Interview

Interview mit FAZ-Herausgeber Werner D’Inka "Das 'ß' ist kein Dogma"

Stand: 25.08.2007 00:07 Uhr

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung gilt bislang als letztes publizistisches Bollwerk gegen die Rechtschreibreform. Das könnte sich nun ändern: Mitherausgeber Werner D’Inka kündigt im Interview mit tagesschau.de Kompromissbereitschaft an.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung gilt bislang als letztes publizistisches Bollwerk gegen die Rechtschreibreform. 1999 übernahm das Blatt zunächst die neuen Orthografieregeln, kehrte jedoch schon 2000 zur alten Rechtschreibung zurück. Man hoffe auf zahlreiche Nachahmer, hieß es damals. Heute ist die FAZ jedoch die einzige große Zeitung, die an den alten Schreibweisen festhält. Im Interview mit tagesschau.de kündigt Mitherausgeber Werner D’Inka ein mögliches Einlenken im Reformstreit an.


tagesschau.de: Herr D’Inka, sehen Sie sich in Sachen Rechtschreibung mittlerweile auf verlorenem Posten?

Werner D'Inka: Nein. Alle deutschsprachigen Schriftsteller von Rang, viele Sprachwissenschaftler und – wenn auch hinter vorgehaltener Hand – die meisten Journalisten teilen unsere Ansicht. Alles Leute, deren Werkstoff die Sprache ist.

tagesschau.de: Warum halten Sie nach wie vor am alten Regelwerk fest?

D'Inka: Weil es, bei allen Verbesserungsmöglichkeiten im Detail, kein vernünftigeres gibt und weil das Regelwerk auch vor der Reform nie starr war. Immer sind Schreibregeln dem Gebrauch durch die Sprachgemeinschaft gefolgt. Meine Großmutter schrieb noch „Thee“, wir trinken selbstverständlich „Tee“, und zwar ganz ohne Herumfuhrwerken von Kultusministern. Oft wird gesagt, die bewährten Regeln seien schwer zu lernen – aber Sie und ich und Millionen andere haben sie doch begriffen. Und wie sieht es heute aus? Noch nie gab es so viele Varianten und damit so viel Durcheinander wie derzeit: Welche Regeln gelten eigentlich? Die des Rechtschreibrates, der seine Arbeit noch gar nicht beendet hat? Die des „Duden“? Die des „Wahrig“? Die Reform hat so gut wie alle ihrer Ziele verfehlt, nur eins haben die Reformer nachhaltig geschafft: Die Einheitlichkeit der Schriftsprache, die es bis 1996 gab, ist verloren.

tagesschau.de: Wie lange wird die FAZ ihren Widerstand gegen das seit dem 1. August verbindliche Regelwerk durchhalten?

D'Inka: Lassen wir den Unterton in Ihrer Frage einmal beiseite, der fast glauben macht, wir seien Gesetzesbrecher: Der Rechtschreibrat hat viele Erwartungen nicht erfüllt oder – so, wie er zusammengesetzt war – nicht erfüllen wollen und können. Er hat aber dort, wo die Reform schlimme Sinnentstellungen brachte, vor allem bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, manches verhindert. Wir prüfen derzeit die Wörterbücher und reden mit Kollegen in namhaften Redaktionen darüber, wie wir in einem abgestimmten Verfahren möglichst viel von dem Sprachschatz und dem Nuancenreichtum erhalten. Den Unterschied zwischen „wohlerzogen“ und „wohl erzogen“ werden wir beispielsweise weiterhin machen, und banausenhafte Schreibweisen („Schimäre“), Herleitungen („Tol(l)patsch“ kommt nicht von „toll“) oder Trennungen („Subs-tanz“) werden Sie auch künftig in der FAZ nicht lesen. Über alles andere kann man reden, auch über das „scharfe S“, weil es hier nicht um Sinn geht, sondern um Konvention. Das „ß“ ist kein Dogma.

Zur Person

Werner D’Inka ist seit März 2005 einer der fünf Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zuvor arbeitete der gebürtige Freiburger als Medienredakteur und Chef vom Dienst der FAZ.

tagesschau.de: Fast alle Medien haben die Reform umgesetzt oder arbeiten zumindest mit einer eigenen „Hausrechtschreibung“. Wie gelingt Ihnen im Redaktionsalltag der Spagat zwischen einem Umfeld, das von den neuen Regeln geprägt ist, und dem Festhalten an den alten Schreibweisen?

D'Inka: Was taugt eine „Reform“, die Redaktionen, die etwas auf sich halten, zu einer „Hausrechtschreibung“ zwingt? Das macht doch das ganze Elend deutlich. Im Redaktionsalltag machen wir uns die Mühe, beispielsweise die Meldungen von Nachrichtenagenturen „umzuschreiben“. Da die FAZ eine Autorenzeitung ist, machen Agenturmeldungen aber nur zwischen zehn und zwanzig Prozent aus. Zudem haben wir ein Hauskorrektorat.

tagesschau.de: Wer bringt Ihren Praktikanten und Volontären, die in Schule und Universität die neuen Regeln gelernt haben, die alte Rechtschreibung bei?

D'Inka: Das ist bisher nie ein Problem gewesen. Auch nicht für die fünf Volontärinnen und den Volontär, die wir soeben nach ihrer Ausbildung in die Redaktion übernommen haben.

tagesschau.de: Sämtliche aktuellen Wörterbücher geben die neue Rechtschreibreform wieder. Welches Wörterbuch benutzen Sie bei der FAZ in Zweifelsfällen? Und was werden Sie machen, wenn dieses eines Tages zerfleddert und unbrauchbar ist?

D'Inka: Wir benutzen den „Duden“ in seiner Ausgabe vor der Reform. Da es, wie erwähnt, alles andere als unmöglich ist, die herkömmlichen Regeln so zu lernen, dass man nicht jedes fünfte Wort nachschlagen muss, sind die Exemplare auf den Schreibtischen der Kollegen gar nicht zerfleddert.

Das Interview führte Tim Gerrit Köhler für tagesschau.de