Angela Merkel spricht im Bundestag

Debatte über Corona-Maßnahmen Merkel rüffelt die Länder

Stand: 23.04.2020 13:50 Uhr

Bislang hat Kanzlerin Merkel ihre Kritik am Kurs einiger Länder in der Corona-Krise nur intern formuliert. Nun wählte sie die Bühne der Regierungserklärung. Zugleich wird die Kritik an der Regierung prägnanter - auch in der Union.

Von Eckart Aretz, tagesschau.de

Im Kampf gegen das Coronavirus zeigen sich deutliche Risse in der Politik. Bundeskanzlerin Merkel machte im Bundestag einen klaren Dissens zwischen ihr und einigen Bundesländern öffentlich. Teile der Opposition distanzierten sich wiederum von der Linie der Bundesregierung.

Merkel äußerte sich, wie vor EU-Gipfeln üblich, mit einer Regierungserklärung, die aber zu weiten Teilen innenpolitisch bestimmt war. Dabei würdigte sie einerseits die Erfolge im Kampf gegen das Virus, warnte aber andererseits deutlicher als zuvor vor Sorglosigkeit und nannte nun auch einen Adressaten dafür.

Schon am Montag hatte sie im CDU-Präsidium "Öffnungsdiskussionsorgien" kritisiert. Nun hielt sie den Ländern vor, bei der Umsetzung der gemeinsamen Beschlüsse "in Teilen sehr forsch, um nicht zu sagen: zu forsch" vorzugehen. Welche Bundesländer Merkel dabei im Einzelnen im Sinn hatte, behielt sie für sich. Doch es dürften wenig Zweifel bestehen, dass sie dabei nicht zuletzt an Nordrhein-Westfalen und damit an ihren Parteifreund Armin Laschet dachte. Und auch das SPD-regierte Rheinland-Pfalz war zuletzt kritisiert worden.

Zahlen und Motive

Dieser Vorwurf hat viele Facetten. Laschet hatte sich in den vergangenen Tagen zunehmend deutlich von den restriktiven Beschränkungen abgesetzt, die insbesondere Bayern verfolgt. Mit Ministerpräsident Markus Söder war Laschet schon in einem frühen Stadium der Corona-Bekämpfung aneinandergeraten, offenbar, weil er dessen Handeln für eigenmächtig und unabgesprochen hielt. Laschet strebt zudem den CDU-Vorsitz an und damit auch die Kanzlerkandidatur, möglicherweise sieht er in Söder einen Konkurrenten.

Dieser machte umgehend deutlich, dass er sich jedenfalls nicht angesprochen fühlt. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann betonte vielmehr ihre Übereinstimmung mit Merkel. "Wir sind eine Gemeinschaft der Umsichtigen", sagte er.

Merkel hatte in den vergangenen Tagen fast schon wissenschaftlich immer wieder unterstrichen, dass sie die Eingrenzung des Virus für weiterhin gefährdet hält. Dies bestimmte auch ihre Regierungserklärung. Es handele sich noch um die "Anfangsphase" der Pandemie, die Situation sei trügerisch, ein Zwischenerfolg, das Eis dünn, Deutschland noch nicht über den Berg, man dürfe das Erreichte nicht verspielen - immer wieder schlug die Christdemokratin diesen mahnenden Ton an.

Wie viel Einschränkungen verträgt die Demokratie?

Merkel griff zugleich einen Teil der Kritik auf, der schon vorher im Raum stand - aus allen Teilen des Parlaments. Die Einschränkungen des persönlichen und öffentlichen Lebens seien ihr schwer gefallen, erklärte sie, so schwer wie noch keine andere Entscheidung ihrer Amtszeit. Sie räumte ein, die Pandemie sei "eine demokratische Zumutung", die "existentielle Rechte und Bedürfnisse" einschränkte. Auf diese Einschränkungen sollten nach ihr Teile der Opposition deutlich zu sprechen kommen.

Da Merkel im weiteren Verlauf des Tages per Videoschalte mit den Staats- und Regierungschefs der EU zusammenkommt, nutzte sie die Parlamentsbühne, um sich gegen einen weiteren Vorwurf zu wehren - den der mangelnden Solidarität in der EU. Sie legte dar, dass eine - vor allem von Italien und Frankreich geforderte - gemeinsame europäische Schuldenpolitik ohnehin nicht schnell umzusetzen sei. Dazu müssten erst EU-Verträge geändert und diese dann von sämtlichen nationalen Parlamenten gebilligt werden. Ein langwieriges Verfahren mit ungewissem Ausgang.

Dagegen spielte Merkel eine bewährte Karte - die der Mittel für den EU-Etat. Sie plädierte dafür, für einen begrenzten Zeitraum "deutlich höhere Beiträge" für den EU-Haushalt zu leisten. Und in Sachen internationale Kooperation erging auch ein Wink an US-Präsident Trump, indem Merkel explizit die Weltgesundheitsorganisation WHO lobte und ihre Bedeutung hervorhob. Trump dagegen will der WHO die Mittel streichen.

FDP kündigt Einmütigkeit auf

Doch der internationale Aspekt blieb unterm Strich ein untergeordneter Faktor. AfD und FDP setzten sich in der Debatte deutlich von der Linie der Regierung ab - FDP-Chef Christian Lindner kündigte gar die "große Einmütigkeit" zwischen Regierung und Opposition auf und erklärte ihr Ende. Lindner, der schon zuvor eine schnelle Rückkehr zum gewohnten öffentlichen Leben gefordert hatte, vertrat die Ansicht, das Land sei über den Lockdown hinaus, nun müsse darüber gesprochen werden, wie "Gesundheit und Freiheit" besser miteinander zu vereinbaren seien.

Die AfD beantwortet diese Frage schon jetzt mit der These, dass staatliche Einschränkungen nicht mehr erforderlich seien. Die meisten Bürger ließen Vorsicht walten, also sei es an der Zeit, "die Schutzmaßnahmen in die private Verantwortung zu überführen, erklärte Co-Fraktionschef Alexander Gauland. Merkel warf er vor, mit dem Begriff "Öffnungsdiskussionsorgien" eine "Basta-Mentalität" offenbart zu haben.

Verhältnismäßig milde wirkte dagegen die Kritik der Grünen und der Linken. Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter mahnte, die soziale Folgen der Maßnahmen stärker im Blick zu haben, vor allem hinsichtlich der Familien und Kinder. Auch die Linke betonte besonders die Lage der Kinder. "Kinder, Frauen und Familien drohen die Verlierer der Pandemie zu werden", sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch.

Brinkhaus meldet sich zu Wort

Dass die Auseinandersetzung darüber nicht nur zwischen den Parteien, sondern vor allem im Parlament geführt werden soll, diesen Anspruch machte Ralph Brinkhaus deutlich. Der Vorsitzende der Unionsfraktion ging auf behutsame Distanz zur Regierung, indem er noch vor der Sitzung erklärte, seine Fraktion verstehe sich als " Hüter der fiskalischen Solidität", die Höhe der Ausgaben bereite ihm langsam "Angst". Da war die jüngste Sitzung des Koalitionsausschusses gerade mal ein paar Stunden her, auf der weitere Hilfsmaßnahmen in Höhe von mindestens zehn Milliarden Euro beschlossen worden waren.

Die Schuldenpolitik, Einschränkungen und EU-Maßnahmen - die Kanzlerin wird in den kommenden Tagen viele Debatten führen müssen. Auch in den eigenen Reihen.