um das verlorene Vertrauen wiederherzustellen, ist es wichtig, dass wir jetzt alle an einem Strang ziehen und dass es schnell geht", sagt Vogler. Besonders beunruhigt ist sie darüber, dass nicht nur Patienten und Angehörige, sondern auch Ärzte das Vertrauen ins System verloren haben. Schließlich käme ihnen ja eine Schlüsselrolle zu, wenn sie nach dem Tod eines Menschen Angehörigen die Organentnahme empfehlen.

Prüfungen werden wohl weitere Fälle aufdecken

Immerhin ist seit Bekanntwerden des Organspendeskandals schon einiges passiert. Bundesgesundheitsminister Bahr vereinbarte einen Katalog von Sofortmaßnahmen mit allen Beteiligten. Der wurde zwar zunächst belächelt. Doch die darin vereinbarten Prüfungen der Kommissionen der Bundesärztekammer stehen kurz vor dem Abschluss. Alle 24 Kliniken, die Lebern transplantieren, wurden überprüft. Denn hier waren die meisten Manipulationen aufgefallen. Die Ergebnisse sollen in den nächsten Wochen vorgestellt werden. Nach Insiderinformationen ist es sehr wahrscheinlich, dass durch die Prüfungen weitere Verdachtsfälle ans Licht kommen.

Das seien dann aber alles alte Fälle, beeilt sich der Bundesgesundheitsminister vorsorglich zu versichern. Er zeigte sich in dieser Woche zufrieden mit den Fortschritten: "Ich kann heute sagen, die Vorfälle in Göttingen und Regensburg wären nach den neuen Gesetzen nicht mehr möglich." Damit meint er beispielsweise das Sechs-Augen-Prinzip, nach dem jetzt über Aufnahme und Position auf der Organspende-Warteliste entschieden wird. Jetzt könne nicht mehr nur ein Arzt allein entscheiden. Festgehalten ist das in den neuen Richtlinien zur Führung der Wartelisten. Des Weiteren wurde eine unabhängige Vertrauensstelle "Transplantationsmedizin" geschaffen, bei der Auffälligkeiten - auch anonym - gemeldet werden können. Angesiedelt ist sie bei der Prüfungs- und der Überwachungskommission der Bundesärztekammer.

Drei Menschen sterben täglich

Doch es wird ein langer Prozess, bis das verlorengegangene Vertrauen in das System der Organspende wiederhergestellt werden kann - wenn es überhaupt gelingt.

Für Menschen, die auf ein Spendeorgan warten, wie Bettina Schauer, ist das verheerend. Denn viele von ihnen haben diese Zeit nicht. In Deutschland stehen derzeit 12.000 Menschen auf der Warteliste. Drei von ihnen sterben täglich, weil es kein passendes Organ für sie gibt.

* Name von der Redaktion geändert