40 Jahre Numerus Clausus Von der Notlösung zur Institution

Stand: 18.07.2012 12:45 Uhr

Vor 40 Jahren stellte das Verfassungsgericht die Weichen für die Einführung eines bundesweiten Numerus Clausus. Was waren die Gründe dafür, wie hat sich das Zulassungssystem für Studiengänge mittlerweile verändert und warum gleichen die heutigen Probleme wieder denen von damals?

Von Sven Ole Spindler für tagesschau.de

Warum braucht man den "Numerus Clausus"?

Ein "Numerus Clausus" (NC), wörtlich übersetzt "beschränkte Anzahl", ist eine Zulassungsbeschränkung für ein Studienfach. Sie wird immer dann gebraucht, wenn sich mehr Interessenten für einen bestimmten Studiengang einschreiben wollen, als Plätze zur Verfügung stehen.

In diesem Fall muss aus den Bewerbern nach festgelegten Kriterien eine Auswahl getroffen werden. In der Regel kommen diejenigen mit den besten Abiturnoten zum Zug. Der NC-Wert gibt dann an, ab welcher Abiturnote man einen Studienplatz sicher hat. Aber auch die Zeit, die Bewerber bereits auf einen Studienplatz warten, oder spezifische Aufnahmetests können Kriterien für die Vergabe von Plätzen sein.

Die Zulassungsgrenzen sind nicht starr, sondern richten sich nach Angebot und Nachfrage. Der NC variiert daher von Semester zu Semester.

Was ist der Unterschied zwischen einem lokalen und einem absoluten NC?

Ein absoluter NC gilt bundesweit. Er regelt die Zulassungsbeschränkung für Fächer, bei denen im gesamten Bundesgebiet Studienplätze fehlen.

Ein lokaler NC gilt dagegen nur für eine bestimmte Hochschule. Er regelt die Zulassungsbeschränkung für Fächer, die nur an einer bestimmten Universität überlaufen sind.

Im Vergleich zu absoluten Zugangsbeschränkungen auf Bundesebene haben die Universitäten beim lokalen NC mehr Einfluss auf die Auswahlkriterien. Dazu können beispielsweise die Ergebnisse universitätsspezifischer Aufnahmetests zählen.

Was führte ursprünglich zur Einführung des absoluten NC?

Von Anfang der 50er- bis Ende der 60er-Jahre stiegen die Studierendenzahlen und die Zahl der jährlichen Neueinschreibungen auf mehr als das Doppelte an. Der Hochschulausbau konnte damit nicht Schritt halten. In ihrer Not griffen die Universitäten zum Mittel der Zulassungsbeschränkung, die Ende der 60er-Jahre für fast alle naturwissenschaftlichen und auch einige andere Fächer galt.

Einheitliche Regelungen für die Auswahlverfahren gab es nicht. Nach und nach führten einzelne Länder zwar Regelungen dazu ein, überließen deren genaue Interpretation aber den Hochschulen. Die Verfahren waren undurchsichtig und unterschieden sich je nach Land und Universität. Mehrfachbewerbungen führten dazu, dass eigentlich freie Plätze nicht vergeben wurden.

Gerade im Bereich der Humanmedizin war die Situation kritisch. Zwar wurden immer mehr Mediziner gebraucht, aber ihre Ausbildung und die Schaffung neuer Kapazitäten waren sehr teuer. 1970/71 wurden 70 Prozent der Bewerber für ein Medizinstudium abgelehnt. Das führte zu einer Welle von Prozessen, in denen Abgewiesene ihr Recht auf einen Studienplatz einklagten. Schließlich beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Thema.

Was wurde Im "Numerus-Clausus-Urteil" von 1972 entschieden?

Das Bundesverfassungsgericht unterstrich in seinem Urteil vom 18. Juli 1972 das Recht eines jeden qualifizierten Deutschen auf Zulassung zum Hochschulstudium. Es leitete diesen Anspruch aus dem Recht auf freie Wahl des Berufes (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) und der Ausbildungsstätte in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip ab.

Da absolute Zulassungsbeschränkungen für Studienanfänger bestimmter Fachrichtungen dieses Recht einschränken, legte das Verfassungsgericht strenge Richtlinien dafür fest, wann sie erlaubt sind. Demnach dürfen generelle Zulassungsbeschränkungen nur eingeführt werden, wenn sie unbedingt erforderlich sind, alle Mittel zur Schaffung weiterer Studienplätze ausgeschöpft wurden und die Zahl der zugelassenen Studienanfänger die Ausbildungskapazitäten der Hochschule komplett ausschöpft.

Weiterhin forderten die Verfassungsrichter sachgerechte, einheitliche Auswahlkriterien. Diese sollten garantieren, dass jeder hochschulreife Bewerber, unabhängig von seiner Note, eine realistische Chance auf einen Studienplatz erhält und auch individuelle Wünsche zum Ausbildungsort nach Möglichkeit erfüllt werden.

Um diese Richtlinien durchzusetzen, forderte das Verfassungsgericht bundeseinheitliche Vorschriften für die Landesgesetzgebung und eine zentrale Stelle zur Vermittlung der freien Studienplätze.

Warum ist eine Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen sinnvoll?

Übersteigt die Nachfrage nach freien Studienplätzen in einer bestimmten Fachrichtung das Angebot nicht nur lokal, an einer bestimmten Universität, sondern bundesweit, ist eine deutschlandweite Zulassungsbeschränkung sinnvoll. Das ist heute vor allem in Medizin und angrenzenden Studienfächern der Fall. Damit wird verhindert, dass sich Bewerber an mehreren Universitäten gleichzeitig bewerben und im Falle einer Doppel-Annahme freie Studienplätze für andere Bewerber blockieren.

In Folge des Numerus-Clausus-Urteils von 1972 wurde, im Rahmen eines Staatsvertrages über die Vergabe von Studienplätzen, die "Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen" (ZVS) geschaffen. Sie nahm am 1. Mai 1973 ihren Dienst auf und sollte bundesweit einheitliche Notengrenzen für besonders beliebte Studienfächer gewährleisten sowie für die vollständige Auslastung der zur Verfügung stehenden Hochschul-Kapazitäten sorgen.

Mit der Föderalismusreform 2006, die die Bundesländer im Bildungs- und Hochschulbereich mit mehr Gestaltungsmacht ausstattete, wurde das bundeseinheitliche Hochschulrahmenrecht obsolet, die ZVS in die "Stiftung für Hochschulzulassung" (SfH) umgewandelt.

Neues ZVS-Verfahren

Generationen von Studenten fürchteten sie. Seit 2006 ist die ZVS Geschichte.

Während die ZVS zeitweise auch für Fächer wie Architektur, Biologie oder Betriebswirtschaftslehre zuständig war, regelt die SfH aktuell lediglich die Vergabe von Studienplätzen der Fachrichtungen Medizin, Tiermedizin, Zahnmedizin und Pharmazie.

Wie ist die Situation heute?

Die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge ab 2002/2003 führte zu einer starken Ausdifferenzierung der deutschen Hochschullandschaft. Viele zulassungsbeschränkte Fächer, in denen Studienplätze vorher von der ZVS vergeben wurden, besitzen heute nur noch einen lokal NC. Das ist einerseits sinnvoll, da sie immer weniger vergleichbar sind, andererseits können Studienbewerber leicht den Überblick verlieren.

Dem will die SfH mit ihrer Homepage hochschulstart.de entgegenwirken. Ziel ist es, alle Bewerbungen - auch zu den nur mit lokalem NC belegten Mängelfächern wie Psychologie, Biologie oder Jura - hier zu bündeln und zu koordinieren. Doch das System mit dem Namen "Dialogorientiertes Serviceverfahren" funktioniert bis heute nicht. Seit Mai ist es zwar offiziell einsatzbereit und soll zum Wintersemester eingesetzt werden, zunächst werden aber nur sieben Universitäten und zehn Fachhochschulen in dem Verfahren vertreten sein, von den insgesamt 3246 Bachelor-Studiengängen mit örtlichem NC sollen es nur 22 sein.

Dass man das neue System nicht zum Laufen bringt, hat zu ähnlichen Problemen geführt wie in den sechziger und siebziger Jahren, vor dem "Numerus-Clausus-Urteil". Die Kapazitäten der Universitäten werden nicht voll ausgenutzt. So blieben laut dpa in den vergangenen Jahren jeweils 20.000 der begehrten NC-Studienplätze auch nach Abschluss aller Nachrückverfahren unbesetzt. Allein im vergangenen Herbst zählten die Kultusministerien 13.096 nicht genutzte Bachelor-Plätze.