Exklusiv

Kanzlerin Merkel im SWR-Interview "Ich bin Österreich nicht dankbar"

Stand: 08.03.2016 12:20 Uhr

Bundeskanzlerin Merkel hat die Kritik von Menschenrechtlern an der engen Zusammenarbeit mit der Türkei zurückgewiesen. Oberstes Ziel sei es, zu verhindern, dass Flüchtlinge qualvoll ums Leben kämen, sagte Merkel im SWR-Interview. Über die Politik Österreichs zeigte sie sich enttäuscht.

Von Stephan Ueberbach und Mathias Zahn, ARD Berlin

Bundeskanzlerin Merkel hat die Ergebnisse des Brüsseler EU-Gipfels mit der Türkei verteidigt. Es gehe darum, "wie wir die illegale Migration stoppen können, wie wir den Schleppern und Schleusern das Handwerk legen können und gleichzeitig unserer humanitären Verantwortung gerecht werden", sagte Merkel im SWR Interview der Woche. In diesem Prozess sei die EU mit der Türkei "einen wichtigen Schritt vorangekommen".

Dass die Türkei noch einmal drei Milliarden Euro zusätzlich fordert, hält Merkel für gerechtfertigt. Schließlich seien die "ausgewiesenen Gelder für Projekte für syrische Flüchtlinge". Bis zum nächsten Treffen am 17. März könnten nun die "einzelnen Feinheiten" geklärt werden. Dass sich die EU dafür noch ein paar Tage Zeit nehme, sei gut, "denn es handelt sich ja hier auch um eine sehr komplizierte Materie."

Dass die Türkei in den Verhandlungen mit der EU am längeren Hebel sitzt, glaubt Merkel nicht. "Nein. Wir suchen hier einen Interessenausgleich." Die Türkei sei immerhin Kandidat für einen EU-Beitritt.

Menschenrettung vor Menschenrechten

Die Kritik von Menschenrechtsorganisationen an den Vorschlägen der Türkei weist Merkel zurück. In der Ägäis seien alleine im Januar dieses Jahres mehr als 320 Menschen ums Leben gekommen.

Es ist menschenverachtend, Menschen in solche gefährlichen Situationen zu bringen. Und deshalb sollten wir versuchen, ihnen legale Wege zu öffnen. Deutschland wird sich jedenfalls zu dieser Verantwortung bekennen.

Ein solches Vorgehen sei allemal besser, als "indirekt Schlepper und Schleuser zu unterstützen, und darum halte ich diesen Weg für vertretbar". Zudem sei das Thema Presse- und Meinungsfreiheit auf dem Gipfel gestern sehr deutlich angesprochen worden. Die konservativ-islamische Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan steht seit langem wegen Fragen der Bürgerrechte oder der Meinungs- und Pressefreiheit in der Kritik. Erst in den vergangenen Tagen wurden zwei regierungskritische Medien unter Zwangsverwaltung des Staates gestellt.

Ausweitung der Absprachen nicht ausgeschlossen

Dennoch hält Merkel am Partner Türkei fest. Sie kann sich sogar eine weitere Ausweitung der Zusammenarbeit in naher Zukunft vorstellen. So schließt Merkel nicht aus, dass die mit der Türkei angestrebte Lösung für Syrer auch bald für Flüchtlinge aus anderen Ländern gelten könnte: "Bei den Irakern müssen wir noch einmal überlegen, ob wir dort auch in die Richtung von Kontingenten gehen würden." Doch darüber müsse auf europäischer Ebene entschieden werden.

Spannungen mit Österreich

Kritisch äußert sich Merkel über die Haltung Österreichs in der Flüchtlingskrise. Das Land hatte vor kurzem entschieden, pro Tag nur noch wenige Schutzsuchende ins Land zu lassen. Brüssel hält dies für rechtswidrig. Jedenfalls löste die Obergrenze aber auch eine Reaktion bei anderen Ländern auf der Balkanroute aus: Mazedonien etwa weist vermehrt Flüchtlinge ab. In Athen fürchtet man, mit den Problemen alleine gelassen zu werden. Merkel sagte dazu:

Ich bin Österreich nicht dankbar. Ich fand es nicht glücklich, dass einseitige Entscheidungen getroffen wurden".

Dass die an der Grenze zwischen Griechenland und Idomeni festsitzenden Flüchtlinge "Mama Merkel" um Hilfe bitten, nennt die Kanzlerin "natürlich schon sehr emotional". Trotzdem aber würden die Regeln von Schengen vorsehen, dass sich "kein Flüchtling, der Schutz sucht, aussuchen kann, in welchem Land er Schutz bekommt".

Manchmal könnte es schneller gehen

Der europäische Prozess sei zwar mühsam, und es habe auch "Einzelentscheidungen gegeben, die ich nicht gut fand, die auch zu einer Belastung Griechenlands geführt haben." Unter dem Strich sei die EU aber relativ vorangekommen.

Alle sagen, wir müssen unsere Außengrenzen schützen, alle sagen, wir müssen die illegale Migration bekämpfen, alle haben sich für den Nato-Einsatz in der Ägäis ausgesprochen und alle haben jetzt auch den neuen Vorschlag willkommen geheißen.

Manchmal könne es zwar schneller gehen, "aber insgesamt bewegt sich die Sache in die richtige Richtung."