Zschäpe-Brief an inhaftierten Neonazi Die Banalität der Beate?

Stand: 19.06.2013 09:56 Uhr

Ein Brief von Beate Zschäpe an einen inhaftierten Neonazi hat am Rande des NSU-Prozesses für Aufsehen gesorgt. Sind in den auf den ersten Blick recht banalen Zeilen Zschäpes Codes versteckt? Die Nebenkläger fordern neue Ermittlungen.

Von Patrick Gensing, tagesschau.de

Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe hatte nach ihrer Inhaftierung im November 2011 viel Zeit. Erst seit der Prozess vor dem Oberlandesgericht München begonnen hat, muss Zschäpe drei Tage pro Woche ihre Zelle gegen den Gerichtssaal tauschen.

Zschäpes Auftreten vor Gericht zeigte, wie sie die Nähe zu ihren Verteidigern suchte. Auch in Haft pflegte sie Kontakte. Zschäpe bekam reichlich "Fanpost". Sie antwortete einem ebenfalls inhaftierten Neonazi aus NRW, der sie offenbar angeschrieben hatte. Aus einem Brief geht hervor, dass sich angeblich eine Brieffreundschaft zwischen Zschäpe und Robin Sch. entwickelte - mit Neckereien und persönlichen Anmerkungen. Der Brief aus dem März 2013 wurde abgefangen und könnte nun auch im NSU-Prozess eine Rolle spielen.

Geheime Botschaften?

Die mutmaßliche Rechtsterroristin schmückte ihr 26-seitiges Schreiben mit diversen Zeichnungen, die Anlass für Spekulationen geben: Ein Bundeswehr-Konvoi in Afghanistan beispielsweise, der ein Schild mit der Aufschrift "Abzug" passiert. Dazu schreibt Zschäpe, Sch. solle in seinen Antwortschreiben keine Andeutungen zu der Zeichnung machen. Ihr sei nur wichtig, dass er den Sinn der Karikatur verstehe.

Mehrmals fragt sie Robin Sch., ob er ihr noch folgen könne und ihre Zeilen verstehe. Dann nennt sie ihn plötzlich "Chris" und ein anderes Mal "Lord Usagra". Was soll das bedeuten? Dreht man Usagra um, wird daraus Argasu, ein Ort unweit des Bundeswehr-Stützpunkts Kandahar, was zu der Karikatur Zschäpes passen würde. Was "Lord Usagra" nun daraus mache, sei ihm überlassen, schreibt Zschäpe.

Aus Zschäpes Zeilen spricht auf den ersten Blick die Sehnsucht nach einer geradezu spießigen Normalität: Zschäpe bezieht sich auf Fernsehserien wie "Baywatch" und Schlagermusik von Helene Fischer. Von ihren Rinderrouladen schwärmt sie - und dass ihr Thüringer Grillgut fehle. Dies liege ihr einfach im Blut. In der Thüringer Neonazi-Szene ist der Spruch "Bratwurst statt Döner" ein Klassiker.

Aus dem Schreiben geht hervor, dass sie ihren Brieffreund angeblich erst seit einigen Monaten kennt. Aber warum offenbart sie sich gerade dem deutlich jüngeren Robin Sch.? Der Neonazi sitzt in Nordrhein-Westfalen in Haft, weil er einen Supermarkt überfallen hatte. Sch. gab vor Gericht an, er sei dazu angestiftet worden. Im Zuge des Prozesses war 2007 bekannt geworden, dass dieser angebliche Anstifter ein Neonazi und V-Mann des Verfassungsschutzes war. Beide Neonazis pflegten Kontakte zum "Blood & Honour"-Netzwerk sowie in die Dortmunder Neonazi-Szene, die Mitte der 2000er-Jahre eine terroristische Zelle gegründet haben soll.

Aus den Ermittlungsakten zum NSU geht hervor, dass die NSU-Terroristen detaillierte Notizen über mögliche Anschlagsziele in Dortmund vorliegen hatten, bevor sie dort am 2. April 2006 den Kioskbesitzer Mehmet Kubasik ermordeten.

Ermittler: Bereits 2007 vom NSU gehört

Im bayerischen Untersuchungsausschuss sagte ein Polizist am Dienstag aus, er habe bereits im Jahr 2007 bei einer Dienstbesprechung den Begriff NSU als Name einer rechtsterroristischen Vereinigung gehört. Der Hinweis sei aus der Führungsebene des Verfassungsschutzes aus Sachsen oder Thüringen gekommen.

Zuvor hatte bereits im Untersuchungsausschuss des Bundestags ein ehemaliger Verfassungsschützer aus Baden-Württemberg ausgesagt, er habe schon 2003 einen Hinweis auf den NSU an seine Vorgesetzten weitergegeben. Im Jahr 2002 stand in dem Neonazi-Heft "Der weiße Wolf" ein Gruß an den NSU. Beim NSU-Prozess in München sagte der angeklagte Carsten S. aus, ihm gegenüber hätten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos mit einem Anschlag in Nürnberg geprahlt. Und nun kommt noch der Brief von Zschäpe mit mutmaßlichen Codes an einen Neonazi aus NRW dazu. Offenbar gab es also doch nicht nur ein isoliertes "Terror-Trio", sondern ein Netzwerk.

Sebastian Scharmer, der Nebenklagevertreter der Familie des Dortmunder NSU-Opfers Mehmet Kubasik, forderte nun von Bundesanwaltschaft und BKA weitere Ermittlungen zu Dortmund. "Gab es Verbindungen von Robin Sch. zum Trio?", fragt er. Und: "Woher kannte Zschäpe Robin Sch.?" Im NSU-Komplex gibt es also noch mehr offene Fragen, Antworten bleiben weiterhin Mangelware.

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